Gesammelte Erzählungen und Gedichte. Joachim Ringelnatz

Gesammelte Erzählungen und Gedichte - Joachim  Ringelnatz


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Ein kleines Stück Spazierstock heraus

       Und schleiche dich heimlich aus dem Haus

       Und wandere langsam in aller Ruh

       Immer direkt auf die Sonne zu.

       So lange, bis es ganz dunkel geworden.

       Dann öffne leise dein Taschenmesser,

       Damit dich keine Mörder ermorden.

       Und wenn du die Sonne nicht mehr erreichst,

       Dann ist es fürs erstemal schon besser,

       Daß du dich wieder nach Hause schleichst.

      Kindersand

      Das Schönste für Kinder ist Sand.

       Ihn gibt’s immer reichlich.

       Er rinnt unvergleichlich

       Zärtlich durch die Hand.

      Weil man seine Nase behält,

       Wenn man auf ihn fällt,

       Ist er so weich.

       Kinderfinger fühlen,

       Wenn sie in ihm wühlen,

       Nichts und das Himmelreich.

      Denn kein Kind lacht

       Über gemahlene Macht.

      Kinder weinen

      Kinder weinen.

       Narren warten.

       Dumme wissen.

       Kleine meinen.

       Weise gehen in den Garten.

      An Berliner Kinder

      Was meint ihr wohl, was eure Eltern treiben,

       Wenn ihr schlafen gehen müßt?

       Und sie angeblich noch Briefe schreiben.

       Ich kann’s euch sagen: Da wird geküßt,

       Geraucht, getanzt, gesoffen, gefressen,

       Da schleichen verdächtige Gäste herbei.

       Da wird jede Stufe der Unzucht durchmessen

       Bis zur Papagei-Sodomiterei.

       Da wird hasardiert um unsagbare Summen.

       Da dampft es von Opium und Kokain.

       Da wird gepaart, daß die Schädel brummen.

       Ach schweigen wir lieber. — Pfui Spinne, Berlin!

      Silvester bei den Kannibalen

      Am Silvesterabend setzen

       Sich die nackten Menschenfresser

       Um ein Feuer, und sie wetzen

       Zähneklappernd lange Messer.

      Trinken dabei — das schmeckt sehr gut —

       Bambus-Soda mit Menschenblut.

       Dann werden aus einem tiefen Schacht

       Die eingefangenen Kinder gebracht

       Und kaltgemacht.

       Das Rückgrat geknickt,

       Die Knochen zerknackt,

       Die Schenkel gespickt,

       Die Lebern zerhackt,

       Die Bäuchlein gewalzt,

       Die Bäckchen paniert,

       Die Zehen gesalzt

       Und die Äuglein garniert.

      Man trinkt eine Runde und noch eine Runde.

       Und allen läuft das Wasser im Munde

       Zusammen, ausnander und wieder zusammen.

       Bis über den feierlichen Flammen

       Die kleinen Kinder mit Zutaten

       Kochen, rösten, schmoren und braten.

      Nur dem Häuptling wird eine steinalte Frau

       Zubereitet als Karpfen blau.

       Riecht beinah wie Borchardt-Küche, Berlin,

       Nur mehr nach Kokosfett und Palmin.

      Dann Höhepunkt: Zeiger der Monduhr weist

       Auf zwölf. Es entschwindet das alte Jahr.

       Die Kinder und der Karpfen sind gar.

       Es wird gespeist.

      Und wenn die Kannibalen dann satt sind,

       Besoffen und überfressen, ganz matt sind,

       Dann denken sie der geschlachteten Kleinen

       Mit Wehmut und fangen dann an zu weinen.

      Geplapper an Grosspapa

      „Großpapa, ach, bist du dumm!

       Weil du nichts verstehst.

       Großpapa, was bist du krumm,

       Wenn du gehst!

      Und du zitterst immerzu

       Wie ein Pappelwald.

       Großpapa, wann stirbst denn du?

       Stirbst du bald?“

      Die neuen Fernen

      In der Stratosphäre,

       Links vom Eingang, führt ein Gang

       (Wenn er nicht verschüttet wäre)

       Sieben Kilometer lang

       Bis ins Ungefähre.

      Dort erkennt man weit und breit

       Nichts. Denn dort herrscht Dunkelheit.

       Wenn man da die Augen schließt

       Und sich langsam selbst erschießt,

       Dann erinnert man sich gern

       An den deutschen Abendstern.

      Doch ihre Sterne kannst du nicht verschieben

      Das Sonderbare und Wunderbare

       Ist nicht imstande, ein Kind zu verwirren.

       Weil Kinder wie Fliegen durch ihre Jahre

       Schwirren. — Nicht wissend, wo sie sind.

      Nur vor den angeblich wahren

       Deutlichkeiten erschrickt ein Kind.

      Das Kind muß lernen, muß bitter erfahren.

       Weiß nicht, wozu das frommt.

       Hört nur: das muß so sein.

      Und ein Schmerz nach dem andern kommt

       In das schwebende Brüstchen hinein.

       Bis das Brüstchen sich senkt

       Und das Kind denkt.

      Rätselhaftes Ostermärchen

      (nur mit Ei und Eier aufzulösen)

      Der FrackverlOher HOnrich OstermOO kehrte am ersten OsterfOOtage sehr betrunken hOm. SOne Frau, One wohlbelObte, klOne Dame, betrieb in der KlOststraße Onen OOhandel. Sie empfing HOnrich mit den Worten: „O O, mOn Lieber!“ DabO drohte sie ihm lächelnd mit dem Finger. Herr OstermOO sagte: „Ich schwöre Onen hOligen Od, daß ich nur ganz lOcht angehOtert bin. Ich war bO Oner WOhnachtsfOO des VerOns FrOgOstiger FrackverlOher. Dort hat Ones der Mitglieder anläßlich der Konfirmation sOner Tochter One Maibowle spendiert, und da habe ich denn sehr viel RhOnwOn auf das Wohl des verehrten JubelgrOses trinken müssen, wOl man ja nicht alle Tage zwOundneunzig Jahre alt wird.“ Frau OstermOO schenkte diesen Beteuerungen kOnen Glauben, sondern sagte nochmals:


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