Lehren und Lernen mit digitalen Medien und Technologien. Markus Schäfer
resultierende Handlungsdruck zur Implementierung digitaler Transformationsprozesse ist im realwirtschaftlichen Umfeld existenziell. Die Zielsetzung beruflicher Bildung – der Erwerb einer umfassenden Handlungskompetenz – bedingt hier entsprechend, dass der Kompetenzerwerb grundsätzlich im Kontext von digitalen Arbeits- und Geschäftsprozessen angelegt werden muss. Entsprechend sind die Institutionen der Aus- und Weiterbildungssysteme zusätzlich dazu aufgefordert, sehr spezielle Entwicklungen wie das Internet der Dinge, Industrie bzw. Wirtschaft 4.0, Wissensmanagement, smartes Handwerk, digitales Bauen, E-Commerce, smarte Landwirtschaft oder E-Health in ihren Bildungsplänen und Seminaren zu berücksichtigen. Dem bildungswissenschaftlichen Primat der Zukunfts- und Gegenwartsbedeutung folgend, sollten diese durch die Digitalisierung ausgelösten Entwicklungen dynamisch in den Bildungsplänen, Ausbildungsordnungen und didaktischen Jahresplanungen abgebildet und in den Bildungsgängen implementiert werden.
Designprojekte können die Entwicklung der Kompetenzen für die digitale Welt in zahlreichen Varianten bereichern: Auf der einen Seite leisten sie einen Beitrag dazu, dass die Kompetenzbereiche des KMK-Kompetenzrahmens in die Lehre (Seminar, Unterricht, betriebliche Unterweisung, überbetriebliche Ausbildung etc.) integriert werden können, ohne etablierte Konzepte des Lehrens und Lernens vorschnell abzulösen. Auf der anderen Seite bietet die Arbeit in und mit Designprojekten [19] die Möglichkeit, Prozesse, Verfahren, Wissen und Erkenntnisse hochwertig digital zu dokumentieren. Über diese produktive audiovisuelle Aufarbeitung von Prozess- und Maschinedokumentationen sowie Theoriewissen kommt es zu einer lernwirksamen Auseinandersetzung mit den jeweiligen Inhalten in beliebigen Kontexten der Aus- und Weiterbildung. Die resultierenden Design- bzw. Handlungsprodukte helfen in einer digital geprägten Kultur zusätzlich dabei, Veranstaltungen vor- und nachzubereiten, Informationen weiterzugeben, Flipped-Classroom-Konzepte umzusetzen etc.
Zum Primat der Pädagogik: Didaktische Konzepte für eine digital geprägte Kultur sind nicht voraussetzungslos zu haben. Tradierte bildungswissenschaftliche Erkenntnisse und etablierte Methoden und Modelle sind zu berücksichtigen, wenn Kompetenzentwicklung gelingen soll. Didaktische Konzepte für die digitale Welt wirken entsprechend nicht einseitig disruptiv, sie verändern und ergänzen didaktische Konzepte der Aus- und Weiterbildung aber grundlegend.
Die Digitalisierung bietet zunächst die Chancen dafür, dass lerner*innenaktive didaktische Ansätze einen zusätzlichen Impuls erhalten. Applikationen wie Oncoo, Classroomscreen und Answergarden schaffen Beteiligungsmöglichkeiten und helfen Lernbarrieren abzubauen (vgl. Kapitel 10). Lerner*innenaktive didaktische Konzepte tragen u. a. auch das Versprechen oder besser die Hoffnung in sich, dass das Theorielernen eine Effizienzsteigerung erfahren kann, weil Wissen in der zielgerichteten Aktivität besser angebunden und kognitiv verarbeitet werden kann als im passiven Rezeptionsmodus. Digitale Medien und Technologien können zusätzlich einen Beitrag dazu leisten, dass sich Seminarräume öffnen, indem das Denken und Handeln im Lernprozess einen größeren (virtuellen) Raum erhält und eine kreative, kritische, kollaborative und kommunikative Lernumgebung entsteht. Gleichzeitig bieten sich auch Möglichkeiten Kosten einzusparen und ressourcenschonend zu arbeiten, weil die Ausstattung mit realen Maschinen und Geräten für lerner*innenaktive Unterweisungen, praktische Arbeiten und Experimente virtuell ergänzt werden kann.
Das didaktische Konzept, das diesem Lehrbuch zugrunde liegt, greift diese Entwicklungen auf der einen Seite auf und stellt ein Instrumentarium zu Verfügung, mit dem die benannten Kompetenzbereiche aus dem KMK-Kompetenzrahmen in einem bildungswissenschaftlich fundierten Organisationskonzept entwickelt werden können. Das Konzept bietet erprobte Strategien, um digitale Technologien und Medien so in den Lern- bzw. Kompetenzentwicklungsprozess zu integrieren, dass Lerner*innen ihre Sach-, Medien-, Sprach- und Lesekompetenz entwickeln, [20] während sie sich gleichzeitig mit Fragen der Medienethik, der Mediennutzung und der Mediengestaltung auseinandersetzen (vgl. Kapitel 6 und 10).
Auf der anderen Seite basiert das Konzept auf einer Merkmalsspezifik, die der traditionellen Projektpädagogik zugeschrieben wird (vgl. Kapitel 2). Das designorientierte didaktische Konzept transformiert die pädagogische Architektur von realweltlich organisierten Lernsituationen in digital organisierte Lernprojekte, respektive Designprojekte. Designprojekte basieren dabei auf einem im Anforderungsniveau skalierbaren ‚Rezept‘. Damit bieten sie auch die Möglichkeit beliebige Lehrveranstaltungsformate bzw. Lernsituationen zu transformieren (vgl. Kapitel 2). Sie können hier zum Beispiel ein Projekt im Projekt darstellen. Sie können aber auch eine Veranstaltung ergänzen, die auf einem klassischen Frontalvortrag basiert.
Das ‚Rezept‘ für die Umsetzung von Designprojekten scheint auf den ersten Blick simpel: Lerner*innen bearbeiten eine fachliche Aufgabe, entwickeln einen Text (vgl. Kapitel 6.2) zur Problemlösung und gestalten anschließend einen Film zu ihrem Lösungsweg respektive zu ihrer Aufgabe (vgl. Kapitel 6.3 und 6.4). Die Handlungsprodukte (Manuskript, Audio, Film) können als offene Lernressource (OER) auf Youtube bzw. in anderen Content-Management-Systemen zur Verfügung gestellt werden (vgl. Kapitel 6.5). Die Designprodukte können dann für Nachnutzungsszenarien im Modus des Flipped-Classroom genutzt werden. So simpel das Konzept auf den ersten Blick erscheint, so vielfältig sind die pädagogischen und organisatorischen Herausforderungen, wenn es um die konkrete Umsetzung in einer Präsenzveranstaltung geht. Hier stellen sich zahlreiche Fragen. Es geht zum Beispiel darum, wie das Anforderungsniveau so skaliert werden kann, dass unterschiedliche Lerngruppen vom Konzept profitieren, welche Sozialform sich für die jeweilige Phase eignet, welche Rechtsfigur die Prozesse definiert, wie eine Strategie für den Filmschnitt und die Produktion des Audios aussehen kann und welche zeitlichen Ressourcen eingeplant werden müssen, wenn Designprojekte umgesetzt werden. Die folgenden Kapitel beantworten diese Fragen praxisnah.
[21] 2 Bildungswissenschaftliche Referenzen und Anforderungen
Bevor das didaktische Konzept in seiner Phasierung und seinen organisatorischen, technischen und medienpädagogischen Dimensionen konkretisiert wird, werden im Folgenden zunächst zentrale Theoriebezüge hergestellt. Es geht dabei um die Beantwortung der Frage, welche Theorieaspekte und Entwicklungen die Konzeptentwicklung inspiriert bzw. beeinflusst haben. Fundamental ist dabei die Auseinandersetzung mit der Projektpädagogik. Die Ausführungen geben zunächst einen Überblick darüber, welchen Beitrag technologiebasierte Konzepte zur Entwicklung einer inklusiven Didaktik liefern. Anschließend wird eine Merkmalsspezifik ausdifferenziert, die eine handlungsorientierte Projektpädagogik kennzeichnet. Schließlich werden ein didaktisches Grundprinzip von Designprojekten, das Konzept Lernen durch Lehren (LdL), vorgestellt und die Konsequenzen, die mit Blick auf die Konzeptentwicklung für eine designorientierte Didaktik zu ziehen sind, erörtert.
Rezeptives Online-Lernen (E-Learning) und zeitlich fest eingetaktete Mischformen des Lernens (Blended Learning) werden im 21. Jahrhundert zu echtdatenbasierten Lernsettings weiterentwickelt. Die neue Art des Lernens setzt auf kreative, kommunikative, kollaborative und kritische Aushandlungs- und Gestaltungsprozesse in einer digital geprägten Kultur und integriert formale und informelle Kompetenzentwicklungsprozesse in einem Konzept.
Seit vielen Jahren gibt es die Idee, digitale Technologien und Medien zu nutzen, um Lernprozesse zu individualisieren und Kompetenzentwicklungsprozesse effizient zu steuern. Mit der Entwicklung entsprechender Szenarien verbindet man die Hoffnung, dass sie einen Beitrag dazu leisten, dass
•der Ausbau selbstgesteuerter und selbstorganisierter Lernprozesse vorankommt;
•Aus- und Weiterbildung im Prozess der Arbeit möglich wird;
•Effizienzsteigerungen in den Kompetenzentwicklungsprozessen über eine optimierte Integration informeller und formaler Wissensstrukturen möglich werden;
•[22] Impulse für das Feld der Lernortkooperation und -flexibilisierung gesetzt werden;
•maximal individualisierte Förderkonzepte umgesetzt werden;
•bessere Möglichkeiten geschaffen werden, um komplexe oder gefährliche Sachverhalte zu simulieren;
•die Erprobung von neuen Kenntnissen und Fertigkeiten in digitalen Lernumgebungen ermöglicht wird;
•effiziente Assessments für Bedingungsanalysen und Leistungsüberprüfungen genutzt