Die Höhle des Löwen. Christian Macharski

Die Höhle des Löwen - Christian Macharski


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Polizeigriff zu Boden zu bringen und ihm Handschellen anzulegen, lösten die drastischen Worte seltsamerweise ein ganz anderes Gefühl in ihm aus. Hastenraths Will tat ihm leid. Ihm schien nicht ansatzweise klar zu sein, wie schwerwiegend die Indizien waren, die gegen Kleinheinz sprachen, aber dennoch imponierte Dohmen der unerhörte Mut dieses einfachen Landwirts, der es wagte, sich trotzig gegen einen ganzen Apparat zu stellen. Einen Justizapparat, der ihm sehr schnell sehr großen Ärger einhandeln konnte. Dieser Schneid und diese Kühnheit waren Eigenschaften, die Dohmen selbst im Laufe seiner Dienstjahre abhanden gekommen waren – wenn er sie denn überhaupt jemals besessen hatte. Er wollte immer nur seine Ruhe und möglichst wenig Verantwortung. Deshalb war ihm schon klar, dass er nichts weiter war als der Erfüllungsgehilfe eines Systems, das diesen Fall so schnell wie möglich zu den Akten legen wollte. Aber hatte Peter Kleinheinz, der Mann, der ihm mehr als einmal das Leben gerettet hatte, es nicht verdient, in dieser schweren Zeit zumindest mit Respekt behandelt zu werden, auch wenn kaum einer im Präsidium noch Zweifel daran hatte, dass der einstige Vorzeigebeamte kaltblütig zwei brutale Morde verübt hatte?

      Dohmen bemerkte, dass er bereits endlose Sekunden lang mit offenem Mund vor Will gestanden hatte. Er räusperte sich.

      „Also … Herr Hastenrath. Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Ich vergesse alles, was Sie gerade gesagt haben, vor allem die strafrelevanten Sachen. Dafür folgen Sie mir jetzt nach vorne auf die Straße. Da können wir etwas unbeobachteter sprechen.“ Will nickte und folgte dem Kommissar. Als die beiden auf den Bürgersteig traten, freute sich Knuffi so sehr, dass er urinierte. Will drückte ihm ein Leckerchen ins Maul und wandte sich wieder an Dohmen: „Tut mir leid. Da sind wohl eben etwas die Kühe mit mir durchgegangen. Ich wollte Sie nicht beleidigen, wie ich Sie ‚Arschloch‘ genannt habe.“ Dohmen wedelte mit der Hand, als verscheuche er Fliegen.

      „Wie gesagt. Ich hab’s schon vergessen. Aber ich habe verstanden, was Sie damit zum Ausdruck bringen wollten. Glauben Sie mir. Ich bin genauso schockiert wie Sie und ich kenne Peter Kleinheinz noch ein paar Jahre länger. Im Moment versuche ich, so professionell wie möglich mit der Sache umzugehen. In den ersten Stunden und Tagen nach einer solchen Tat muss man so gründlich wie möglich nach allen Spuren suchen. Schließlich können solche Spuren auch entlastenden Charakter haben. Aber auch wenn ich in Teufels Küche komme und gegen mehrere Dienstvorschriften gleichzeitig verstoße, ich sage Ihnen jetzt ein paar Dinge, die das Polizeipräsidium eigentlich nie verlassen dürften. Und zwar mache ich das, weil ich weiß, dass auch Peter das gemacht hätte. Ich habe Ihr spezielles Verhältnis zwar nie verstanden, aber am Ende hat es ja oft zu einem guten Ergebnis geführt. Trotzdem hat es dieses Gespräch zwischen uns nie gegeben. Haben Sie das verstanden?“

      Will nickte. „Ich danke Sie für Ihr Vertrauen. Und ich verspreche Sie, dass von mir keiner was erfahren wird.“

      „Gut“, Dohmen holte tief Luft. „Folgendes scheint Samstagnacht passiert zu sein: Peter Kleinheinz betritt das Haus und überrascht seine Lebensgefährtin Bettina Hebbel und einen fremden Mann im Bett. Sofort eröffnet er das Feuer. Der Mann wird von zwei Schüssen getroffen, die beide tödlich sind. Auch Bettina scheint von zwei Kugeln getroffen worden zu sein, jedenfalls fehlten vier Kugeln in Peters Dienstwaffe. Die Spurensicherung konnte aber nur zwei Hülsen finden. Trotz ihrer starken Verletzung und eines sehr hohen Blutverlustes konnte sie offensichtlich über die Treppe in den Garten fliehen. Dort verliert sich die Blutspur aufgrund des starken Regens. Der Gerichtsmediziner schließt aber fast aus, dass sie sehr weit gekommen ist.“

      „Deshalb der Bagger …?“, stotterte Will entsetzt.

      „Ja. Wir vermuten, dass Peter die tote oder sterbende Frau im Garten vergraben hat. Wir haben einen blutverschmierten Spaten sichergestellt, allerdings ohne Fingerabdrücke von Peter. Dafür waren jedoch Schlammspuren an Peters Schuhen, die eindeutig aus dem Garten stammen. Entscheidend ist aber der Zeitfaktor. Die tödlichen Schüsse sind laut Gerichtsmediziner und Zeugenaussagen gegen 21.20 Uhr gefallen. Peter hat mich allerdings erst um kurz nach 22 Uhr angerufen und mir mitgeteilt, was er getan hat.“

      „Moment mal. Der Peter hat Sie angerufen?“

      „Ja. Das Pokalspiel war gerade zu Ende, da ging mein Handy. Peter war völlig verwirrt und redete zusammenhangloses Zeug. Als er sagte, dass er zu Hause sitzt und gerade etwas Furchtbares getan hätte, bin ich sofort hierhin gerast.“ Aber was ich damit sagen will, ist, dass zwischen den tödlichen Schüssen und dem Anruf fast eine Stunde lag. Zeit genug, um einen leichten Körper im Garten zu vergraben.“

      Will konnte nicht glauben, was er da hörte. Und er wollte es auch nicht glauben. „Das macht doch überhaupt kein Sinn. Warum soll der denn nur eine Leiche vergraben?“

      Dohmen zuckte mit den Schultern. „Vielleicht, weil für die zweite die Zeit nicht mehr gereicht hat.“

      „Blödsinn. Dann hätte der doch erst angerufen, nachdem der alle beide vergraben hat.“

      „Ja, darüber haben wir uns auch schon Gedanken gemacht. Unser Polizeipsychologe meint, dass es wahrscheinlich gar nicht darum ging, Spuren zu verwischen, sondern, dass sich Peters ganze Wut nur auf seine Freundin konzentriert hat und er sie vollständig vernichten und verschwinden lassen wollte.“ Will bekam eine Gänsehaut. Beklommen hakte er nach: „Aber hätten dann nicht die Nachbarn hier was mitbekommen müssen von der Aktion?“ Er deutete auf das Haus nebenan.

      Dohmen folgte seinem Blick und schüttelte den Kopf. „Da ist keiner. Die sind noch drei Wochen in Urlaub. Das haben wir schon gecheckt.“

      Will stutzte. Bevor er seine Gedanken ordnen konnte, trat der Polizist mit den hochdekorierten Schulterklappen durch das Gartentörchen und rief Dohmen zu: „Herr Dohmen. Sie sollen reinkommen zum Kapdezernent.“

      „Ich komm sofort.“

      „Was ist denn ein Kapdezernent?“, fragte Will.

      „Bitte? Ach so“, antwortete Dohmen zerstreut, „das heißt eigentlich Kapitaldezernent. Damit ist der Staatsanwalt gemeint, der hat hier den Hut auf. Bei einem Kapitalverbrechen ist die Staatsanwaltschaft immer die Herrin des Ermittlungsverfahrens.“

      Will kratzte sich am Kopf. „Wollen Sie damit etwa sagen, dass der Staatsanwalt eine Frau ist?“

      „Nein, der Staatsanwalt, das ist der Arnulf Gehring.“

      „Wissen Sie was?“, sagte Will entschlossen. „Ich komm jetzt mal mit rein und red mit der Mann. So Leute muss man …“

      Dohmen konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Nein, Sie kommen nicht mit rein. Das würde alles nur viel schlimmer machen. Und bei Gehring hätten Sie sowieso keine Chance. Das ist ein Golfkumpel von Pimpertz.“

      Der Polizist erschien wieder am Gartentor. „Die Herren warten“, rief er.

      „Bin unterwegs“, rief Dohmen zurück. „Wie sieht’s im Garten aus?“ Der Polizist schüttelte den Kopf. „Wir haben jetzt jeden Stein umgedreht. Hier liegt garantiert nichts in der Erde.“ Dohmen fluchte leise und murmelte: „Verdammt, Peter. Was hast du mit deiner Freundin gemacht?“

      Der Kommissar verabschiedete sich schnell von Will, um ins Haus zu gehen. Will blieb zurück und dachte noch einmal über die Worte des Beamten nach. „Hier liegt nichts in der Erde.“ Plötzlich wurde ihm ganz flau im Magen. Er riss den Kopf herum und starrte auf die Mülltonne, die vor dem Nachbarhaus stand. Ihm gefror fast das Blut in den Adern, als er sich die Frage stellte: Wenn die Bewohner von dem Haus in Urlaub sind, wer hat dann die Mülltonne an die Straße gestellt? Und vor allem: Was war in den blauen Mülltüten?

      6

      „Sag mal, hast du Schmieröl gesoffen, oder was? Was fällt dir ein, hier morgens mit sechs Minuten Verspätung aufzulaufen?“ Die Halsschlagadern von Autohausbesitzer Heribert Oellers waren dick angeschwollen und pochten in schnellem Rhythmus. Sein hochroter Kopf schien kurz vor dem Explodieren. Richard Borowka war gerade damit beschäftigt, bei einem alten VW Polo die Reifen zu wechseln. Eigentlich war er sich sicher gewesen,


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