Ace in Space. Judith C. Vogt
Arroganz aussah, aber sie war nun einmal gut. Verdammt gut. Vielleicht einfach die Beste.
Und dennoch: Auch im Trainingsmodus konnte diese arrogante Tollkühnheit sie das Leben kosten, warnte eine leise Stimme in ihrem Kopf. Das unkontrollierte Manöver hätte auch in einer katastrophalen Kollision enden können, und das alles nur für einen Fake-Abschuss, um zu klären, wer die dickeren Eier in Stock oder Hose hatte. Dennoch erlaubte sie sich ein kurzes Lächeln. Dieses archao-anarchische Umfeld ihrer lange ignorierten Mutter, die ebenso ungeschriebenen wie ihr unbekannten neuen Regeln, all das war hier und jetzt vergessen.
Zum Glück war ihre Konkurrenz entweder geil darauf, sie fertigzumachen, oder Danai hatte sie mit Neans schnellem Abschuss aufgestachelt: Sie konzentrierten sich jetzt ganz auf die Jagd und verschwendeten keinen Gedanken an Staffeltaktik. Einer der beiden hätte sie ablenken, sich als Ziel präsentieren oder sie in eine Serie von Scherenmanöver verwickeln können, während die andere ihre Maschine in Ruhe ins Visier nahm: ein klassisches Sandwich. Da sie das nicht taten, hatten sie zwar beide eine starke Position, aber damit konnten sie Danai weder überraschen noch aus der Reserve locken. Trotzdem durfte sie jetzt nicht zulassen, dass es sich die beiden Prospects dort hinten gemütlich machten. Früher oder später würden sie sich auf sie einschießen.
Wie, um das zu bezeugen, sah sie blaue Funkenentladungen auf der langgezogenen Nase ihrer Slipstream aufflackern. Nicht genug, dass das System sie als zerstört verbuchte, aber genügend Motivation, diese Sache rasch zu beenden. Sie setzte zu einer Fassrolle an: Während sie den Schubregler zu sich zog und am Steuerknüppel riss, feuerte sie die Bremstriebwerke und die Manöverdüsen. Die beiden Prospects versuchten, ihr zu folgen, aber sie gingen nicht so weit wie Danai, setzten ihre Körper nicht der Belastung eines derart heftigen Richtungswechsels aus. Die G-Kräfte, die trotz Kompensator zu ihr durchkamen, zogen an ihr, pressten die Luft aus ihren Lungen und das Blut aus ihrem Hirn. Die Welt wurde erst in ein blasses, dann ein tiefes Rot getaucht, Danai fühlte den Rand einer Ohnmacht locken und grinste: Keine große Sache, nichts, was sie nicht schon hunderte Male geübt hätte. Wenn sie ehrlich mit sich war, liebte sie diesen Moment, in dem sie den Grenzen ihres eigenen Körpers nah kam, er war etwas ganz und gar Außergewöhnliches – ihr Sichtfeld zog sich so weit zusammen, dass sie kurz davor war, sich selbst im All zu verlieren. Dann ließ der Druck in ihrem Schädel schlagartig nach. Sie sog die Luft ein, Euphorie und die Lust an der Angst vor dem Kontrollverlust fluteten ihre Adern. Und der Einsatz lohnte sich. Während sich die beiden Prospects noch in der Rolle befanden, setzte sich Danai hinter sie. Einer der beiden Chopper tauchte direkt im Fadenkreuz ihres Zielsystems auf.
Feuer.
Treffer!
Ziel zerstört.
Sie erlaubte sich ein erneutes Grinsen.
***
»Tabs? Melden, Tabs!« Das Comm schwieg ihn an. Tabs war raus.
Was für eine verdammte Killerpilotin! Wie konnte es sein, dass die ganze Sache noch keine Minute dauerte, in der sie bereits seine beiden Wingpals erledigt hatte? So etwas hatte Kian noch nie erlebt. Princess würde heute den Tag ihres Lebens haben, nachdem sie ihnen diese Abreibung verpasst hatte. Drei gegen eine – was bei allen verglühenden Sonnen war hier gerade passiert?
»Verdammte fick-smash Kackscheiße! Diese verfluchte Frakster!«, verbalisierte er seinen Frust ins Comm. Keine Antwort. Sowohl seine deaktivierten Flügelbros als auch seine Gegnerin schwiegen. Das war überhaupt das Schlimmste daran: Princess führte sie hier vor, schoss sie ab wie blutige Laien, vermieste ihnen die Aufnahme als Vollmitglied – und noch schlimmer: War es möglich, dass sie das Ganze nicht einmal streamte? Ein unglaubliches Beispiel an fliegerischem Können, undokumentiert? Die geistreicheren Spitzen, die Kian am Anfang des Kurvenkampfs vom Stapel gelassen hatte, waren ins Leere gesendet worden, unerwidert! Er konnte es nicht fassen.
Wenn dieses Vid getrendet wäre, hätte Kian trotz Niederlage davon profitiert. Aber diese Konzerngöre war nichts weiter als eine Frakster, die beiläufig Jäger aus dem All pustete – ohne Respekt für die Lebensart der Chopper-Jockeys. Ihr halsbrecherischer, angeberischer Scheiß hatte sie obendrein unnötig gefährdet – in einem Übungsduell. Und sie antwortete noch nicht einmal, immer noch nicht! Kian war außer sich, und das wurde auch nicht besser, als er das nur nachlässig abgekratzte Konzernlogo auf ihrer Hülle erkannte, während die Maschine über ihn hinwegschoss. Sie hatte nicht einmal genug … genug Spirit, um es richtig zu entfernen oder mit einem Paintjob zu verbergen (oder verbergen zu lassen, die Sterne wussten, dass sich die Zwillinge um so was rissen!).
Kians Manta war ein Aufklärer und leichter Bomber, kein Raumüberlegenheitsjäger. Ohne Flügelbro hatte er keine Chance gegen diese Pilotin und diesen wendigen Chopper. Resigniert nahm er die Hände von den Kontrollen und ließ sich im Sitz zurücksinken. Er wartete darauf, dass jetzt jeden Moment alle Systeme um ihn herum schwarz werden würden, vielleicht bis auf eine blinkende Nachricht, die ihn verhöhnen würde: »Du wurdest zerstört, Loser!« Aber die Sekunden verstrichen, ohne dass etwas geschah. Er blickte sich um. Überrascht entdeckte er Danai ganz nah: Sie flog rechts neben seinem Chopper, parallel zu seinem Kurs, und blickte in ihrem schlichten Druckhelm, an dem alles bis auf die auch hier abgekratzten Logos »Corp-Turf« schrie, zu Kian ins Cockpit.
Jetzt schaltete sie ihr Comm doch an. »Prophet«, hörte er ihre Stimme.
»Princess. Keine Lust auf einen weiteren Trainingssieg?«
»Nicht nötig. Ich denke, es ist jetzt klar, wer von uns das Ass im Ärmel der Daredevils ist. Es ist auch klar, warum auf meiner Jacke ›Jockey‹ steht und auf deiner ›Prospect‹. Und dass das nichts, aber auch gar nichts, mit meiner Mama zu tun hat. Haben wir uns verstanden?«
»Offensichtlich«, gab Kian zerknirscht zu. Er war nicht mal mehr wütend, eher fühlte er sich beschämt. Verlieren war eine Sache, aber wie hatten sie sich so vorführen lassen können?
»Hey, Princess! Warum hast du nichts davon gestreamt? Bist du ’ne Frakster, die es nicht nötig hat, oder was?«, setzte er noch nach.
Ein kurzes Schweigen. Dann, es klang beinahe nachdenklich: »Weißt du was, Typ, ich hab noch nicht mal einen verdammten Account.«
Danai starrte auf das Tablet.
Das flexible Polymer war bis auf einen schmalen schwarzen Streifen am linken Rand durchsichtig, sodass sie die Tischplatte darunter sehen konnte: Aluminium, irgendwann einmal glattpoliert, mittlerweile zerkratzt und von hässlichen Flecken übersät. Das war nun ihr Tisch. In ihrer Kabine. In einer Asteroidenstation, deren taumelnde Schwerkraft ihr immer noch ein mulmiges Gefühl gab, sobald sie die Schwerelosigkeit ihres Choppers hinter sich ließ und Hangarboden betrat. Eine schmale Tür führte in eine winzige Nasszelle, in der sich alles Notwendige aus den Wänden klappen ließ. Der Rest des Raums war nicht viel größer: ein Bett, das gleichzeitig als Schrank diente – gerade stand es aufgestellt an der Wand, aber mit dem Lösen zweier Hebel und einem kräftigen Ruck konnte sie es herabziehen und dann auf einer sich bedauerlicherweise nicht mehr auf ihre Körperform anpassenden Formschaum-Matratze auf der Rückseite des Schranks schlafen. Im Schrank befanden sich Gurte, um die Klamotten zu befestigen. Da sie erst nicht gewusst hatte, wozu diese gut waren, waren ihre wenigen Besitztümer durcheinandergepurzelt, als sie sich von der grimmigen Garuda hatte zeigen lassen, wie sie in diesem Albtraum von beengter Kabine schlafen konnte.
Garuda hatte sie zufällig im Korridor getroffen. Die hagere Frau mit den Dreadlocks und dem Dämonenvogel, der auf ihren Rücken tätowiert war und seine Arme um ihren Hals geschlungen hatte, hatte zwar mehr Abneigung für Mama übrig als für Danai, aber sie ließ auch Danai deutlich spüren, dass sie nicht wusste, was diese in der Gang zu suchen hatte.
Danai wusste es selbst nicht.
Zu den wenigen Gelegenheiten, zu denen sie sich »planetside« im Hadronic HQ befunden hatte, hatte sie ein Zimmer mit Fenster bewohnt. Klar, Papa hatte dafür gesorgt, nur das Beste für sie, nicht wahr?
Um gewisse Dinge hatte sich immer Papa gekümmert. Und jetzt kümmerte Mama sich um sie. Sie war einunddreißig, verdammt! Es war deprimierend.
Deprimierend wie das ausgeschaltete, durchsichtige