Hexenherz. Goldener Tod. Monika Loerchner
Pause hast, mein Lieber! Und zwar nicht nur eine Woche, sondern so lange, wie ich es für richtig halte!«
Ich hatte mit Protest oder Trotz gerechnet, doch Kolja nickt einfach.
»Das denke ich auch, Mama.«
Wir bleiben zwei Wochen in der Höhle. Immer, wenn mir die Zeit lang zu werden droht, denke ich daran, was ich fast verloren hätte.
Meinem Sohn geht es mit jedem Tag besser, der Göttin sei Dank! Als Adrian es für sicher befindet, wieder aufzubrechen, kann Kolja problemlos Schritt halten. Als ich kommentarlos seinen Teil des Gepäcks nehmen will, protestiert er und beginnt, zu debattieren. Natürlich hat er gegen mich keine Chance, doch mein Herz hüpft vor Freude: Er ist wieder ganz der Alte!
Alle genießen es, endlich wieder draußen zu sein. Tatsächlich waren nicht wenige von einem kleinen Höhlenkoller befallen gewesen. Das bleibt nicht aus, wenn viele Menschen auf so engem Raum zusammen hocken, da ist Streit vorprogrammiert. Das Ganze hat mich ein wenig an einen Winter erinnert, als es tatsächlich so viel geschneit hatte, dass wir trotz unserer Stärke gezwungen gewesen waren, in unseren Zelten zu bleiben und still zu halten. Ausgerechnet wir, die Ostgarde, die Garde mit dem härtesten Ruf überhaupt, war zum Nichtstun verdammt gewesen. In diesen winterdunklen Tagen ist jede Menge Alkohol und Magie geflossen und meine Obere, Frau Helmich, hatte so manche Frau an die frische Luft gesetzt, ihr Mütchen im Schnee zu kühlen …
Auch das kalte, karge Essen – schrumpelige Äpfel, Nüsse, die weiß die Göttin wie alt waren, und löffelweise Mehl, was halt in Notverstecken so herumliegt, weil es sich lange hält – hatte auch nicht unbedingt zu guter Laune beigetragen. Entsprechend fröhlich sind alle, als es endlich wieder nach draußen und weitergeht. Die Rebellinnen reißen sich darum, von Adrian auf einen Botinnengang geschickt zu werden und mein Hunger auf Fleisch ist so gewaltig, dass ich selbst ein Eichhörnchen nur einmal kurz durch die Flamme ziehen würde.
Wir finden schnell in den gewohnten Trott: tagsüber marschieren, abends Lager aufschlagen, schlafen oder Wache halten, aufstehen, Frühstück, Lager wieder abbauen und weiterziehen. Und doch hat sich etwas verändert. Koljas Zusammenbruch hat bei allen ein beklemmendes Gefühl hinterlassen. Adrian treibt seine Leute längst nicht mehr so hart an wie vorher. Muss er auch nicht, denn während unseres Zwangsaufenthaltes in der Höhle wurden zig Gegenstände gefertigt, die zum Tausch oder Verkauf geeignet sind. Außerdem konnte uns kein frischer Nachschub an Magiespeichersteinen und Schmuck erreichen. Kein Wild wurde erlegt, das zerwirkt und weiter verarbeitet hätte werden müssen. Ohne Kolja hatte auch Désirée den Unterricht nicht fortgeführt, es war allgemeiner Stillstand. Nun scheint Adrian bestrebt zu sein, die Dinge seinen Leuten zuliebe etwas langsamer angehen zu lassen.
Der Alltag spielt sich aber auch so wieder ein. Bald verlässt Désirée auch morgens wieder mit ein paar Freiwilligen das Lager, um weiter an der Anwendung der Magie zu forschen. Sie und Marzena haben einen Plan ausgearbeitet, der sicherstellen soll, dass sich so etwas wie bei Kolja nicht wiederholt. Obwohl noch nicht bewiesen, gilt meine Theorie von der Überlastung durch das Überspringen der eigentlich magiefreien Tage als richtig.
»Ihr könntet das eigentlich nach mir benennen«, meine ich eines Tages zu Marzena, während wir auf das Abendessen warten.
»Ach ja?« Sie zieht die Augenbrauen hoch. »Du meinst sowas wie ›die Helena-Krankheit‹? Klingt aber wenig schmeichelhaft!«
»Pfff, du hast einfach keine Fantasie! Alle guten Krankheiten sind nach ihren Entdeckerinnen benannt.«
»Oder nach deren Heilerinnen!«
»Na bitte: ich bin beides!« Ich grinse sie an. Während der Zeit in der Höhle war schlichtweg kein Platz für irgendwelche Peinlichkeiten. Wir sind wieder so eng miteinander wie vor der ganzen Sache mit Adrian.
»,Morbus Helena‹«, spinne ich das Ganze weiter. »Oder wie wäre es mit dem ,Rinasdother-Syndrom‹?«
»Du bist doof!«
»Bin ich nicht!«
»Helena, hast du mal einen Augenblick!« Göttin, bin ich froh, dass Adrian nicht zu den Männern gehört, die ihren Partnerinnen bei jeder sich bietenden Gelegenheit einen Kuss auf die Wange hauchen.
»Ja klar, was gibt`s?«
»Komm mit!«, sagt er und geht mit mir ein Stück abseits. Was er mir zu sagen hat, sollen die anderen anscheinend nicht mitbekommen.
»Ich muss mit dir über etwas sprechen«, sagt er, als wir mit den Schatten des Waldes verschmolzen sind. »Wie du weißt, hat uns Kolja ausführlich über seine Erfahrungen mit den Magiespeichersteinen und seiner Anwendung der verschiedenen Magiesorten berichtet und auch gemeinsam mit Désirée versucht, dieses Wissen in seiner praktischen Anwendung an andere zu vermitteln. Das Problem ist nur … «
»Ja?«
»Es funktioniert nicht.«
Kapitel 7
Wie bitte? »Was genau funktioniert nicht?«
»Was Kolja uns berichtet hat, dass auch Männer Magie anwenden können. Es klappt einfach nicht! Wir haben auch Désirée dazu geholt. Sie war es, die damals mit Kolja geübt hat. Aber nichts, gar nichts.«
»Wer hat es denn versucht?«, verlange ich zu wissen. »Gero? Corey?«
Adrian seufzt. »Wir haben es alle versucht.«
Das überrascht mich jetzt doch. »Auch du?«
»Auch ich.«
»Wieso klappt es nicht?«
»Wenn ich das wüsste, liebe Helena, dann würde ich längst daran arbeiten, das Problem zu lösen.«
Immer, wenn er mich ›liebe Helena‹ nennt, bin ich versucht, ihm die Zunge herauszustrecken. Darf man das bei einem angehenden Vater überhaupt noch?
»Also nochmal ganz langsam: Du willst mir also erzählen, dass mein Sohn die einzige Nicht-Frau ist, die es geschafft hat, Magie anzuwenden!?«
»Ganz genau.«
»Hast du die Steine überprüft?«
»Was denkst du denn? Désirée und Simone haben das getan, mehrfach sogar. Sie hatten kein Problem damit, die Magie herauszuziehen, die andere Frauen eingespeist hatten. Nein, an den Steinen oder Magiesorten liegt es nicht. Es muss etwas anderes sein. Irgendetwas stimmt da nicht.«
Ich verenge meine Augen zu schmalen Schlitzen, »Du willst doch wohl nicht etwa sagen, dass mein Junge lügt, oder?«
»Ach Quatsch!« Adrian scheint dem Ton nach mehr verblüfft als wütend zu sein. »Mach dich nicht lächerlich! Keine hier zweifelt an dem, was dein Sohn erzählt hat. Im Gegenteil, er hat es uns ja selbst gezeigt. Doch was wir auch versuchen, keinem unserer Männer oder Fräulein ist es bislang gelungen, es ihm gleich zu tun.«
»Hm.« Ich lege den Kopf in den Nacken und sehe zum Himmel herauf. Die Mondin schimmert als sanfte Sichel, einzelne Sterne scheinen sich in den Vordergrund zu drängen und der Wald um uns herum kommt langsam zur Ruhe. Ebenso die Rebellinnen: Das Lager scheint fertig zu sein, ich erkenne die vielen Zelte als dunkle Schemen; in deren Mitte ein Feuer, auf dem sicher gleich etwas gekocht wird. Hoffentlich etwas mit Fleisch!
Bleibt nur eine Frage: »Warum, zu den Sieben Finsterhexen, hast du mir das nicht gesagt? Wieso erfahre ich das erst jetzt, nachdem ich wochenlang« – ich stiere ihn finster an – »dumm rumgesessen habe. Ich hätte euch helfen können!«
»Jetzt guck nicht so böse«, Adrian lacht. Woher weiß er das? Unmöglich, dass er bei dieser Dunkelheit meinen Gesichtsausdruck sehen kann! »Wir hatten … . Na gut«, er seufzt, »Ich hatte den Eindruck, dass du Zeit für dich brauchst.«
»Zeit für mich?«, echoe ich. »Wofür denn?«
»Um mit der Situation zurechtzukommen?«
Noch