Wut und Wellen. Peter Gerdes

Wut und Wellen - Peter Gerdes


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Kombinationen und kulinarische Kreationen zu wissen gab. Sein gutes Gespür für Frische und Qualität hatte ihm viel Lob eingetragen, sein unbekümmerter Wagemut bei unkonventionellen Zusammenstellungen sogar Respekt. Seine Prüfer schließlich hatte er bereits mit einem simplen Zwiebel-Ananas-Salat in Verzückung versetzt. Um sie dann mit jedem weiteren Gang eines ausgefuchsten Menüs noch mehr zu verblüffen und zu begeistern.

      Für die Weiße Düne hatte er sich eine todsichere Marschroute überlegt. Gerichte mit norddeutschen Wurzeln, aber nach internationalem Standard, wiedererkennbar und doch überraschend. Kess, aber niemanden verschreckend. Pfiffig und trotzdem großzügig. Und natürlich basierend auf dem, was gute Küche in Wahrheit ausmachte: erstklassigen, frischen Zutaten.

      Das war zugleich sein einziges echtes Problem. Hier auf der Insel gab es keinen Großmarkt, durch den man frühmorgens schlendern und sich die besten Stücke heraussuchen konnte. Hier wurde man beliefert, und man konnte nur hoffen, dass man auch wirklich das bekam, was man geordert hatte, nämlich erste Qualität. Aber einer wie Jannik Bartels war umtriebig, kannte Gott und die Welt. Und natürlich auch gute Lieferanten. Also konnte er auch in diesem Punkt einigermaßen zuversichtlich sein.

      So. Was fehlte noch? Knusprige Brötchen verbreiteten angenehmen Duft, der sich schon bald mit dem von frisch gebrühtem Kaffee mischen und für gute Frühstücksatmosphäre sorgen würde. Tee war in olfaktorischer Hinsicht ja eher enttäuschend, verbreitete höchsten den Geruch von feuchtem Heu. Käse, Wurst und Schinken lagen ordentlich und in ausreichender Menge unter ihren transparenten Abdeckungen, die Säfte waren bereitgestellt, Müsli, Joghurt und Cornflakes platziert, die Rechauds und das heiße Wasser für die Früchtetees blubberten vor sich hin, Milch, Kakao … fehlte noch etwas, oder konnte er sich jetzt der Produktion von »Frühstück englisch« zuwenden?

      Halt – frische Früchte! Fast hätte er die vergessen. Er wusste, dass Ananas-, Mango- und Melonenscheiben und allerhand anderes Zeugs vorbereitet und in Folien gehüllt in einem der großen Kühlschränke bereitlagen. Nur musste er sie schleunigst herausholen und anrichten, damit den Gästen nachher nicht vor Kälte die Zähne wehtaten.

      Welcher Kühlschrank mochte es sein? Vermutlich der, an dem er noch nicht gewesen war. Schwungvoll riss Jannik Bartels die große Tür auf.

      Das Kühlschranklicht blitzte auf. Dann fauchte es laut. Merkwürdig, dachte der junge Koch. Er dachte es in einen Feuerball hinein, der sich ihm entgegenblähte und ihm mit feuriger Zunge übers Gesicht leckte.

      Jannik Bartels war nie bei der Bundeswehr gewesen. Aber oft im Kino. Er ging in die Knie, holte Schwung und sprang seitlich weg. Sein Körper rutschte über den glatten Kachelboden, bis er mit dem Kopf gegen die Schwingtüren knallte. Dann brach hinter ihm endgültig die Hölle los.

      8.

      Den morgendlichen Gang über die Hafenpromenade ließ sich Stahnke nicht nehmen. Früher, als er noch in der Leeraner Altstadt gewohnt hatte, war dies der logische Weg zur Arbeit gewesen, zum Inspektionsgebäude, das wie ein länglicher Bauklotz am Kopfende des Hafenbeckens ruhte. Seit er weiter draußen in Heisfelde wohnte und jeden Tag mit dem Fahrrad kam, wann immer Dienst und Wetter dies zuließen, war die Promenade ein Umweg. Das aber focht den Hauptkommissar nicht an.

      Heute lagen besonders viele Boote im Hafen, Jachten aller Größen, aber auch kleinere Boote. Besuche in Leer kamen bei Bootstouristen immer mehr in Mode. Wo sonst konnte man praktisch mitten in der Stadt so schön anlegen? Na gut, sicher gab es Plätze, wo man ungestörter war. Aber beides auf einmal ging eben nicht.

      Stahnke passierte die neue Fußgängerbrücke. Gegenüber, dort, wo die neuen Kapitänshäuser standen, die ihn reizten, über deren Kaufpreise er aber nicht einmal nachzudenken wagte, lag die Arcturus, der alte Kutter, der einmal Marian Godehau gehört hatte. Der neue Besitzer hatte aus dem heruntergekommenen Ding ein echtes Schmuckstück gemacht. Fast Steven an Steven hatte die Prinz Heinrich festgemacht, ein stattlicher Oldtimer, an dessen Restaurierung ein ganzer Verein seit Jahren werkelte. Sah schon wieder ganz passabel aus, dachte Stahnke und nickte anerkennend. Er mochte Leute, die in ihrer Freizeit mehr taten, als sich den Hintern vor der Glotze oder dem PC breit zu sitzen.

      Ein paar Minuten dauerte der Gang, dann hatte Stahnke die Treppe erreicht, die ihn hoch zur Georgstraße und damit zurück zu seiner Berufsrealität führte. Summend schulterte er sein Zweitrad und trug es die Stufen hoch. Wieder einmal hatte der kleine Umweg zur Verbesserung seiner Morgenlaune gereicht.

      Während er das Dienstgebäude betrat und die Treppen erklomm, rekapitulierte er, was sie inzwischen über Wallmann wussten. Er repräsentierte in der Tat die rauere Seite des florierenden Zeitarbeitsbusiness. Hatte polnische Fleischhauertrupps an südoldenburgische Großschlachtereien vermittelt, hart arbeitende Männer, die für Hungerlöhne unter mörderischen Bedingungen ganze Herden zerlegten, während ihre deutschen Berufskollegen untätig auf den Arbeitsämtern, die neudeutsch Agenturen hießen, anstanden. Hatte multikulturelle Maurerkolonnen ohne Arbeitserlaubnis auf Baustellen in ganz Deutschland geschickt, wo sie jeden Ecklohn unterboten, Überstunden klaglos ertrugen und die Wochenenden durchschufteten, immer das drohende Elend daheim vor Augen. Ungelernte aus Osteuropa hatte er an die Bahn vermittelt, wo sie für einsfuffzig die Stunde Gleise überholten, ohne zu wissen, was sie da taten. Von den zahllosen Gebäudereinigern und Pflegekräften ganz zu schweigen, die dafür sorgten, dass Kosten gedämpft werden konnten, ohne dass auch nur ein Manager auf seine Bonuszahlung verzichten musste. Und er hatte hochqualifizierte Facharbeiter unter Vertrag, die nach Bedarf eingesetzt werden konnten, was es zum Beispiel der Leiner-Werft oben an der Ems ermöglichte, ihre Stammbelegschaft zu reduzieren und Arbeitskräfte je nach Auftragslage kurzfristig anzuheuern, ganz wie früher zur Gutsherren- und Tagelöhnerzeit. Diese Zeitarbeit war wirklich eine tolle Sache, dachte Stahnke. Nahezu alle schienen davon zu profitieren, Wallmann ebenso wie seine unterschiedlichen Kunden. Alle, bloß die Arbeitnehmer nicht.

      Oben empfingen ihn Kaffeeduft und Kramer. »Interessante Sache«, sagte der Oberkommissar und legte ihm ein paar Kopien vor. Stahnke blätterte. Die Unterlagen stammten offenbar aus Waldemar Wallmanns Ordnern. Kaufverträge über drei Boote, über einen Zeitraum von sieben Jahren bei verschiedenen Händlern erworben. Und die dazugehörigen Versicherungsverträge. Auch die waren mit drei verschiedenen Firmen abgeschlossen worden.

      Stahnke blickte hoch. »Ungewöhnlich«, kommentierte er. »Klar, man wechselt hin und wieder, wenn man unzufrieden ist oder ein besseres Angebot bekommt. Aber gleich jedes Mal?«

      »Es kommt noch besser«, sagte Kramer schmunzelnd.

      Anzeigenprotokolle. Diebstahlsanzeigen, erstattet bei verschiedenen Polizeirevieren. Zweimal erschien Wallmann selbst als Geschädigter, einmal hatte das Boot angeblich einer Frau gehört. Stahnke verglich die Daten: Eindeutig dasselbe Boot, das seinerzeit Wallmann erworben hatte. Offenbar hatte der Halter zwischenzeitlich gewechselt. Stahnke tippte auf eine von Wallmanns früheren Freundinnen. Ein simpler Täuschungsversuch, der aber anscheinend gewirkt hatte.

      »Schau an«, sagte der Hauptkommissar. »Das stinkt doch nach Versicherungsbetrug. Wallmann hat doppelt abgesahnt.«

      Kramer nickte bestätigend. »Bei der Versicherung und beim Abnehmer seiner Boote. Davon können wir ausgehen. Beweise gibt es natürlich keine. Aber für diese Häufung gibt es kaum eine andere Erklärung. Außerdem, wer weiß, vielleicht ist das ja noch nicht einmal alles.«

      »Gut möglich«, sagte Stahnke. »Respekt, dass du dies hier so schnell herausgefiltert hast. Ist ja eigentlich gar nicht unser Gebiet. Bringt uns aber auf jeden Fall ein neues Tatmotiv ein.«

      »Wallmanns Abnehmer«, nahm Kramer den Ball an. »Oder der Zwischenhändler. Auf jeden Fall muss es einen oder mehrere Komplizen gegeben haben. Leute, die die angeblich geklauten Boote irgendwo aus dem Wasser ziehen, auf Trailer verladen und außer Landes schaffen. So läuft das doch meistens. Jeder von denen will seinen Profit machen. Und Wallmann war bestimmt keiner, der anderen mehr abgibt als unbedingt nötig.«

      »Du meinst, er konnte den Hals nicht voll kriegen? Durchaus vorstellbar.« Stahnke lehnte sich zurück. »Wallmann könnte seine Partner derart verärgert haben, dass diese ihm aufgelauert und ihn erledigt haben.


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