Der Priester, die Frau und der Beichtstuhl. Charles Chiniquy
die Brahminenfrau, weil sie, von ihren Priestern betrogen, sich lebendigen Leibes mit ihrem verstorbenen Gatten zusammen auf dem Holzstoß verbrennen lassen muss, um auf diese Weise den Zorn ihrer hölzernen Götter zu versöhnen1; für die Katholikin aber, weil sie, nicht weniger irregeführt durch ihre Priester, eine noch weit ärgere Tortur im Beichtstuhl zu erdulden hat, um dadurch den Zorn ihres Hostiengottes2 zu stillen.
Ja, ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte, dass manch eine Katholikin lieber ihren Leib brennen ließe, als im Beichtstuhl die heiligsten Geheimnisse ihres Herzens und Lebens dem Auge eines Mannes zu offenbaren, der ihr hier Fragen vorlegen darf, welche nicht einmal der schlimmste Verführer von ihr über seine Lippen brächte. Mehr als einmal war ich Zeuge davon, dass Frauen im Beichtstuhl von einer Ohnmacht befallen wurden, nur darum, weil sie, wie sie selbst nachher bekannten, genötigt wurden, zu einem unverheirateten Mann von Dingen zu reden, die ihnen ihr angeborenes Schamgefühl zu verschweigen gebot. Und nicht hundert-, nein tausendmal habe ich von den Lippen sterbender Frauen und Jungfrauen das fürchterliche Wort vernommen: «Ich bin ewig verloren! So vielmal ich gebeichtet und so oft ich die Kommunion genossen habe, ich habe es immer mit geschlagenem Gewissen getan, weil ich meinem Beichtvater nie alles gestehen durfte, was er von mir verlangte, da die Scham meine Lippen verschloss; darum – so klagten diese Armen – bin ich ewig verdammt!»
Wie oft bin ich wie versteinert neben der Leiche meiner weiblichen Beichtkinder gestanden, wenn sie, mit diesem Bekenntnis auf ihren Lippen, in die Ewigkeit hinübergegangen waren, ehe ich imstande gewesen war, ihnen durch das betrügerische Mittel der priesterlichen Absolution die Vergebung ihrer Sünden zu erteilen! Ich glaubte nämlich damals ebenso fest wie die arme Seele, die soeben ihrer sterblichen Hülle entflohen war, dass Vergebung der Sünden nur durch das Sakrament der priesterlichen Absolution zu erlangen sei.
Es gibt nicht nur Tausende, sondern Millionen von römisch-katholischen Mädchen und Frauen, die ein so stark ausgeprägtes Schicklichkeitsgefühl besitzen, dass all die Sophistereien und teuflischen Künste ihrer Priester sie doch nie dazu bewegen können, ihrer weiblichen Würde etwas zu vergeben. Sie können sich nie und nimmer dazu herbeilassen, gewisse Fragen ihrer Beichtväter zu bejahen. Trotzdem sie sich manchmal vor Gott schuldig fühlen und nach der Lehre ihrer Kirche glauben, dass ihre Sünden ihnen nie vergeben werden können, es sei denn, dass sie dieselben beichten, so haben doch die Gesetze des Anstandes größere Gewalt über sie als die grausamen Gesetze ihrer Kirche. Lieber riskieren sie eine ewige Verdammnis, als dass sie einem sündigen Manne Sünden bekennen würden, welche Gott allein zu wissen berechtigt ist und die auch er allein austilgen kann durch das am Kreuz vergossene Blut seines lieben Sohnes.
Dabei hören aber diese Frauen und Töchter beständig von allen ihren Kanzeln herab und lesen in allen ihren Büchern, dass, wenn sie auch nur eine einzige Sünde vor ihren Beichtvätern verbergen, dies sie ins ewige Verderben stürze! Welche Seelenkämpfe das den Ernsten und Ehrlichen unter ihnen bereitet, kann man sich denken. Ich weiß von manchen, die unter Tränen Gott um die Gnade angefleht haben, dass er ihnen Kraft geben möge, so viel von ihrer Selbstachtung und ihrem Schicklichkeitsgefühl dranzugeben, dass es ihnen möglich werde, zu ihren Beichtvätern nach deren Wunsch von jenen unnennbaren Dingen zu reden. In der Hoffnung, Gott habe dieses ihr Flehen erhört, kehrten sie zum Beichtstuhl zurück, entschlossen, vor des unerbittlichen Mannes Augen ihre Schande zu enthüllen. Aber wenn dann der Augenblick kam, wo sie ihr entehrendes Bekenntnis hätten ablegen sollen, entfiel ihnen aller Mut; ihre Knie schlotterten, ihre Lippen wurden bleich wie der Tod, kalter Schweiß drang aus allen ihren Poren. Das dem Weibe angeborene Schicklichkeitsgefühl erwies sich immer noch stärker als die Lehren ihrer falschen Religion. Und so mussten sie denn abermals mit dem Gefühl unvergebener Sünde, ja, wie sie glaubten, mit einer neuen Bürde, einem Meineid auf dem Gewissen, den Beichtstuhl wieder verlassen.
O wie schwer ist doch das römische Joch! Wie bitter ist das menschliche Leben, wie so gar keine Freude gewährt das Geheimnis des Kreuzes diesen armen betrogenen und verlorenen Seelen! Ich fordere hiermit die ganze römisch-katholische Priesterschaft heraus: Sie sollen es leugnen, wenn sie können, dass nicht der größere Teil ihrer weiblichen Beichtkinder sich während einer gewissen längeren oder kürzeren Zeit in diesem eben geschilderten, höchst traurigen Seelenzustand befinde. Alle katholischen Moral-Theologen warnen ja in ihren Schriften die Beichtväter übereinstimmend vor dieser weiblichen Widerspenstigkeit – wie sie es nennen. Kein katholischer Priester wird das in Abrede stellen können.
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Nicht lange, nachdem ich mein Amt als römischer Priester angetreten hatte, kam zu meiner nicht geringen Überraschung eine feingebildete und elegante junge Dame in meinen Beichtstuhl. Obgleich sie tief verschleiert war, erkannte ich sie sogleich als die Tochter eines vornehmen Hauses, in welchem ich fast jede Woche verkehrte. Sie hatte bisher fleißig bei einem andern jungen Priester gebeichtet und galt für eines der frömmsten Mädchen in der ganzen Stadt.
Da sie offenbar hoffte, ich erkenne sie nicht, ließ ich sie gerne in diesem Glauben und hörte ihr ruhig zu. Anfangs brachte sie vor Bewegung kaum ein Wort über ihre Lippen; um so lauter redeten ihre Tränen.
Mit vieler Mühe brachte sie es endlich dahin, mir folgendes Bekenntnis abzulegen: «Teurer Beichtvater, ich hoffe, dass sie mich nicht kennen und auch keinen Versuch machen werden, mich kennen zu lernen. Ich bin eine verzweifelt arge Sünderin; ich fürchte, ich sei verloren! Wenn aber noch irgendwelche Hoffnung für mich übrig ist, so bitte ich um Gotteswillen, weisen Sie mich nicht ab! Ehe ich meine Beichte beginne, flehe ich Sie an, verschonen Sie mich mit jenen Fragen, welche die Beichtväter sonst ihren weiblichen Beichtkindern zu stellen pflegen; denn ich bin durch eben diese Fragen schon genugsam verderbt worden. Gott weiß, dass ich vor meinem 17. Jahr so rein und unschuldig war wie ein Engel. Aber in dem Nonnenkloster, in welches mich meine Eltern zu meiner Erziehung verbracht hatten, befand sich schon ein älterer Beichtvater, der mir im Beichtstuhl Fragen stellte, die ich zuerst gar nicht verstand. Unglücklicherweise hatte ich aber eine Klassengenossin, welche diese Fragen nur zu gut verstand. Sie trieb Spaß damit und erklärte mir dieselben. Diese erste unzüchtige Unterredung meines Lebens leitete meine Gedanken in ein wahres Meer von Unrat hinein, das mir bisher ganz unbekannt gewesen war. Während einer ganzen Woche stürmten die schändlichsten Versuchungen auf mich ein, bei Tag und Nacht, so dass ich schließlich von Sünden überwältigt wurde, die ich gerne mit meinem eigenen Blut austilgen würde, wenn es nur möglich wäre. Ich musste aber bald erfahren, dass das durch die Sünde verursachte Vergnügen nur von kurzer Dauer ist. Die Furcht vor dem göttlichen Gericht plagte mich so, dass ich nach wenigen Wochen eines höchst jämmerlichen Lebens meine Sünden aufzugeben beschloss und nach Versöhnung mit Gott verlangte. Vor Reue und Scham zitternd am ganzen Leibe, wusste ich nichts besseres, als wieder zu meinem Beichtvater zu gehen, den ich wie einen Heiligen verehrte und wie einen Vater liebte. Ich darf sagen, dass ich ihm wirklich ein aufrichtiges Bekenntnis ablegte, wenn ich auch eine Sünde aus lauter Scham und Ehrfurcht vor diesem meinem geistlichen Führer unerwähnt ließ. Ich verschwieg ihm auch nicht, dass nächst der Verderbtheit meines eigenen Herzens die sonderbaren Fragen, die er mir bei meiner letzten Beichte gestellt, die hauptsächlichste Ursache meines Falles geworden seien.
Der Priester sprach mir hierauf freundlich zu, ermahnte mich, gegen meine bösen Neigungen zu kämpfen und gab mir guten Rat. Als ich aber glaubte, er sei nun fertig, richtete er abermals zwei so schändliche Fragen an mich, dass es mir vorkommt, weder das Blut Christi noch alle Feuer der Hölle könnten die Erinnerung daran je wieder aus meinem Gedächtnis auslöschen. Diese beiden Fragen haben mein Verderben besiegelt. Wie zwei vergiftete Pfeile sind sie mir ins Herz gedrungen. Tag und Nacht beschäftigten sie seitdem meine Phantasie und durchdringen mein ganzes Wesen wie ein tödliches Gift. Zuerst entsetzte ich mich allerdings darob; bald aber gewöhnte ich mich so daran; dass mir diese Gedanken zur zweiten Natur wurden und zur Quelle aller möglichen Lüste, Begierden und Missetaten. Als wir dann einen Monat darauf den Klosterregeln gemäß wieder beichten mussten, da war ich inzwischen schon so verderbt, dass es mir gar nichts machte, meine Sünden einem Manne zu bekennen; im Gegenteil, ich empfand ein wahrhaft teuflisches Verlangen nach einer recht langen Unterredung über derartige Dinge und