Chinesische Medizin 1. Michael Kotsch

Chinesische Medizin 1 - Michael Kotsch


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erfasst der Schweizer Arzt und Psychologe C.G. Jung Tragweite und mögliche Gefahr umfassender Aufnahme östlichen Gedankenguts scharf: „Man bedenke, was es heißt, wenn der praktische Arzt, der ganz unmittelbar mit dem leidenden und darum empfänglichen Menschen zu tun hat, Fühlung mit östlichen Heilsystemen nimmt! So dringt der Geist des Ostens durch alle Poren ein und erreicht die wundesten Stellen Europas. Es könnte eine gefährliche Infektion sein, vielleicht ist es aber auch ein Heilmittel.”8

       2. Geschichte der chinesischen Medizin

      „Ganz am Anfang … war der Kosmos mit Gas angefüllt, aus dem sich zusehends im Laufe der Zeit ein überdimensional großes Ei aus Stein herausbildete. Das aus diesem Ei geborene Wesen hieß Pan Gu. … Mit dem Meißel in der Hand und einem Hammer in der anderen machte sich Pan Gu daran, das steinerne Ei in zwei Hälften, eine obere und eine untere zu zerteilen. Aus der oberen Hälfte wurde der Himmel und aus der unteren die Erde. Nach getaner Arbeit verstarb Pan Gu, und aus seinen Augen entstanden Sonne und Mond, aus seinem Atem wurden Wind und Wolken und aus seiner Stimme der Donner…. Sein Schweiß fiel als Regen zur Erde hernieder, und die Flöhe und Läuse an seinem Körper sind die Urformen alles erschaffenen Lebens.”9

      In der nun entstanden paradiesischen Welt lebten die Menschen ohne Sorgen, soziale Konflikte und Krankheit. Nacheinander herrschten der Himmlische Kaiser (Tianhuang), der Irdische Kaiser (Dihuang) und der Menschliche Kaiser (Renhuang).

      Nach chinesischer Überlieferung lebten in ungewisser Vorzeit zehn Medizinkönige10, denen in zahlreichen Städten Tempel gebaut wurden, in denen die Bevölkerung ihren Geistern opfert und sie um Hilfe bei Krankheit bittet.

      Beherrscht wird diese Epoche von der dämonistischen Medizin der Chou- Zeit. „Die Heilkunde jener Zeit versteht Krankheit als Resultat feindseliger, dämonischer Angriffe…. Dämonen sind böswillige Geister, die den Körper des von ihnen heimgesuchten Menschen ”besetzen”. Krankheit ist Besessenheit in diesem Sinne. Folgerichtig müssen sich auch die therapeutischen Methoden einer Dämonenmedizin magischer Elemente bedienen. So finden wir Amulette, Talismane (Fu) oder Siegel (Yin) als Vertreiber des dämonischen Übels. Bannsprüche und Besprechungsformeln tauchen auf, und auch Arzneimittel gegen den Einfluss dämonischer Geister werden entwickelt.”11

      In dieser Zeit entsteht die grundlegende Philosophie der TCM, die Konzepte von yin und yang und der fünf Elemente, der fünf Töne, fünf Geschmäcker, sechs Energien und acht Winde, der Lebensenergie Qi und der zirkulierenden Körperflüssigkeiten. Prägend war eine Mischung der empirisch erhobenen medizinischen Daten mit kosmogenen und geomantischen Interpretationen, die auf eine Harmonisierung mit der Natur abzielten.

      Als eigentliche Begründer der chinesischen Heilkunde aber gelten die mythischen Urkaiser Shennong (Göttlicher Bauer) und Hu-angdi (Gelber Kaiser), die vor 5000 Jahren gelebt haben sollen.12 Shennong galt als Schutzgott der Drogenhändler (Pharmazeuten), ihm wurden an jedem Tag mit Voll- oder Neumond Opfer gebracht. In seinem Namen wurde „Die klassische Pharmakopöe des gestaltenden Landmannes” geschrieben. Der „Innere Klassiker des Gelben Fürsten” wird Huangdi zugeschrieben. Bei dem wahrscheinlich erst um 300 v.Chr. verfassten Werk handelt es sich um das am häufigsten zitierte Werk der chinesischen Medizingeschichte. In seinem ersten Teil behandelt er elementare Fragen des chinesischen Medizinverständnisses. Der zweite Teil wird „Angelpunkt der Struktivkraft” oder auch „Äußerer Klassiker” genannt. In diesem Werk finden sich die Grundlagen chinesischer Medizin: die Lehre von den Funktionskreisen, das System der Leitbahnen und der auf ihnen liegenden Reizpunkte und der Gedanke der Abhängigkeit der Krankheiten von äußeren Agentien und inneren Faktoren.

      Obwohl der Taoismus dem Gelehrten Laotse zugesprochen wird, tauchen einzelne Elemente taoistischer Lehre auch schon beim „Gelben Fürsten” auf. Dabei geht es vor allem darum, sich mit den Regeln der Natur vertraut zu machen, um die Vorgänge auf der Erde und im Menschen in ihrem kosmischen Zusammenhang zu verstehen. „Der Graf von Qi antwortete: Die Menschen des hohen Altertums kannten das tao; sie orientierten sich am yin und yang und erzielten Harmonie durch Technik und Zahl. Im Essen und Trinken waren sie maßvoll, in ihrer Lebensführung befolgten sie eine stete Regel … Was bei den Zeitgenossen die Langlebigkeit verhindert, ist das Streben nach bewusstem Genuss und das Versäumnis, sich mit den Regeln der Natur vertraut zu machen, sich ihnen zu unterwerfen. Dadurch wird fortgesetzt das konstitutionelle Energiepotential über Gebühr angegriffen.”13 „Für das gesundheitliche Wohlbefinden ist den Taoisten also eine vollständige Harmonie zwischen Mensch und Kosmos, zwischen Mensch und Natur von höchster Wichtigkeit. Dieses Einvernehmen trachteten sie mit allen Mitteln aufrechtzuerhalten: mit hygienischen, diätetischen, medizinischen und später zuweilen wieder mit magischen.”14

      In dieser Zeit werden erstmals metallgefertigte Nadeln statt der bis dahin üblicheren steinernen eingesetzt. Akupunktur, Moxibustion und Kräutermedizin sind die weitverbreiteten medizinischen Therapieformen. Die empirischen Beobachtungen werden durch den Konfuzianismus erstmals für eine spekulativ philosophische Medizin in den Hintergrund gerückt. Erstmals werden nach unserem bisherigen Wissen in dieser Zeit die Lehren der TCM schriftlich niedergelegt.

      Der Konfuzianismus prägte als Staatsphilosophie seit dem 2.Jahrhundert v.Chr. auch die medizinischen Vorstellungen. Die Gelehrten konzentrierten sich auf soziale und ethische Fragen. In rationaler Spekulation wurden zahlreiche Ordnungen entwickelt, um die zwischenmenschlichen Beziehungen zu regeln. Die Beobachtung der Natur wurde zur Nebensache und Ärzte wurden bestenfalls als geschickte Handwerker angesehen. Zahlreiche Überlieferungen aus dieser Zeit berichten allerdings von dem außergewöhnlichen Können dieser Ärzte. Demnach vermochte es der Arzt Bian Que beispielsweise, den todkranken Kronprinzen von Guo durch heiße Umschläge und verschiedene Medikamente zu heilen. Ein anderes Mal warnte er den Herzog von Qi vor einer noch nicht zum Ausbruch gekommene Krankheit. Da dieser noch keine Anzeichen der Krankheit wahrnahm, schlug er die Warnung in den Wind und verstarb kurze Zeit später. Obwohl das Wissen des Arztes in jener Zeit geheim gehalten wurde, soll jener Bian Que ein „Buch über den Puls” verfasst und zahlreiche Schüler in der richtigen Interpretation des Pulses unterrichtet haben. Seine Lehren wurden in dem 200 n.Chr. geschriebenen „Klassiker der Einwände” (Nanjing) überliefert. Hier werden medizinische Beobachtungen mit weltanschaulichen Vorstellungen erklärt. Zum Beispiel: „Woher kommt es, dass beim Menschen nur das Gesicht gegen Kälte widerstandsfähig ist? Beim Menschen ist der Kopf die Sammelstelle für alles yang. Alle yin- Leitbahnen führen nur bis zum Hals und kehren dann zur Brust um; allein die yang- Leitbahnen führen bis zum Kopf. Das ist der Grund für die Widerstandsfähigkeit des Gesichts gegen Kälte.”15

      Dieser Zeitabschnitt zeichnet sich durch weitere Systematisie-rungsversuche und Zusammenfassungen des bis dahin angesammelten Wissens aus. Erstmals werden Akupunkturpunkte standardisiert und die Pulstheorie als Diagnoseform ausgearbeitet. In diesen Jahrhunderten überwiegen Akupunktur und Moxibustion als von chinesischen Ärzten angewandte Therapieformen.

      Im 2.Jahrhundert n.Chr. verfasste der als Weiser der Medizin bis heute verehrte Zhang Zhongjing seine „Abhandlung über schädigende Kälte und andere Krankheiten” (Shanhan zabinglun). In den dort enthaltenen 22 Abhandlungen nennt er 400 Regeln für die Behandlung von Krankheiten, 113 Rezepte für Arzneimittel, Hinweise über therapeutisches


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