Laufen lieben lernen. Iris Hadbawnik

Laufen lieben lernen - Iris Hadbawnik


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      Die Erschöpfung und die Enttäuschung über meinen ersten Marathon standen mir deutlich ins Gesicht geschrieben.

      Auch am nächsten Tag hielt sich meine Euphorie über den erfolgreichen Marathonlauf in Grenzen. Beide Füße waren so dick geschwollen, jede einzelne Zelle meines Körpers tat so unendlich weh, dass ich mich schon darüber freute, überhaupt aus dem Bett aufstehen und humpelnd ein paar Schritte zurücklegen zu können. Und das sollte sich auch so schnell nicht ändern. In den folgenden 6 Wochen war an Laufen überhaupt nicht zu denken, so sehr schmerzten nach wie vor meine Knöchel, so mühsam war jeder Schritt. Danach dauerte es weitere 6 Wochen, bis ich auch vom Kopf her wieder dazu in der Lage war, wenigstens 5 Kilometer am Stück zu laufen. Oh Mann, das hatte ich mir alles ganz anders vorgestellt!

      Warum berichte ich hier von meinen Qualen? Sollte ich in einem Buch für Anfänger nicht lieber zum Laufen animieren – und von dessen Freuden und Vorteilen schreiben? Was ich allen Laufanfängern mit auf den Weg geben möchte, ist: Laufen ist der schönste Sport der Welt. Aber man kann auch sehr, sehr, sehr viele Fehler dabei begehen. Insbesondere am Anfang. Dann, wenn man übermotiviert ist und in kurzer Zeit zu viel erreichen möchte. Dann nämlich kann das Laufen auch sehr schädlich sein. Nicht nur für Bänder, Sehnen und Gelenke, sondern auch für das gesamte Herz-Kreislauf-System. Ich möchte mit diesem Buch bewirken, dass DU deine ganz eigene Leidenschaft für das Laufen entwickeln kannst. Finde deinen eigenen Sinn darin, den Spaß und die Liebe dafür. Lies‘ von meinen ganz persönlichen Erfahrungen, und lerne, den für dich richtigen Weg einzuschlagen. Setze dir gerne hohe Ziele, doch sollten sie immer im Bereich des Machbaren liegen - und vor allem mit deiner individuellen Leistungsfähigkeit gesundheitlich unbedenklich erreichbar sein.

       Nie wieder! ODER doch?

      Es heißt, die Verklärung beginnt nach der Ziellinie. Bei mir dauerte dieser Prozess zwar etwas länger, doch je mehr Zeit nach meinem Marathondebüt verstrich, desto öfter kam mir der Gedanke: „So schlimm war es doch eigentlich gar nicht… oder?“ Im Gegenteil, es war doch alleine schon ein schönes Gefühl zu wissen, dass ich es geschafft hatte. Gut ein Drittel der Deutschen läuft regelmäßig, aber nur etwa 100.000 Menschen sind Marathonläufer – und ich war einer von ihnen. Alleine das machte mich stolz. Und wer weiß, überlegte ich, vielleicht wäre der zweite Start ja auch nicht mehr ganz so anstrengend…!? Sobald diese erste feine Gedankensaat gelegt war, kam wenig später auch schon die Handlung: Ende Januar meldete ich mich für den Mainz Marathon im folgenden Mai an.

      Wieder bereitete ich mich so gut ich es damals wusste auf den Wettkampf vor. Wieder ging ich frohen Mutes an den Start, und wieder wurde mir nach einer gewissen Zeit schlagartig bewusst, wie sehr ich mich geirrt hatte. Auch der zweite Marathon war eine Qual! Das lag zum Teil sicher auch erneut (!) an den äußeren Umständen, denn genau an diesem Tag brach der Frühsommer mit voller Wucht über uns herein. Unter wolkenlosem Himmel kämpften die Läufer eine mühsame Hitzeschlacht – ein jeder für sich selbst. Und meines Erachtens litt ich von allen am meisten darunter, denn darauf war ich nun überhaupt nicht vorbereitet. Ich wusste schlicht nicht, wie ich auf solch heiße Temperaturen reagieren sollte und was mein Körper an Flüssigkeit benötigte. Das Ende vom Lied war: Ich schleppte mich völlig platt über die Laufstrecke und erreichte das Ziel saft- und kraftlos lediglich 10 Minuten schneller als bei meinem ersten Marathon… was für eine Enttäuschung!

      Die Hitzeschlacht beim Mainz Marathon 2003: Lauf-Euphorie sieht anders aus.

      Doch sie dauerte nur kurz. Denn bereits nach wenigen Tagen hatte ich die Qualen des Laufes und meine Unzufriedenheit komplett vergessen, und schnell war mir klar: Ich versuche es noch ein weiteres Mal und gehe noch ein einziges Mal an den Start. Ich weiß nicht, was mich damals ritt. Ich hatte mich bei meinen Marathonläufen körperlich so gequält, wie nie zuvor in meinem Leben. Warum wollte ich mir das noch ein weiteres Mal antun? Ich könnte doch einfach meine Lektion lernen und den Schlussstrich ziehen. Schließlich hatte ich es probiert, aber Marathon schien einfach nicht mein Ding zu sein. Basta! Thema beendet! Doch ich glaube, es war damals eher die mentale Komponente. Noch immer war da diese Unruhe in mir: Es konnte doch nicht sein, dass ich stets euphorische Berichte über die Leichtigkeit des Marathonlaufens las, über magische Zieleinläufe und unendliche Glücksgefühle, die sich bei (fast) allen anderen einzustellen schienen, während der Marathon für mich immer wieder in einem Desaster endete.

      Wieder sollte es der Frankfurt Marathon im Oktober sein, wieder bereitete ich mich gewissenhaft darauf vor, wieder freute ich mich mit jeder Faser meines Körpers auf den Start - und was soll ich sagen: Diesmal platzte der Knoten! Aber so richtig! Es passte einfach alles! Ich genoss jeden Schritt, hatte riesigen Spaß dabei, musste kaum Gehpausen einlegen und lief am Ende völlig high und überglücklich ins Ziel. Ab da war mir klar: Ich hatte meine Leidenschaft gefunden! Es war ein harter und steiniger Weg. Ich musste viele Rückschläge einstecken, doch es schien, als hätte sich mein Durchhaltewillen nun doppelt ausgezahlt.

      Bei meinem zweiten Start in Frankfurt (2003) konnte ich selbst bei Kilometer 29 noch lachen & lief am Ende in 4:23 h ins Ziel.

      Wenn du laufen willst, lauf einen Kilometer. Wenn du ein neues Leben kennenlernen willst, dann lauf Marathon. Emil Zatopek

      Was danach passierte, ist typisch für so manche Läuferkarriere: Ich tappte in die Leistungsfalle. Startete ich in den folgenden Jahren bei einem Wettkampf, wollte ich jedes Mal schneller sein als zuvor und meine alte Bestmarke übertrumpfen. Verbissen trainierte ich darauf hin. Gelang das nicht, war ich enttäuscht. Nicht nach außen hin, da lachte ich darüber – aber innerlich zerriss es mich, dass ich gescheitert war. Irgendwie trainierte ich in dieser Zeit nur noch gezielt auf Wettkämpfe hin. Die waren der Höhepunkt all meines Schaffens. Waren die Ergebnisse nicht wie vorgestellt, war ich gefrustet. Ich lief plötzlich nicht mehr um des Laufens willen, sondern nur noch, um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen. Meine Gedanken kreisten nur noch um Tempo und Laufumfänge. Dies ging so lange, bis ich 2006 beim Frankfurt Marathon sogar bei Kilometer 25 ausstieg, nur weil ich sah, dass ich keine Endzeit unter 4 Stunden erreichen konnte. Wie blöd war das denn? Ich zahlte 80 € Startgebühr und beendete das Rennen, weil ich womöglich in 4:15 Stunden eingelaufen wäre… Das war eine Riesenenttäuschung für mich, ich heulte fürchterlich. Aber mal ehrlich, wen hätte das bitteschön wirklich interessiert?

      Dieses Ereignis war dennoch sehr wichtig für mich, denn von da an begann ich nachzudenken. Lief ich überhaupt noch, weil ich Spaß daran hatte und das Laufen mein Leben in vielerlei Hinsicht positiv veränderte? Oder lief ich, um Bestzeiten hinterherzujagen, die mich zudem ständig unter Druck setzten? Steht das Laufen – die Natur, die Entspannung, die Rückbesinnung auf das Wesentliche – im Mittelpunkt meines Sports oder nur noch der Leistungsgedanke, Umfänge und Kilometerzeiten? Ich sah ein, dass das Laufen in gewisser Hinsicht zur Belastung für mich geworden war und ich mir damit – neben der aufreibenden Tätigkeit als Freiberuflerin, die ich mittlerweile aufgenommen hatte – einen weiteren Stressfaktor eingehandelt hatte. Und das auch noch mit etwas, das ja eigentlich dem Stressabbau dienen sollte. War das nicht komplett irrsinnig? Völlig paradox? Wen interessierte es, ob ich bei einem Marathon 5 Minuten schneller oder langsamer war? Und war es mir überhaupt wichtig?

      Internationaler 50-km-Lauf des SSC Hanau-Rodenbach: Beim Start meines ersten Ultras 2006.

      Das war der Zeitpunkt, an dem ich das Ultralaufen für mich entdeckte. Damit sind Läufe jenseits der Marathonmarke gemeint. Ich war plötzlich wie in einer komplett anderen Welt. Die Teilnehmer waren viel entspannter, liefen viel langsamer und redeten die gesamte Zeit. Alle Verpflegungsstellen wurden ausgiebig genossen, und wer Lust dazu hatte, setzte sich


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