Keine Zeit für Arschlöcher!. Horst Lichter

Keine Zeit für Arschlöcher! - Horst Lichter


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Auch sie konnte ja durchaus locker und fröhlich sein und vielleicht wollte ein Teil von ihr öfter so sein wie ich – aber es war ihr nicht gegeben und war mir nicht gegeben. Wie ich jetzt da so saß in meinem stillen Hotelzimmer, wurde mir auf einmal klar, warum Mutters Sätze mich so verletzten. Ich wäre am liebsten sofort zu ihr zurückgefahren und hätte sie gefragt: »Mutter, was glaubst du, warum ich immer den Clown geben muss? Warum ich so oft Blödsinn mache? Weil das Leben für mich schon hart und bitter genug war, darum. Ich hab selber all die Jahre geglaubt, ich wäre die rheinische Frohnatur. Der liebenswerte Luftikus mit dem lustigen Zwirbelschnurrbart. Aber vielleicht bin ich das ja gar nicht? War das all die Jahre nur eine Methode, meine Traurigkeit in Schach zu halten?«

      Ich merke, dass ich mich verändere – seit dem Tag, an dem Mutter mir sagte: »Hör endlich auf, der Clown zu sein, die Zeit für Spaß ist vorbei.« Wenn ich Spaß mache, dann nicht mehr so unbeschwert wie zuvor. Ich begann schmerzlich zu akzeptieren, dass es auch diese traurige, schwere Seite in mir gibt. Dass der fröhliche Horst Lichter von Bühne und Fernsehen nur ein Teil von mir ist und ich den anderen Teil, den traurigen, viel zu lange unterdrückt habe. Ich begann zu ahnen, dass ich nicht mehr allen Menschen gefallen möchte. Dass ich weder beruflich noch privat Zeit mit Menschen verbringen will, die es nicht gut mit mir und meinen Lieben meinen. Keine Zeit mehr für Arschlöcher.

      Bisher habe ich mein Leben nach der Maxime gelebt, Konflikten möglichst aus dem Weg zu gehen. Am liebsten über Autos reden, über schnelle Mopeds und die angenehmen Seiten des Lebens.

      Seit Mutters Tod unterhalte ich mich mit den Menschen lieber über ernste Dinge. Ich sehe viel Traurigkeit und möchte den Menschen gerne helfen. Die längste Zeit bin ich auch der Traurigkeit aus dem Weg gegangen. Ich war so lange harmoniesüchtig. Habe so lange lieber Blödsinn gemacht. Nach Mutters Tod hatte ich große Angst, dass ich diese Fröhlichkeit nicht wiederfinde, aber jetzt nicht mehr. Ich habe genug Platz in mir. Der Clown darf traurig sein und der Spaßmacher kann ernsthaft sein. Licht und Schatten, es gibt das eine nicht ohne das andere.

      Ich bin mir heute ganz sicher, dass Mutter diese Sätze nicht böse, nicht nur verächtlich meinte. Sie wollte wohl, bevor sie stirbt, mit letzter Kraft auf mich einwirken, mir sagen: »Junge, hör auf, dir selber etwas vorzumachen. Finde zu dir, akzeptiere auch die ernsthafte Seite in dir. Versöhne die schwermütige Seite mit deiner heiteren Seite, bevor es zu spät ist. Du bist zu alt, um immer nur kindisch zu sein und allen Konflikten aus dem Weg zu gehen.«

      Und wahrscheinlich konnte sie es so nicht sagen. Sie sagte es eben in ihren eigenen Worten. Strenge Worte zu sich, strenge Worte zu anderen. Manchmal auch unbarmherzige, nicht gerade gütige Worte. Aber ich weiß tief in mir drinnen, dass sie es gut meinte. Weil sie mich liebte – auf ihre Art und Weise. Schwer zu verstehen und schwer zu akzeptieren, aber ich bin auf einem guten Weg. Der unbelehrbare Clown lernt doch noch was. Danke, Mutter!

      5. Mutters

       Ende

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      »Hör endlich auf, der Clown zu sein. Die Zeit für Spaß ist vorbei, Junge. Geh jetzt und komm morgen wieder, wir müssen ernsthaft reden.«

      Ernsthaft reden? Was Mutter darunter verstand, eröffnete sie mir am nächsten Tag. Sie zeigte mir ihre Patientenverfügung. Sie wollte, dass die lebenserhaltenen Maschinen abgeschaltet werden. Sie wollte nicht länger gequält werden. Wörtlich sagte sie zu mir: »Ich weiß, dass ich sterben werde. Ich möchte verbrannt werden. Ich will ein kleines Grab mit einem kleinen Stein drauf.« Und damit war Ende der Audienz.

      Also habe ich ein paar Tage nach Mutters dritter Operation die Ärzte gefragt: »Wie lange hat Mutter noch?« Gute Idee, weil: Frag einen Arzt und du bekommst eine Meinung. Frag fünf Ärzte und du bekommst fünf Meinungen. Von drei Tagen, vier Wochen bis »Ihre Mutter hat ein starkes Herz, die packt das« war dann auch alles dabei. Dass Mutter ein starkes Herz hatte, war mir auch neu, Mutter hatte ja permanent von ihrem schwachen Herzen erzählt, wegen dem sie sich jahrelange täglich verschiedene Herzmedikamente reingepfiffen hatte. Völlig umsonst vermutlich, was für ein unglaublicher Schwachsinn. Die Ärzte wollten sie gerne auf der Intensivstation behalten, da wäre die Versorgung einfacher gewesen. Drei Patienten auf eine Krankenschwester statt zwanzig Patienten auf eine Pflegekraft. Aber Mutter zeigte auch in dieser Sache ihren unfassbaren Dickschädel. Ihr Kalkül war für sich gesehen logisch, aber trotzdem kindisch und absurd: Mutter wollte sterben, aber dachte sich, dass man sie auf der Intensivstation nicht sterben lässt. Sie meinte, wenn sie auf ein normales Zimmer käme – also ohne die ganzen Apparate und Tropfe –, dann würde sie ohne weiteres großes Leid schnell erlöst werden. Das war natürlich ein tragischer Irrtum.

      Als wir sie endlich mit viel Glück in ein normales Einzelzimmer verlegen konnten – da registrierte Mutter entsetzt, dass die ganze Batterie mit Geräten und Spritzen-Armada auch dort installiert wurde. Und ab dem Moment sprach sie nie wieder ein Wort mit mir. Knallhart zog sie das durch: Sie redete weder mit mir noch mit Nada. Sie schrie, jammerte oder weinte auch nicht. Nein. Nix, gar nix. Mit ihrer Schwester und den Krankenpflegern redete sie. Aber nicht mit uns. Warum? Ich habe keine Ahnung. Jeden verdammten Tag frage ich mich, warum. Manchmal dachte ich, sie will mich bestrafen, manchmal dachte ich, sie will nur nicht jammern und bemitleidet werden. Verrückt war das, einfach unbegreiflich. Was hatte ich ihr angetan, dass sie nicht mehr mit mir reden wollte? Das Schlimme ist, dass ich es nie mehr erfahren werde, sie hat das Geheimnis mit ins Grab genommen. Zurück bleibt meine quälende Erinnerung: Wie sie da einfach nur stumm in ihrem Krankenzimmer liegt und in die Ecke starrt. Mit Panik in den Augen.

      Während Nada und ich uns die ganze Zeit den Mund fusselig redeten. Sonst wird man irre. Oder wir waren es schon längst, schließlich sind wir morgens gekommen und den ganzen Tag bis auf kurze Unterbrechungen geblieben. Mutters Schweigen war schon schwer genug auszuhalten, aber nicht auszudenken, wenn wir auch nichts gesagt hätten. Stille kann so schmerzhaft sein wie Lärm. Wir führten also Selbstgespräche, erzählten Belanglosigkeiten aus der Nachbarschaft oder lasen aus irgendwelchen Regenbogen-Schmierblättern vor. Für alles andere war mein Nervenkostüm sowieso zu dünn. Mutter war zwar körperlich da, aber trotzdem nicht anwesend, das war teilweise extrem bizarr. Die meiste Zeit starrte sie einfach in die Ecke. Augen sind die Fenster zur Seele, und in diesen Augen konnte ich jeden Tag ihre Verzweiflung sehen, ihre Schmerzen und ihre Panik. Das machte mich fertig. Ihr in die Augen zu gucken, war für mich zum Teil unerträglich. Natürlich bekam sie was gegen Schmerzen, wahrscheinlich hätte man mit der täglichen Dosis einen Elefanten einschläfern können. Sie bekam sogar mehr, als man ihr eigentlich hätte geben dürfen. Aber in ihren Augen sah ich die Schmerzen. Immer starrte sie in die Ecke. Dieser Blick in die Ecke, dieses Nichtreden haben mich zerfressen. Ich war voller Sorge und Kummer. Aber gleichzeitig machte mich die ganze Chose auch fürchterlich hilflos und aggressiv. Ich habe mir jeden vom Pflegepersonal geschnappt und angeranzt: »Kümmert euch um Mutter, wenn ich nicht hier bin. Wehe, ich kriege mit, dass ihr euch nicht kümmert. Ich mach euch fertig, ich warne euch!«

      Schrecklich, wie tief man fallen kann. Das sind so Sätze, die mich nicht mit Stolz erfüllen. Ich war einfach am Limit und drüber. Ist aber keine Entschuldigung, Kinders. Nicht, dass wir uns falsch verstehen.

      Die ersten Tage hatte noch Mutters Schwester bei ihr im Zimmer geschlafen. Für mich war das auf keinen Fall in Frage gekommen. Nach dem ganzen Mist, den ich selber mit meinen Schlaganfällen im Krankenhaus erlebt hatte, ist mein Bedarf an Übernachtungen in Klinikbetten gedeckt. Ich hatte mir geschworen, dass ich nie wieder freiwillig dort schlafen würde. Aber einer musste ja immer bei ihr bleiben, nur für den Notfall. Irgendwann bin ich mal drei Tage nicht ins Krankenhaus gegangen, weil ich einfach nicht mehr konnte. Erholt hatte ich mich nicht, mein schlechtes Gewissen war derartig groß, dass es wahrscheinlich besser gewesen wäre, einfach weiterzumachen wie vorher. Am Bett sitzen, abwechselnd mal Nada, mal ich. Damit einer von uns schlafen konnte, mal eine rauchen oder kleine Besorgungen erledigen. Aber einer von uns hielt immer Mutters Hand, streichelte sie. Und immer wieder: vorlesen, reden, vorlesen. Ab und zu kam Besuch, dann sind wir kurz runter, um ein bisschen spazieren zu gehen. Irgendwann konnte auch Mutters Schwester nicht mehr und wollte nicht mehr im Krankenzimmer schlafen. Nun war es wohl an mir, meinen Eid zu


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