Einführung in die germanistische Linguistik. Karin Pittner

Einführung in die germanistische Linguistik - Karin Pittner


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durch eine große Heterogenität aus. Es handelt sich um ein Gesamtsprachsystem, das in sehr unterschiedlichen Ausprägungen existiert, den sog. Varietäten. Solche Varietäten sind beispielsweise Dialekte oder die Sprache bestimmter Gruppen wie die Jugendsprache oder Fachsprachen.

      Varianten

      Zu einer Varietät gehören bestimmte Varianten. Varianten sind unterschiedliche Ausdrucksmöglichkeiten für das Gleiche. Das zugrunde liegende abstrakte Konzept nennt man Variable. Die Ausdrucksvarianten können sich auf die Lexik (den Wortschatz), die Phonologie (Lautung) oder auch auf syntaktische Strukturen beziehen.

      (1) a. Schlagsahne – Schlagrahm – Schlagobers

      b. was – wat, das – dat

      c. Schmidts Katze – die Katze von Schmidt – dem Schmidt seine Katze

      Variation

      Sprachliche Variation lässt sich in drei Hauptgruppen gliedern:

      – die diatopische Variation umfasst räumlich bedingte Unterschiede, wie sie sich vor allem in Dialekten zeigen

      – die diastratische Variation erfasst Unterschiede, die mit bestimmten sozialen Gruppen in Verbindung stehen wie z.B. in der Jugendsprache oder in der sog. Gaunersprache

      – die diaphasische Variation umfasst situationsbezogene Unterschiede im Sprechen, wie stilistische Unterschiede und unterschiedliche Register (z.B. formell vs. informell)

      Dialekte

      Die Dialekte lassen sich in die beiden großen Dialekträume Niederdeutsch und Hochdeutsch gliedern. Diese Bezeichnungen nehmen auf die Höhe der entsprechenden Regionen Bezug. Das Hochdeutsche umfasst das Mitteldeutsche und das Oberdeutsche. Die Bezeichnungen für die Dialekte orientieren sich an unterschiedlichen Regionen wie Mecklenburg, Thüringen, Sachsen, Westfalen, Hessen, Bayern etc. Abb. 4 gibt einen Überblick über die deutschen Dialekte und deren Verteilung.

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      Abb. 4 Die Dialekte im deutschen Sprachraum (nach Fleischer 1983:411)

      Niederdeutsch und Hochdeutsch

      Die Grenze zwischen dem Niederdeutschen und dem Hochdeutschen wird aufgrund der hochdeutschen Lautverschiebung gezogen, die im Niederdeutschen nicht und im Mitteldeutschen in unterschiedlichen Graden durchgeführt worden ist. Die Grenze zwischen dem Niederdeutschen und dem Hochdeutschen stellt die sog. Benrather Linie dar, die nach einem Vorort von Düsseldorf benannt ist. Diese Linie wird auch maken-machen-Linie genannt, da sie die Grenze der Lautverschiebung beim Verb machen markiert. Solche Linien, die die Grenzen der Ausbreitung eines sprachlichen Phänomens markieren, werden Isoglossen genannt. Weitere wichtige Isoglossen in Zusammenhang mit der zweiten Lautverschiebung sind die Uerdinger Linie (ik-ich-Linie) und die Speyerer Linie (Appel-Apfel-Linie).

      Rheinischer Fächer

      Da sich diese Linien zum Rhein hin auffächern, spricht man vom Rheinischen Fächer, den die Karte in Abb. 5 illustriert. Der Rheinische Fächer erfasst die unterschiedlichen Grade der Durchführung der zweiten Lautverschiebung im Mitteldeutschen. Südlich des Rheinischen Fächers liegt das Oberdeutsche, in dem die Lautverschiebung vollständig durchgeführt ist.

      Standarddeutsch

      Unter den Varietäten kommt dem Standarddeutschen eine besondere Rolle zu. Es ist die Varietät, an die wir meistens denken, wenn wir von „dem Deutschen“ sprechen. Aus historischer Sicht ist die Standardvarietät zunächst eine regionale Varietät, die überregionale Geltung erlangt. Die oft synonym verwendete Bezeichnung „Hochdeutsch“ nimmt auf die Region Bezug, in der sich das Standarddeutsche entwickelt hat. Auf ostmitteldeutscher-ostoberdeutscher Grundlage begann sich im 16. Jahrhundert eine überregionale Schriftsprache herauszubilden. Im 17. und 18. Jahrhundert wurde die Schriftsprache weiter ausgebaut und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schließlich durchgesetzt und normiert. In der gesprochenen Sprache bestand lange eine Diglossie-Situation. Diglossie bezeichnet eine Verwendung unterschiedlicher Varietäten, von denen dialektale Varietäten im privaten, gesprochene Standardsprache dagegen in offiziellen Bereich verwendet wird.

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      Abb. 5 Rheinischer Fächer (aus: Niebaum/Macha 2014:113)

      Normierung

      Da die Standardvarietät der öffentlichen, überregionalen Verständigung dient, ist sie sowohl in ihrer schriftlichen als auch in ihren mündlichen Ausprägungen normiert. Diese Normen werden durch das Bildungssystem und auch durch die Medien vermittelt. Die Normierung der geschriebenen Sprache bezieht sich auf die Orthographie und die Grammatik, die Normierung der gesprochenen Standardvarietät dagegen auf die Aussprache. Als erster Normierungsversuch der gesprochenen Sprache gilt das Wörterbuch zur „Deutschen Bühnenaussprache“ von Theodor Siebs aus dem Jahr 1898. Nach dem Duden-Aussprachewörterbuch (2005:34f.) ist die Standardlautung etwas deutlicher als die Umgangslautung, doch etwas schwächer differenziert als die Bühnenaussprache. Die Standardlautung ist eine Gebrauchsnorm, die sich an der Sprachwirklichkeit orientiert, sie ist überregional und enthält möglichst wenige Varianten. Eine wichtige Rolle für die Normierung der Sprache spielt auch das Rechtschreibwörterbuch von Konrad Duden, das 1902 zum ersten Mal erschien und sich an deutschen Schreibvarianten orientierte.

      Umgangssprache

      Es gibt keine klare Trennung zwischen Dialekt und Standardsprache. In Österreich und auch in Süddeutschland sind Dialektkenntnisse relativ verbreitet. Viele Sprecher/innen beherrschen beide Varietäten und sind in der Lage, sich in unterschiedlichen Graden an die Standardvarietät anzunähern. Hier ist von einem Kontinuum auszugehen, mit den Dialekten an einem und der Standardsprache am anderen Ende, wobei die Umgangssprache im Übergangsbereich liegt. Die Umgangssprache kann stärker als die Standardsprache bestimmte regionale Varianten enthalten, weswegen auch von Regiolekten die Rede ist.

      Dialektschwund

      Anders verhält es sich in Norddeutschland, wo das Niederdeutsche aufgrund der nicht durchgeführten zweiten Lautverschiebung so weit von der Standardvarietät entfernt ist, dass ein gradueller Übergang zwischen diesen Varietäten nicht möglich ist. Da die Standardvarietät das höhere Prestige besitzt, das Mittel der öffentlichen Kommunikation ist und in formelleren Situationen benutzt wird, sind die niederdeutschen Dialekte auf dem Rückzug, so dass hier Dialektschwund zu beobachten ist.

      nationale Varietäten

      Wenn wir von Standarddeutsch (das umgangssprachlich auch Hochdeutsch oder Schriftsprache genannt wird) sprechen, ist meist die Standardvarietät in Deutschland gemeint. Doch auch in anderen Ländern, vor allem in Österreich und der Schweiz, haben sich Standardvarietäten des Deutschen herausgebildet, die sich durch vor allem im Wortschatz von der deutschen Standardvarietät unterscheiden. Beispiele dafür sind die Bezeichnungen Jänner für den ersten Monat im Jahr, die in Österreich Standard ist, oder Velo als Bezeichnung für das Fahrrad in der Schweiz.

      Diglossie in der Schweiz

      Während in Österreich wie in Süddeutschland Dialekt und Standardsprache ein Kontinuum bilden, sind die Verhältnisse In der Schweiz anders. Die deutsche Standardvarietät, die als Schweizerhochdeutsch bezeichnet wird und nicht mit den häufig als Schweizerdeutsch bezeichneten alemannischen Dialekten zu verwechseln ist, wird im Wesentlichen nur geschrieben. Gesprochen wird dagegen fast ausschließlich Dialekt. Damit entspricht die sprachliche Situation in der deutschsprachigen Schweiz einer Diglossie.

      Sprachzentren

      Nationen, Staaten oder Sprechergemeinschaften mit einem eigenen Standard gelten als Sprachzentren. Da das Deutsche über verschiedene Sprachzentren verfügt, ist es eine plurizentrische Sprache. Diese Sprachzentren verfügen jeweils über eigene Werke, die die Sprache kodifizieren, wie etwa eigene Wörterbücher oder Grammatiken. In Deutschland spielen in dieser Hinsicht die Bände der Duden-Reihe eine entscheidende Rolle, Österreich


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