Die Weisheit der Dichter. Manfred Ehmer

Die Weisheit der Dichter - Manfred Ehmer


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tiefe Finsternis gehüllt;

      In sie geht nach dem Tode ein,

      Wer sich sein Selbst vernichtet hat.

      Das Eine, es ist regungslos,

      Und ist doch schneller als der Geist;

      Es überholt die Laufenden,

      Obwohl es selber stillesteht.

      Es regt sich, und es regt sich nicht;

      Fern ist es, und es ist auch nah';

      Im Inneren der Dinge wirkt's,

      Und gleicherweise außerhalb.

      Und wer die Wesen allesamt

      In seinem eignen Selbst erkennt,

      Sein Selbst in allen Wesen sieht,

      Der hegt auch keinen Zweifel mehr.

      Wie kann der Weise, der erkennt,

      Wie das Selbst alle Wesen schuf,

      Wie kann er, der die Einheit schaut,

      Von Kummer angefochten sein?

      Nur er ist leibfrei, sehnenlos,

      Rein und von Übel nicht befleckt;

      Als weiser Seher, selbstentstammt,

      Hat er des Daseins Ziel erkannt.

      In blinde Finsternis geh'n ein,

      Die sich Nichtwissen auserwählt;

      In tief're Finsternis geh'n die,

      Die sich das Wissen auserwählt.

      Nichtwissen nämlich ist es nicht,

      Doch auch das Wissen ist es nicht:

      So sagten es die Weisen uns,

      Die uns hierüber einst belehrt.

      Wer Wissen und Nichtwissen sieht

      Als reine Einheit, der erlangt

      Durch Nichtwissen Sieg über den Tod

      Durch Wissen die Unsterblichkeit.

      In blinde Finsternis geh'n ein,

      Die es nach dem Entwerden drängt,

      In tief'res Dunkel jedoch die,

      Die an dem Werden sich erfreu'n!

      Entwerden nämlich ist es nicht,

      Doch auch das Werden ist es nicht:

      So sagten es die Weisen uns,

      Die uns hierüber einst belehrt.

      Wer Werden und Entwerden sieht

      Als reine Einheit, der erlangt

      Durch Entwerden Sieg über den Tod,

      Durch Werden die Unsterblichkeit.

      Mit einer goldnen Scheibe ist

      Der Wahrheit Antlitz zugedeckt;

      Enthülle, Pushan, dieses uns,

      Lass uns Recht und Wahrheit schaun!

      Oh Pushan, Seher, Yama Du,

      Und Surja, Sohn Patanjali's,

      Zerteil' Dein Strahl, verein' Dein Licht!

      Ich seh' Dich herrlich an Gestalt;

      Der Mann dort in der Sonn' bin ich!

      Mein Odem wird zum Windhauch nun

      Zum Winde, dem unsterblichen,

      In Asche endigt dieser Leib.

      Oh Geist, gedenke deines Werks!

      Oh Agni, führ uns auf dem Weg

      Zum Heil, oh pfadekund'ger Gott!

      Bewahre uns vor Fehl' und Sünd'

      Wir singen stets Dein höchstes Lob!

      So also erklingt die heilige Upanishaden-Weisheit Indiens. Im Abendland musste erst ein Meister Eckhart geboren werden, um diese geistige Höhe der Einheits-Mystik wieder zu erreichen; auch die führenden Denker des deutschen Idealismus – Fichte, Schelling, Hegel, Schopenhauer – wussten diesen Gesängen nichts Wesentliches hinzuzufügen, die vor zweieinhalb Jahrtausenden an den Ufern des Ganges und Brahmaputra angestimmt wurden. Die Mystik der Upanishaden bleibt zeitlose Weisheit, vom Flügelschlag der Ewigkeit umweht; staunend nahmen sie die Gebrüder Schlegel zur Kenntnis, als die ersten Übersetzungen Europa erreichten (das „Oupnekhat“ des Anquetil du Perron). Hellsichtig hat sich bis heute das Urteil Arthur Schopenhauers erwiesen: „In Indien fassen unsere Religionen nie und nimmermehr Wurzel: die Urweisheit des Menschengeschlechts wird nicht von den Begebenheiten in Galiläa verdrängt werden. Hingegen strömt indische Weisheit nach Europa zurück und wird eine Grundveränderung in unserem Wissen und Denken hervorbringen.“19

      In der Dichtung endlos weiten Welt

      Einem Schöpfer gleich der Dichter waltet,

      Der das All, so wie es ihm gefällt,

      Umzuschaffen weiß und neu gestaltet.

      Ist der Dichter selber liebestrunken,

      Lässt er auch die Welt in Wonne strahlen.

      Ist in ihm die Leidenschaft versunken,

      So verliert auch seine Welt den Reiz

      Das, was die Sonne und der Mond nicht sehen,

      Was weltentrückt der Yogi nicht nimmt wahr,

      Was selbst dem Blicke Brahmas kann entgehen,

      Dem Dichter einzig ist es offenbar.

      Dichtkunstregeln lernen auch die Toren,

      Wenn ein Lehrer klug sie unterweist,

      Ein Gedicht wird aber nur geboren,

      Wenn erleuchtet ist des Dichters Geist.

      Heil den großen zaubertönigen

      Herzbewegenden Dichterkönigen,

      Deren Körper, den Ruhm, den hohen,

      Niemals Alter und Tod bedrohen.20

      Verse wie die hier angeführten lassen erahnen, welche hohe Achtung auch der lyrische Dichter im Alten Indien genossen haben muss. Eine intuitive Fähigkeit, pratibha, befähigt ihn, Dinge zu erschauen, die dem Auge des gewöhnlichen Sterblichen verborgen blieben; er allein vermag Zusammenhänge aufzudecken, die ein anderer nicht zu erfassen vermag. Diese ihm zuteil gewordene Gabe wirkt wie eine Naturkraft; deshalb ist er selbst außerstande, sein eigenes Werk zu erklären, und muss dies dem Kritiker überlassen. Wenn vom Dichter gesagt wird, dass er „einem Schöpfer gleich“ waltet, so erscheint er in einzigartiger Weise über die Sphäre aller Sterblichen hinausgehoben und in seiner Schöpferkraft nur Gott allein gleichgestellt, da er in seinem Geist ein ganzes All zu erdenken und umzuschaffen vermag.

      Das Ramayana – Indiens

      großes Märchen-Epos

      Unter den Perlen der altindischen Literatur sticht das Ramayana (Sanskr. wörtl. „Der Lebenslauf des Rama“) besonders hervor, als eine einmalige Kulturleistung – ein großes, bunt schillerndes Märchen-Epos, das vom göttlichen Sonnenhelden Rama, seiner geraubten Gattin Sita und den rettenden Taten des Großen Affen Hanuman zu berichten weiß. Es ist eigentlich kein Göttermythos, sondern eher ein Helden-Epos, und zu einem Großteil einfach auch ein Märchen – allerdings ein monumentales Märchen, das sich in sieben Abschnitte oder Bücher („Kandas“) gliedert mit insgesamt 24.000 Doppelversen, damit wohl das längste Märchen aller Zeiten. Das Werk wird dem Weisen („Rishi“) Valmiki zugeschrieben, der jedoch nur eine legendäre Person ist; die ältere reinere Fassung stammt aus Nordindien aus dem 4. Jh. v. Chr., und es erfuhr in den folgenden Jahrhunderten in Bengalen wesentliche Veränderungen.


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