Laufen lieben lernen. Iris Hadbawnik
Langstreckenlauf – vom Halbmarathon und Marathon über den Ironman bis hin zu Ultraläufen mit einer Streckenlänge von bis zu 168 Kilometern nonstop. Ich weiß, wie wichtig es ist, möglichst effektiv, kraftsparend und verletzungsfrei zu laufen, um selbst einen Ultralauf genießen zu können. Und ich schreibe über Erfahrungen aus meinem Coaching mit vielen Laufanfängern, die mit den gleichen Unsicherheiten und Fragen konfrontiert werden, wie du vielleicht gerade. Ich verzichte hier bewusst auf zu viele Fachbegriffe und langatmige wissenschaftliche Erklärungen, denn genau das hat mich bei meinem Laufbeginn in vielen Büchern am meisten gestört. Damals wollte ich einfaches praktisches Wissen, das ich direkt in die Tat umsetzen konnte und mich durch keine theoretischen Grundlagen quälen. Aus diesem Grund habe ich die Kapitel von „Laufen lieben lernen“ mit vielen Praxistipps gespickt. Bitte versuche, alle Übungen mindestens einmal zu absolvieren, und übernimm die in dein Lauftraining, die sich für dich gut und richtig anfühlen.
Dieses Buch soll dir ein Anreiz sein, das Abenteuer Laufen zu beginnen. Es soll dich dabei unterstützen, deinen eigenen Laufstil zu finden – und vor allem zu fühlen – sowie dir das nötige Rüstzeug geben, um dauerhaft die „Leidenschaft Laufen“ zu leben.
Warm-up: Der Beginn einer großen Leidenschaft
Früher habe ich das Laufen gehasst. Okay, das ist vielleicht etwas krass ausgedrückt – aber im Prinzip war es viele Jahre so, dass ich zwar gelaufen bin, aber das Laufen an sich überhaupt nicht mochte. Ich lief, weil meine Kolleginnen der Universitätsbibliothek Kaiserslautern, in der ich damals arbeitete, einen Lauftreff ins Leben gerufen hatten. Also schloss ich mich an und lief mit – damit wir uns treffen und miteinander reden konnten, aber nicht um des Laufens willen. Später lief ich, weil ich einen Typen in einer anderen Laufgruppe süß fand und ihm dadurch nah sein konnte (dass er das nie bemerkt hat und Jahre später aus allen Wolken fiel, als ich im davon erzählte, ist eine ganz andere Geschichte…). Und ich lief, weil meine Freundin Christine mich immer wieder dazu drängte. Aber ich lief nie aus eigenem Antrieb. Das Laufen hat mich einfach nicht weiter interessiert. Ich lief, weil man dies damals eben so tat, weil das Laufen irgendwie in Mode kam. Aber nicht, weil ich es unbedingt wollte und Spaß daran hatte. Ich weiß noch genau, wie eine Kollegin mir erzählte, dass sie demnächst beim Berlin Marathon starten würde. Ich sagte Dinge wie: „Ah, wie toll“ und: „Viel Spaß dabei“. Aber im Grunde berührte mich das kaum. Das war Mitte der 1990er Jahre.
Anfang 1999 zog ich aufgrund eines Jobangebotes nach Frankfurt am Main. Ich kündigte meinen Beamtenjob und war nach meinem nebenberuflichen BWL-Studium in die Frankfurter Finanzbranche gewechselt. Ein Traumjob, wie ich anfangs dachte. Eineinhalb Jahre später war ich eines Besseren belehrt. Da stand ich nun, war immer gestresst, hatte ein paar Kilo zu viel auf den Hüften, diverse gescheiterte Beziehungen und außer meinen Bürokollegen keine wirklichen Freunde in unmittelbarer Nähe. Kurzum: Ich war richtig unzufrieden mit mir, meinem Körper und meinem Leben. Wenn ich heute eingehender darüber nachdenke, stand ich mit ziemlicher Sicherheit kurz vor einer Depression. Ich trank ein wenig zu viel Alkohol, heulte ein wenig zu oft bei den kleinsten Anlässen, hatte keinerlei Antrieb und stopfte ein wenig zu viel Junkfood in mich hinein. In Kaiserslautern war ich abends oft mit Freunden unterwegs, war jahrelang regelmäßig ins Sportstudio gegangen, hatte alle möglichen Fitnesskurse besucht und Squash gespielt, aber in Frankfurt waren mir die Angebote zu teuer und der zeitliche Aufwand schlichtweg zu groß. Wie sollte das auch funktionieren, nach einem stressigen 10-Stunden-Tag im Büro? Wer konnte sich da schon noch aufraffen? Doch als die Not schließlich immer größer und die Zahl auf der Waage immer höher wurde, fiel mir irgendwann das Laufen wieder ein...
Es war ein Sonntag, als ich meine alten Laufschuhe herauskramte – oder das, was ich damals für Laufschuhe hielt – und einfach mal loslief. Ich schnaufte schwer, schaffte es kaum bis zum nahegelegenen Fluss (das sind immerhin satte 500 Meter!) und wechselte ziemlich schnell und mit hochrotem Kopf in den Geh-Modus. Ich war schockiert! Wo war meine Fitness geblieben? Früher konnte ich aus dem Stand heraus immer eine Stunde am Stück laufen, doch nun schien meine komplette Kondition dahin. X-mal versuchte ich an diesem Tag, in einen lockeren Trab zu fallen, doch immer wieder musste ich nach kürzester Zeit kapitulieren und völlig außer Atem ein Stück gehen. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Nach 30 Minuten gab ich auf und schlich völlig deprimiert nach Hause.
Nach dem ersten Schock hatte die Aktion jedoch eines geweckt: meinen Ehrgeiz. Es konnte doch wohl nicht wahr sein, dass ich innerhalb so kurzer Zeit meine komplette körperliche Fitness verloren hatte!? Das war ein riesiges Desaster! Ich war damals Ende 20 und hatte die Kondition einer Couchpotato. Das musste sich ändern - und am besten sofort! Doch ganz so einfach ging es dann doch nicht, und es war ein hartes Stück Arbeit, mich mit Laufen und Gehen im Wechsel wieder auf Trab zu bringen. Schritt für Schritt steigerte ich mich, und nach ein paar Wochen schaffte ich es immerhin, wieder eine Stunde am Stück durchzulaufen. Wenn auch sehr, sehr langsam. Aber das war mir egal. Die 60-Minuten-Hürde war geschafft, und das machte mich sehr stolz. Doch was jetzt? Nach ein paar weiteren Monaten spürte ich, dass ich ein neues Ziel brauchte, um mich weiterhin zu motivieren. Und so fragte ich mich, ob es denn nicht möglich sei, einfach mal 90 Minuten am Stück zu laufen? Als ich dies bewältigt hatte, war ich glückselig. Doch irgendwann wollte ich den nächsten Schritt wagen und wissen, wie es wohl wäre, die 2-Stunden-Marke zu knacken. Dabei ging es mir nicht darum, eine gewisse Strecke zurückzulegen, sondern einfach nur, 2 Stunden im Laufschritt auf den Beinen zu sein. Das war eine ziemlich große Sache. Aufgeregt lief ich früh am Morgen los und wählte ein sehr, sehr gemächliches Tempo. Doch es lief nicht wie erwartet. Mehrmals zweifelte ich an der Sinnhaftigkeit der Unternehmung. Kein Mensch musste 2 Stunden laufen können, kam mir in den Sinn. Eine Stunde reicht doch vollkommen aus, bereits das war doch schließlich mehr, als der Durchschnittsdeutsche schaffte… Ich könnte jetzt einfach umkehren, heimlaufen, und niemand musste je von meinem „Scheitern“ erfahren… Und ich hätte es damals wirklich als ein Scheitern empfunden. Zuhause könnte ich schön auf der bequemen Couch sitzen und meinen Kaffee genießen… Ganz in Ruhe. Und vor allem auch die Beine hochlegen! Meine Gedanken gingen kreuz und quer, und ich weiß nicht warum, aber irgendwie hielt ich an diesem Morgen durch. Ich wollte mir einfach nur beweisen, dass ich es konnte. Und tatsächlich: Zu meiner eigenen Verwunderung schaffte ich es, die kompletten 120 Minuten durchzuhalten. Mann, war ich da stolz auf mich! Dabei war es weniger eine körperliche als eine mentale Herausforderung. Zudem hatte ich etwas bewältigt, was Monate zuvor noch unvorstellbar erschien. Ich war nicht schnell, aber ich hatte mein persönliches Ziel erreicht – und dabei immerhin 14 Kilometer zurückgelegt. Noch im Freudentaumel kam der Gedanke auf: Du kannst alles schaffen, wenn du es nur wirklich willst – und hart dafür arbeitest! Mit anderen Worten: Ich hatte plötzlich das Gefühl, die ganze Welt stehe mir offen.
Spätestens da hatte mich das Lauffieber gepackt. Ich abonnierte Laufzeitschriften und wechselte von meinen alten Puma-Hallenschuhen zu richtigen Adidas-Laufschuhen – dem Cairo, den ich mir damals für unglaubliche 90 D-Mark leistete. Aber es hatte sich noch weitaus mehr verändert: Ich war viel ausgeglichener, weniger gestresst und konnte besser schlafen. Ich fand auch meinen „alten“ Antrieb wieder und den Spaß an der Arbeit. Das Laufen war zudem zu einer Art Meditation für mich geworden, die mich auf eine gewisse Art „erdete“. Nach 3 Tagen ohne Bewegung wurde ich unruhig, irgendwas fehlte, und ich spürte, dass es mich in die Natur zog. Nicht unbedingt der Anstrengung wegen, sondern weil ich einfach mit mir alleine sein konnte. Weil ich mich beim Laufen frei und unbeschwert fühlte.
Dass ich in dieser Zeit auch wieder mein altes Gewicht erreichte, war nur einer von sehr, sehr vielen positiven Nebeneffekten. Ich konnte plötzlich essen was ich wollte – und das mit vollem Genuss.
Ich weiß nicht wie, aber ich werde es schaffen
Es muss irgendwann im Frühsommer 2002 gewesen sein, als ich in der Zeitschrift Runners World einen Laufbericht von Manfred Krämer über seine Teilnahme am 73 km langen Rennsteiglauf