Mörder-Paket Juli 2020: 10 Krimis für den Strand: Sammelband 9015. A. F. Morland

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      Eve O′Sullivans Nerven lagen blank. Albträume und Schlaflosigkeit plagten sie seit jenem verhängnisvollen Abend. Manchmal meinte sie am helllichten Tag die Explosion einer Handgranate zu hören.

      Sie hatte sich die Haare gebleicht und trug einen großen Hut und eine Sonnenbrille. Ihr Bild geisterte seit fast vier Wochen so häufig durch die Presse, dass sie ständig angesprochen wurde. In Bars und Restaurants, beim Einkaufen und sogar hier am Strand von Coney Island. Die einen beschimpften sie als schamlose Gotteslästerin, die anderen wollten ein Autogramm von ihr.

      Sogar hier, unter den zahllosen Menschen am Strand, fühlte sie sich beobachtet. Versteckt unter ihrem großen Strohhut und hinter ihrer Sonnenbrille lag sie im Sand und ließ sich die schon ziemlich kräftige Junisonne auf die Haut brennen.

      Manchmal beglückwünschte sie sich zu ihrem Skandalstück – kein Tag, an dem ihr Name nicht in irgendeiner amerikanischen Zeitung, bei einem Fernsehsender oder in einer Radiosendung auftauchte. Was konnte sich eine bisher relativ erfolglose Autorin besseres wünschen?

      Es gab aber auch Stunden, in denen sie sich und ihr Stück verfluchte. In den kirchlichen Blättern und Sendern wurde von ihr gesprochen, wie vom personifizierten Antichristen. Der Verlag und die Theaterleitung hatten bereits drei Morddrohungen erhalten – alle von christlich-fundamentalistischen Gruppen.

      Der Arzt, den solche Verrückten ein paar Monate zuvor in Kalifornien erschossen hatten, ging ihr nicht aus dem Kopf. Der Mann hatte Abtreibungen durchgeführt.

      Manchmal wünschte sie sich, sie hätte Jesus und Mohammed etwas respektvoller behandelt in ihrem Stück. Der Regisseur – auch kein Held – spielte schon mit dem Gedanken, es so zu ändern, dass die beiden Religionsstifter wenigstens nicht mehr als Homosexuelle dargestellt wurden.

      „Du verdammter Feigling!‟, hatte Eve ihn angeschrien. „Leben wir im Mittelalter, oder was? Wir sind Künstler und lassen uns von niemandem vorschreiben, was wir sagen!‟

      Im selben Augenblick aber flüsterte ihr die gleiche Feigheit ein, dass die Idee des Regisseurs nicht schlecht war. Aber zu spät – das Stück war veröffentlicht, und alle Welt sprach davon.

      Nach zwei Tagen Klinikaufenthalt hatte Eve ihren Shrink aufgesucht. Der Psychotherapeut hatte ihr geraten, Manhattan für ein paar Wochen den Rücken zu kehren. Also hatte Eve sich in ihr Wochenendhaus auf Coney Island zurückgezogen.

      Allerdings nicht allein. Wenige Schritte von ihr entfernt lag ein Mann im Sand. Ein Hüne von über hundertneunzig Zentimeter Körpergröße. Seine Figur stellte die von Arnold Schwarzenegger weit in den Schatten – breite Schultern, Oberarme, deren Umfang den von Eves Schenkeln noch übertrafen, und einem gewaltigen Brustkasten, auf dem sich Berge von Brustmuskeln wölbten.

      Terrence Wolbert hieß der Mann. Ein ehemaliger Marine, der sich auf den Umgang mit automatischen Waffen genauso verstand, wie auf den Nahkampf mit bloßen Fäusten. Eves Verlag und das 92nd Street Y beteiligten sich am Honorar des Bodyguards.

      Eve legte Hut und Brille ab und stand auf. Über Handtücher, Strandmatten und zwischen Menschenmassen hindurch ging sie zum Wasser. Aus den Augenwinkeln sah sie Wolbert folgen. Seitdem er an ihr hing wie ein Schatten, fühlte sie sich sicherer. Ihre Angst schwand mit jedem Tag mehr.

      Trotzdem, dachte sie, ich kann nicht ewig mit einem Gorilla im Schlepptau durch die Landschaft ziehen. Nicht viele Leute tummelten sich im Wasser. Um diese Jahreszeit war es noch eiskalt.

      Eve stürzte sich trotzdem hinein. Sie schwamm ein Stück hinaus. Wolbert folgte ihr. Die Kälte des Wassers stieg in ihren Körper. Und in ihren Kopf. Ich werde von hier verschwinden, dachte sie, irgendwohin, wo die Leute sich nicht für Theater interessieren. Und wo ich ohne den Muskelmann sicher bin. Vielleicht nach Minnesota hinauf. Oder nach Ontario an den Lake Huron ...

      Als sie ein paar Minuten später wieder aus dem Wasser stieg, stand ihr Entschluss fest. Sie würde New York City eine Zeitlang den Rücken kehren. Ein halbes Jahr, ein Jahr – ganz egal. So lange, bis sich die Wogen wieder geglättet hatten. Arbeiten konnte sie überall.

      Von ihrem Wochenendhaus aus telefonierte sie noch am gleichen Abend mit ihrer Schwester, die einen Farmer in der Gegend von Parry Sound, Kanada geheiratet hatte. Parry Sound liegt in Ontario am Lake Huron.

      Eves Schwester bot ihr sofort ihr Wochenendhäuschen am See an.

      „Danke, Sarah‟, sagte Eve. „Ich brauche noch zwei Wochen, um meine Dinge hier zu erledigen. Danach komme ich hoch zu euch.‟

      Auf der Terrasse ihres Hauses rauchte sie später eine Zigarette. Die Dämmerung lag über dem Atlantik. In der Hollywoodschaukel am Grillplatz hockte Terrence Wolbert.

      „Noch zwei Wochen brauch ich dich, dann mach ich die Fliege‟, murmelte Eve. Zum ersten Mal seit dem Anschlag konnte sie wieder richtig durchatmen.

      17

      Es waren schräge Geschichten, die Sharon und ihr Partner Valezki produzierten. Ich hatte mir ihr neustes Comic besorgt. Der Chef hieß die erfolgreiche Serie. Die Hauptfigur, eben der Chef, kam nur als Sprechblase aus den Wolken, aus grellem Licht oder aus dem Off vor – damit war ohne Zweifel Gott gemeint.

      Der Chef hatte in diesen Geschichten eine Menge Fußvolk, die er in den Kampf gegen das Böse schickte – Pfarrer, Nonnen, Kinder, aber auch Polizisten, Alkoholiker, Schwule, Kriminelle, sogar Hunde. Auch Figuren, die ich aus dem Sonntagsschulunterricht meiner Kindheit kannte, kamen vor: Propheten und Apostel, und sogar Jesus. Auch Mohammed spielte eine Rolle. Diese Figuren traten mal als Penner, mal als Bardamen, mal als Mitglieder einer Motorradgang auf.

      Wie gesagt: Lauter abgefahrene, schräge Stories voller scharfem Spott auf Gesellschaft, Kirchen und Politik. Nicht ganz mein Geschmack, aber nicht schlecht.

      Das Comic-Heft unter dem Arm betrat ich am Abend die älteste Kneipe New York Citys – McSorley′s Old Ale House. Milo und Sharon saßen an einem runden Tisch neben dem gusseisernen Kanonenofen.

      „Wie schön, Sie wiederzusehen, Jesse‟, strahlte Sharon. Mein Zwerchfell vibrierte. „Warum hast du mir nicht gesagt, dass dein Partner noch kommt?‟, wandte sie sich an Milo.

      „Sollte eine Überraschung werden‟, knurrte der.

      Ich setzte mich zu den beiden. Es wurde ein unterhaltsamer Abend.

      Tatsächlich ließ ich mir den Comic signieren. Sharon schien stolz darauf zu sein, dass sich ein FBI-Agent für ihre Arbeit interessiert. Ich hoffte, bald Gelegenheit zu bekommen, das Missverständnis aufzuklären – mich interessierte die Frau, und sonst nichts.

      Sharon erzählte, dass sie englische Staatsbürgerin sei und in London aufgewachsen war. Sie hatte dort Cartoons für mehrere Tageszeitungen gemacht und mehr schlecht als recht davon gelebt.

      „Mein Eltern waren verflixt religiös‟, sagte sie. „Es hat mich Jahre gekostet, meinen eigenen Weg zu finden. Als junges Mädchen und als Studentin hatte ich gute Freunde, die an Mohammeds Lehren glaubten. Damals begriff ich, dass die Verbohrtheit von strengen Christen und strengen Moslems sich nicht groß unterscheidet. Und als ich dann nach New York City kam, traf ich Mike. Der ist Buddhist. Wir wollten dem verbissenen Ernst der Superfrommen etwas


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