Hexenherz. Goldener Tod. Monika Loerchner

Hexenherz. Goldener Tod - Monika Loerchner


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eine Gardeschwester mit einer Intrige das Leben versaut.

      Sei es, wie es sei.

      Botinnen wurden ausgesandt, noch und nöcher. Immer unter strengster Geheimhaltung, immer darauf bedacht, dass keine Garde unseren Aufenthaltsort aus ihnen herauspressen könnte. Wir waren ständig in Bewegung und uns folgte wie ein unendlich langer Rattenschwanz Adrians Perlenschnur der Wachposten. Die natürlich ebenfalls mit Lebensmitteln versorgt werden mussten.

      »Ich glaube, wir werden nie aufbrechen«, beschwere ich mich eines abends bei Marzena. Adrian wuselt noch irgendwo herum, während alle anderen längst ihr Tagesgeschäft beendet haben. Der heutige Marsch war so anstrengend gewesen, dass nicht mal mehr eine an einem Stück Holz herum schnitzt oder eine Geschichte erzählt.

      »Doch, werdet ihr. Du musst Geduld haben.«

      Ich schnaube. »Ja klar, Helena Rinasdother von Smaleberg ist ja auch im ganzen Goldenen Reich für ihre Geduld bekannt!«

      Die ehemalige Gardistin schmunzelt.

      »Was soll ich denn sagen? Es dauert neun sagenhafte Monate bis zur Geburt. Neun Monate ohne Magie, wie ich hinzufügen möchte.«

      Mich schaudert. »Ehrlich, Marzena – wieso?«

      »Wieso nicht?« In ihrem Blick liegen Lachen und Mitleid. »Mal ehrlich, liebe Helena, was dachtest du denn, wo die Babys herkommen? Dass sie auf Bäumen wachsen?«

      »Nein, aber … Ist ja deine Sache. Meins wäre es nicht.«

      Sie nickt. Etwas Netteres kann ich mir beim besten Willen nicht abringen. Wieso tut sich eine Frau, noch dazu so eine begabte wie Marzena, so etwas freiwillig an?

      Kinder gibt es wie Sand am Meer, vor allem mit passendem Mann dazu: Die Kämpfe mit anderen, gewalttätigen Rebellinnentruppen sowie dem Großen Moldawischen Reich fordern ihren Tribut. Jede Garde hinterlässt regelmäßig alleinerziehende Männer. Ein bisschen so wie reife Äpfel auf einer Streuwiese: Eine müsste nur hingehen und sich einen pflücken.

      Allein die Vorstellung, neun Monate so hilflos zu sein … nein!

      Mir kommt ein neuer Gedanke.

      »Hast du Angst?«

      »Wovor jetzt genau?«

      »Vor der Geburt und allem.«

      »Nö«, bekennt Marzena freimütig. »Das haben Millionen Frauen vor mir geschafft, also werde ich das wohl auch hinbekommen.«

      »Das ist so ziemlich das Dümmste, was ich je gehört habe«, knurre ich, »das ist doch kein Argument! Nur weil es schon viele vor dir gemacht haben. Mal ehrlich: das gilt auch fürs Sterben!«

      Marzena lacht aus vollem Hals. Unerschütterlich, die Gute. Neben ihr komme ich mir vor wie eine missmutige, grantelige alte Meckertante. Kein Wunder, dass Adrian sich in sie verliebt hat. Wo ich nur Schatten, Schmerz und Angst sehe, ist Marzena voller Vorfreude und gespannter Erwartung. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie sie das macht.

      »Alle mal herhören!«

      Die Gespräche verstummen. Alle Köpfe drehen sich zu Adrian. Es muss etwas passiert sein: Sein Gesichtsausdruck ist verkniffen, seine Hände zu Fäusten geballt.

      »Soeben ist Daniel zurückgekommen. Ich hatte ihn losgeschickt, unsere nächste Etappe auszukundschaften. Dabei traf er Sascha.« Der Anführer winkt einen Mann heran. Er scheint um die dreißig zu sein, ist dem Bart nach zu urteilen verheiratet und wirkt müde und ausgezehrt.

      »Hallo.« Er hebt zur Begrüßung eine Hand. Daniel gesellt sich ebenfalls dazu. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass er wieder da ist, aber bei dem ständigen Strom an Menschen, die kommen und gehen, ist das ja auch kein Wunder. Ich freue mich, ihn zu sehen, gehört er doch mit seiner aufmerksamen, bescheidenen Art eindeutig zu den angenehmeren Personen.

      »Sascha gehört zu Martinas Leuten und hat beunruhigende Neuigkeiten. Sascha?«

      Der Mann tritt vor. »Hallo allerseits. Martina schickt mich, euch zu warnen.« Martina leitet ebenfalls eine Rebellinnentruppe, wie ich weiß. Ich kenne sie nicht persönlich, habe aber durch Adrian schon einiges über sie erfahren. Wie er ist auch sie nicht auf Kampf aus, sondern zieht es vor, für ihre Überzeugung von einer Gleichwertigkeit der Geschlechter mit friedlichen Mitteln einzutreten. Soweit ich weiß, war es damals sogar ihre Idee, ihre Tochter Leonie mit Kolja in die Hauptstadt zu schicken, um ihn bei seiner Mission zu unterstützen und gleichzeitig für die Rebellinnen Nutzen daraus zu ziehen.

      Ich konzentriere mich wieder auf Sascha. »Wie ihr vielleicht wisst, halten wir uns normalerweise weit im Westen auf. Doch in den letzten Jahren haben wir immer mehr an Boden verloren. Ohne dass uns das so recht bewusst war, hat uns die Garde vor sich her Richtung Reichsmitte getrieben. Immer ein Stückchen, bis wir Karlas Gebiet erreicht hatten.« Wer ist Karla? »Aber das ist nicht das Einzige! Ganz langsam, nach und nach, ist die Westgarde größer geworden.« Aha? »Wir haben es anfangs nicht bemerkt, ihr wisst ja, wie so ein Leben auf der Flucht ist.« Er zuckt mit den Schultern. »Irgendwann wurde es dann aber doch auffällig. Früher kamen jedes Jahr etwa zwanzig, dreißig neue Gardistinnen pro Untereinheit hinzu, während andere dafür aus dem Dienst schwanden.« Das sind Zahlen, von denen wir bei der Ostgarde nur träumen konnten. Die Westgarde war immer schon bei denjenigen beliebt gewesen, die Langweile einem anständigen Kampf vorzogen. Im Westen ist das Meer, keine Grenze, die gegen einen Feind verteidigt werden muss. Nicht umsonst hat die Westgarde einen eher schluffigen Ruf. »Doch im Laufe der Zeit wurde das immer mehr. Jetzt kamen auf einmal jeden Monat neue Gardistinnen an. Wir begannen, Listen zu führen.« Er atmet tief durch. »Und kamen zu erschreckenden Ergebnissen: Die Garde rüstet ganz erheblich auf!«

      »Seit wann?«, fragt eine Rebellin.

      »Seit mindestens einem Jahr, eher anderthalb. Wie gesagt, ist es uns zunächst nicht aufgefallen.«

      Daraus kann ihnen kaum eine einen Vorwurf machen. Im Gegenteil bin ich eher erstaunt, wie gut Martinas Gruppe informiert ist. Ich könnte mittlerweile nichts mehr über Größe und Stärke der Ostgarde sagen. Wie denn auch, wenn wir immer flüchten, noch bevor sie uns sehen?

      Der Zeitpunkt passt auf jeden Fall; vor knapp drei Jahren ist der Goldenen Frau endgültig klar geworden, dass die Rebellinnen mit einer gefährlichen Macht experimentieren: den Magiespeichersteinen. So mächtig die Goldene Frau auch ist, von heute auf morgen kann sie nichts ändern. Wohl aber im Laufe der Zeit mehr Frauen für die Gardeakademien rekrutieren. Weiß die Geierin, wie sie das gemacht hat. Das Niveau des Einstellungstests oder der Abschlussprüfungen gesenkt, den Gardelohn erhöht oder Dorf- und Stadtobere »gebeten«, mehr Frauen zu schicken … Es macht Sinn, dass sie die Garden verstärkt. Großen Sinn sogar. Und wenn die Westgarde zumindest teilweise so weit hier rübergekommen ist, dann …

      »Sie ziehen sich wie ein Netz zusammen«, sagt Adrian düster. »Finn und Corey waren bei der Ostgarde. Dort sieht es genau so aus.« Er schüttelt den Kopf. »Ich habe mir so viel auf unser Frühwarnsystem eingebildet – und genau das haben sie ausgenutzt. Sie konnten ja quasi machen, was sie wollten. Da wir die Ostgarde immer nur von Weitem im Auge behalten haben, ist uns nichts aufgefallen.«

      »Wie viele?«

      »Sie jetzt sind? Gute Frage, Bernd. Gesehen haben die beiden sicher nur die Spitze des Eisbergs.« Er fährt sich mit den Händen durch die Haare. »Aber so viel, dass klar ist, was hier vor sich geht. Wir hätten etwas ahnen sollen. Es war schon auffällig, dass sie immer öfter Zweiertrupps losgeschickt haben. Wenn sie so weitermachen … « Er breitet in einer hilflosen Geste die Arme aus.

      »Dann haben sie uns bald«, spricht Gero aus, was wir alle denken. »Denn wir sind die Fische in ihrem Netz.«

      Der Anführer ballt erneut die Hände zu Fäusten.

      »Kein Wunder, dass sie den Verhandlungen zugestimmt haben: Wieder etwas mehr Zeit, während der wir die Augen vor dem verschließen, was direkt vor unserer Nase passiert.«

      »Heißt das, die Friedensverhandlungen sind vom Tisch?«, will Simone wissen.

      »Nein.


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