Hexenherz. Goldener Tod. Monika Loerchner
fühle mich unschlüssig. »Könnte das vielleicht noch mit damals zu tun haben, mit der Magiesperre, die die Gardistinnen in Annaburg in dich gelegt haben?«
»Helena … «
»Ich meine, du hast ja nie den Schlüssel dafür bekommen oder so. Ja ich weiß, du sagst, die Sperre wäre während der nächsten Magieerneuerung einfach abgefallen. Aber wer weiß, ob das nicht doch jetzt irgendeine Langzeitnebenwirkung ist?«
»Ach Helena.« Marzena schüttelt den Kopf, in ihren Augen mischen sich Belustigung und Sorge.
Ich stehe auf. Muss mich bewegen. Gehe im Zimmer hin und her. Starre erst in die Flammen, dann aus dem Fenster. Irgendwo da draußen ist Adrian, sicher damit beschäftigt, irgendwelche Pläne zu schmieden, irgendwem Feuer unterm Hintern zu machen, irgendwo bei irgendetwas mit anzupacken.
»Mein Adrian«, durchzuckt es kurz und vollkommen schwachsinnig meine Gedanken. Er war nie mein Adrian. Er hätte meiner werden können, aber das ist längst vorbei. Dennoch, wie ich mir gnadenlos eingestehen muss, hatte ich immer das Gefühl, dass ich mir ihn – trotz Marzena – immer noch hätte nehmen können, wenn ich nur gewollt hätte. Diese Einsicht ist schmerzhaft und so gar nicht schmeichelhaft. Marzena ist meine Freundin und hat es nicht verdient, dass ich so fühle. Aber sie muss es ja nie erfahren. Oder weiß sie es schon?
Der Schmerz hat sich angeschlichen und stößt jetzt mit aller Brutalität zu. Fährt mir direkt ins Herz und ich flehe die Göttin an, mir wieder Eis zu schicken. Ich kann das nicht ertragen!
»Helena?«
Komm schon, Helena, reiß dich zusammen! Bring das hier hinter dich und lass Marzena gehen. Danach kannst du von mir aus wie ein kleiner Junge rum heulen!
Ich drehe mich zu ihr um und bemühe mich, so etwas wie ein Lächeln zustande zu bringen. Ich weiß nicht, warum ich ihr unbedingt etwas vormachen will. Bei den Sieben Finsterhexen, wir waren gemeinsam in der Ostgarde, haben Blut vergossen und um gefallene Schwestern getrauert. Haben um unser eigenes Leben gefürchtet und allen Unbilden getrotzt. Als mich die Umstände auf die falsche Seite des Lebens katapultiert hatten, kam sie und kämpfte an meiner Seite. Riskierte alles für Menschen, die sie nicht kannte, die, im Gegenteil, für sie Verräterinnen waren. Und das alles nur aus Freundschaft zu mir. Ich muss ihr nichts vormachen, denn so sehr ich mich auch dagegen sperre: sie kennt mich. Sie hat mich längst durchschaut und weiß, wie ich mich fühle. Deshalb ist sie hier, vermutlich war sie noch nicht einmal bei Adrian, das wäre genau ihre Art.
Und wie es ebenfalls ihre Art ist, zieht sie sich angesichts meines Zustandes taktvoll zurück.
»Ich muss jetzt mal wieder los, Helena. Wir sehen uns ja sicher später.«
Es ist verführerisch, dass sie es mir so einfach macht. Doch bei meiner Ehre, ich kann sie so nicht gehen lassen.
»Marzena?«
»Ja?« Ihr Lächeln, als sie sich in der bereits offenen Tür zu mir umdreht, ist voll aufrichtiger Freude.
»Herzlichen Glückwunsch!«
Sie legt eine Hand auf ihren Unterbauch.
»Danke.«
Marzena ist schwanger. Adrian hat ihr also ein Kind geschenkt und sie werden eine Familie sein. Eine Familie, von der er schon immer geträumt hat. Damals mit Mirja wollte er kein Kind, das Leben eines Rebellen auf der Flucht verträgt sich nicht mit einem Säugling. Das hatte er damals gesagt, ruhig und vernünftig, natürlich. Dabei hatte er seinen Schmerz darüber nicht vor mir verborgen. Überhaupt ist Adrian immer so offen zu mir, dass ich nicht begreifen kann, wieso ihn das nicht verletzlich macht.
Ich stehe mitten im Raum und weiß nicht so recht, wohin mit mir. Ich könnte wahlweise in den Kamin oder aus dem Fenster starren, doch würde das meiner Stimmung ganz gewiss nicht gut tun. Trinken wäre eine Möglichkeit, wenn es Abend wäre. Nicht in einer Million Jahre würde ich es wagen, um diese Uhrzeit Apfelwein zu trinken; ich bin 32 Jahre alt, doch ein Teil von mir ist noch immer fest davon überzeugt, dass mein Vater das mitbekommen und mich tüchtig ausschimpfen würde. Ob das jemals aufhört?
Nichts hilft so gut gegen Kummer, wie sich zu beschäftigen. Nur womit? Ich habe ja keine Magie mehr, kann also nicht wirklich etwas Gescheites tun, obwohl, ha, ich könnte ja rausgehen und den Männern zur Hand gehen. Bei den Rebellinnen ist es sowieso einerlei, ob es sich um Männer- oder Frauenarbeit handelt: Viele Frauen benutzen ihre Magie nicht; es gibt ebenso magielose Fräulein wie solche, die die Erweckung ihrer Magie verweigert haben. Männer gelten Frauen als gleichgestellt und keine ist sich zu schade, zu kochen, zu waschen oder sonst wie niedere Arbeiten zu verrichten. Keine außer mir, sollte ich wohl sagen. Nur weil ich mehr oder weniger gezwungen bin, bei den Rebellinnen zu leben, muss ich ja nicht gleich die ganze Weltordnung auf den Kopf stellen!
Schlimm genug, dass ich mich mittlerweile an den Anblick gewöhnt habe, den die so wenig fügsamen Männer hier bieten: Die Köpfe hochmütig gereckt schreiten hier einige breitbeinig aus, lächeln nach hier und da, als seien sie die wahren Regentinnen der Welt. Unfassbar. Am schlimmsten von allen ist Gero. Ich muss nur seine Visage sehen und schon juckt es mich in den Fingern.
»Du gehst mir aus dem Weg«, befindet Adrian, als wir am Abend unser Lager aufschlagen.
Er hat recht: Seit mir Marzena vor nunmehr sechs Wochen von ihrer Schwangerschaft erzählt hat, habe ich den Anführer der Rebellinnen gemieden. Adrian war auch nach unserem Aufbruch aus »Sumpfeiche« regelmäßig zu Kolja und mir gekommen, um sich nach dem Befinden meines Sohnes zu erkundigen. Selbst dabei hatte ich es vermieden, ihn anzusehen und war häufig einfach unter irgendeinem Vorwand geflüchtet.
»Stimmt doch gar nicht!«
»Stimmt ja wohl!« Er grinst. »Und das weißt du auch. Also, was ist los?«
»Nichts!« Ich löse die Riemen meines Rucksacks und lasse ihn so galant wie möglich zu Boden. Was nicht viel bedeutet, das verflixte Ding ist nämlich ziemlich schwer.
»Verdammt, was hat der Junge alles eingepackt?«
»Jetzt lenk nicht ab, Helena.«
»Ich lenke nicht ab«, grummele ich halbherzig. »Aber im Gegensatz zu dir habe ich keine Lust, stundenlang in der Kälte rumzustehen. Ich würde es vorziehen, wenn sich heute Nacht zwischen der Mondin und mir eine kälteabwehrende Zeltplane befinden würde. Alles klar? Also wenn du schon meinst, hier rumstehen und plaudern zu wollen, kannst du mir genauso gut helfen!«
Zu meinem Verdruss zuckt Adrian mit den Schultern und ist wenige Augenblicke später dabei, die Zeltplane auszuschütteln.
»Na los, nimm die anderen beiden Enden!«
Es gibt nicht viele Dinge, die ihm die Laune verhageln. Insofern hätte die Göttin Marzena ruhig zu einem Mann schicken können, der ihre Frohnatur nötiger hat!
Ich seufze. Meine Grantelei nervt mich mittlerweile selbst.
»Ach, es ist das alles hier«, versuche ich, Adrian meine Gemütsverfassung zu erklären – ohne freilich zu viel zu verraten. »Erst hängen wir wochenlang in diesem Kaff fest. Jetzt sind wir endlich wieder unterwegs, aber ohne Ziel und Richtung. Oder habe ich da etwas verpasst?«
Ich werfe ihm einen prüfenden Blick zu, dem er standhält.
»Nein, leider. Ich warte noch auf Meldung von Ruben und ein paar anderen. So lange ich nicht weiß, wo genau sich die Südgarde befindet und welche Route der diesjährige untere Ausbildungszug nimmt … « Er zuckt mit den Schultern und schafft es gleichzeitig, sich hinzuknien und die ersten Zeltschlaufen mit Pflöcken am Boden zu befestigen.
Ich senke meine Stimme. »Wir sind länger als üblich in dem Dorf geblieben. Viel länger.«
Adrian passt seine Stimme der meinen an. »Du weißt, warum.«
»Ist es schon offiziell?«
Der Anführer steht auf. »Ja, wir haben es nach und nach allen erzählt.«
»Ist das klug?«
»Inwiefern?«