Handlungsfelder des Bildungsmanagements. Ulrich Muller
schwirrt mir der Kopf. Es fällt enorm schwer, diese Flut an Informationen zu verarbeiten. Natürlich ist mir klar, dass das ganz normal ist am Ende des ersten Tages … Und ich kenne das ja auch von meinen früheren Arbeitsstellen. Aber jetzt ist es anders: Ich stehe in der vollen Leitungsverantwortung und bereits morgen muss ich erste Entscheidungen fällen, ohne das Ganze auch nur ansatzweise zu durchschauen. Wie bekomme ich hier schnell einen guten Überblick? Ja, im Qualitätshandbuch der Volkshochschule ist im Prinzip alles niedergelegt, möchte man meinen. Aber, abgesehen davon, dass ich nicht weiß, ob dieses Handbuch realistisch abbildet, wie die Einrichtung funktioniert, und ob alles so gelebt wird: Darunter liegt ein Geflecht an Informellem. Und: ich brauche das konkreter und anschaulicher. Am liebsten wäre mir etwas zum Anfassen: Ein Modell der Volkshochschule, das alles abbildet. Gerade auch für meine Reformvorhaben. Ich müsste mit diesem Modell auch sozusagen ‚bauen‘ können bzw. den Umbau der Organisation erproben. Leider habe ich auch nicht wirklich Zeit für das Alles. In meinem Posteingang stapeln sich die Briefe und E-Mails, die sich während der Vakanz der Stelle angesammelt haben. Mein Terminkalender füllt sich mit jedem Telefonat, das ich annehme, und mit jedem Gespräch, das ich führe…“
Ein Tag im Leben von May Aigner, Geschäftsführer der Leadership Akademie:
„Heute hat nun auch die Borg AG, ein Automobilzulieferer, alle bei uns für dieses Jahr gebuchten Seminare storniert. Damit fällt nun in wenigen Wochen der dritte Großkunde komplett aus.
Woher rührt dieser überraschende Auftragseinbruch? Treffen wir mit unseren Angeboten nicht mehr die Bedarfe unserer Kunden? Wie können wir darauf reagieren? Kosten sparen darf nicht alles sein! Vielleicht bietet diese Krise aber auch Chancen? Mit welchen neuen unseren Angeboten können wir unsere Kunden wieder erreichen, vielleicht auch neue Kunden gewinnen? An welche Branchen und Unternehmen haben wir noch nicht gedacht?
Ich würde gerne mal mit zwei bis drei unserer Stammkunden einen kleinen Workshop machen und nachforschen, ob es neue Entwicklungen mit spezifischen Lernbedarfen gibt, auf die wir mit geeigneten Maßnahmen reagieren können“.
Bildungsmanagement bezeichnet Führungs- bzw. Leitungsaufgaben in Bildungseinrichtungen und -abteilungen. Dabei geht es um die Ausrichtung und Steuerung der Organisation, des Unternehmens oder einzelner Aufgaben und Prozesse auf bestimmte Ziele hin. „Führung ist zielbezogene Einflussnahme“ (Rosenstiel, 2014: 4). Die Aufgaben umfassen planende, koordinierende und kontrollierende Tätigkeiten auf Gebieten, wie Personal, Organisation, Finanzen, Marketing, Programmplanung oder Qualität.
Mit ‚Bildungsorganisation‘ meinen wir eine relativ eigenständige Einheit im Sinne einer ‚Bildungseinrichtung‘ bzw. eines ‚Bildungsbetriebs‘, also z.B. einer Volkshochschule, einer katholischen Akademie, der Akademie eines Wirtschaftsverbands oder des Kleinstunternehmens eines selbstständigen Trainers. ‚Bildungsabteilung‘ bezeichnet dagegen eine untergeordnete betriebliche Einheit, die mit Bildungsaufgaben in einer Organisation oder einem Betrieb befasst ist, z.B. die Ausbildungs- oder Weiterbildungsabteilung in einem Automobilunternehmen oder in einem Krankenhaus.
‚Leitung‘ bezieht sich dabei auf den eher sachbezogenen Aspekt dieser Aufgaben, ‚Führung‘ auf den eher personenbezogenen Aspekt. Diese Aspekte sind vielfältig miteinander verschränkt. Der Terminus ‚Management‘ fasst beide Aspekte zusammen.
Leitfragen und Impulse2:
■ Was verbinden Sie mit „Leitung“?
■ Welche Erfahrungen haben Sie als Führende/r und als Geführte/r)?
■ Welche Leitungsaufgaben kennen und erleben Sie in der Einrichtung/dem Betrieb, in der/dem Sie arbeiten?
■ Welche Dokumente kennen Sie?
■ Können Sie die Führungsstrukturen und -prozesse der Einrichtung/des Unternehmens beschreiben?
2.2 Eine Metapher: Bildungsmanagement als „Navigieren im permanenten Wildwasser“
Die Rahmenbedingungen, unter denen Bildungsorganisationen und -abteilungen heute tätig sind, wurden im Beitrag von Knust und Hanft (in diesem Band) beschrieben. Stichworte, wie Globalisierung, Digitalisierung, Wissensexplosion, Zerfall von Staaten, Armut und Hunger, Migration, Bevölkerungsentwicklung oder Klimawandel, können den schnellen und tiefgreifenden Wandel, dem unsere Welt heute unterworfen ist, nur ansatzweise kennzeichnen. Menschen handeln in immer komplexeren Situationen, die in ein kaum überschaubares Netz vielfältiger Zusammenhänge technischer, sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Art eingebunden sind. Wirtschaftsunternehmen agieren weltweit, ihre Mitarbeiter arbeiten in Teams zusammen, deren Mitglieder unterschiedlichen Nationalitäten, Kulturkreisen oder Religionsgemeinschaften angehören. Alle Beteiligten sehen sich mit ständig neuen Technologien, Verfahren, Begriffen und Zusammenhängen konfrontiert und müssen einen fortdauernden Strom von Veränderungen bewältigen.
Der amerikanische Organisationspsychologe Peter B. Vaill (1998) bezeichnet die schwierigen Verhältnisse in den komplexen, interdependenten und instabilen Großsystemen unserer heutigen Gesellschaft mit dem plastischen Begriff „permanentes Wildwasser“. Dieses „permanente Wildwasser“ nötigt uns, ständig Dinge zu tun, mit denen wir wenig Erfahrung haben oder die wir noch nie vorher getan haben. Anstatt Routineaufgaben zu erledigen, sind wir ständig gefordert, einfallsreiche und innovative Lösungen für immer wieder neue Problemlagen zu finden.
Vielfach werden die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen Organisationen und Führungskräfte heute agieren, auch als „VUCA-Welt“ bezeichnet. Das Akronym VUCA steht für die englischen Begriffe volatility (Unbeständigkeit), uncertainty (Unsicherheit), complexity (Komplexität) und ambiguity (Mehrdeutigkeit). Mack & Khare sehen im Konzert dieser Faktoren die Komplexität als den zentralen Ausgangspunkt, der Volatilität und Ungewissheit zur Konsequenz hat, was widerum zu einer Mehrdeutigkeit in der Wahrnehmung der handelnden Personen führt (vgl. Mack & Hare, 2016: 7ff.).
Diese hier als „permanentes Wildwasser“ oder „VUCA-Welt“ bezeichnete Situation betrifft Bildungsorganisationen – ob es sich nun um eine betriebliche Bildungsabteilung, eine Erwachsenenbildungseinrichtung oder eine Schule handelt – in doppelter Weise: Zum einen ist es ihre Aufgabe, die Lernenden auf die Bewältigung von „Wildwasserbedingungen“ vorzubereiten und sie bei der Aneignung entsprechender Kompetenzen zu unterstützen. Zum anderen agieren diese Organisationen selbst unter „Wildwasserbedingungen“ und müssen sich z.B. unter hohem Konkurrenzdruck auf umkämpften und sich schnell verändernden Märkten behaupten.
Bildungsinstitutionen sind gefordert, diesen neuen Anforderungen Rechnung zu tragen. Die eingangs erwähnten globalen Entwicklungen und Herausforderungen schlagen immer mehr auf unsere Schulen und Hochschulen, auf betriebliche und überbetriebliche Weiterbildung durch. Bildung wird durch diese Entwicklungen beeinflusst und muss darauf reagieren; sie muss vor diesem Hintergrund jedoch auch unter der Perspektive einer globalen Verantwortung verstanden und entwickelt werden. Bildung ist nicht die Lösung für die genannten Problemlagen, doch ohne Bildung wird keine dieser Herausforderungen zu bewältigen sein3.
Menschen brauchen vielfältige Unterstützung, um sich die Kompetenzen aneignen zu können, die für die Lösung der Probleme notwendig sind. Dabei greifen die traditionellen Formen des Lehrens und Lernens, die überkommenen Konzepte und Methoden zu kurz. Um das ganze Potenzial menschlichen Lernens zu wecken und zu pflegen, bedarf es einer Lernkultur, die
■ aktives, handlungsorientiertes und persönlichkeitsbildendes Lernen ermöglicht,
■ sich innovativer und kreativer Lernformen bedient,
■ vielfältige Lernorte nutzt und integriert: neben den „klassischen“ Seminar- und Unterrichtsräumen z.B. auch den Arbeitsplatz, Museen und Bibliotheken oder virtuelle Lernräume,
■ selbstorganisiertes Lernen unterstützt,
■ die vielfältigen Möglichkeiten der neuen Medien nutzt, dabei aber auch deren Grenzen nicht übersieht.
Es gilt, unsere Bildungsinstitutionen von „Lehranstalten“ zu vielfältigen und inspirierenden „Lernlandschaften“ umzubauen. Doch