Folgen einer Landpartie. Bernhard Spring

Folgen einer Landpartie - Bernhard Spring


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ihrem Rundgang entlang des Ostflügels erklärte Botfeld, dass eine der dortigen Kammern von Undine bewohnt wurde, die ihren Bruder für gewöhnlich zu begleiten pflegte. Eichendorffs Herz schlug vor Freude höher, als er diesen bezaubernden Namen hörte und sich somit sicher sein konnte, im Laufe seines Aufenthaltes in Geusau auf die Begehrte zu treffen. Botfeld, der nichts von der Erregung seines Freundes ahnte, fuhr scherzhaft fort: »Sie bevorzugt das Zimmer im Süden, in der Nähe des Gartens. Sie liebt dieses Stück Grün wie kein anderes. Natürlich ist dieses nichts im Vergleich zu dem von Reichardt in Giebichenstein.«

      Eichendorff kannte den sogenannten Dichtergarten im Norden Halles wie alle anderen seiner Kommilitonen lediglich vom Hörensagen, denn zu dem Privatgrundstück des königlich-preußischen Kapellmeisters Johann Friedrich Reichardt hatten nur auserwählte Personen Zutritt. Dort, in den idyllischen Gärten des Musikus, mit Blick auf die eindrucksvolle Burgruine, verkehrten die bedeutenden Dichter der romantischen Zeit, allen voran Ludwig Tieck, Achim von Arnim und Clemens Brentano. In mehrfacher Weise gekrönt wurde die ehrenwerte Gesellschaft von dem Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe und dem jungen Prinzen Louis Ferdinand von Preußen, die regelmäßig bei Reichardt zu Gast waren.

      Normalsterbliche wie Eichendorff waren von einer derart exklusiven Gemeinschaft ausgeschlossen, sie konnten höchstens versuchen, im Theater zu Lauchstädt einen verstohlenen Blick auf die Loge des zufällig anwesenden Herrn Goethe zu werfen …

      Botfeld deutete nach Süden, wo sich Undines Garten befand, doch Eichendorff konnte ihn nicht ausmachen, da ein teils gläserner Anbau die Sicht versperrte. »Der Gartensaal«, erklärte Botfeld schlicht.

      Während das hufeisenförmige Herrenhaus also im Ganzen gerade einmal genug Platz für die Geschwister und wenige Gäste bot, war die Dienerschaft in den von Eichendorff bereits bemerkten Gesindehäusern am Wirtschaftshof untergebracht, insgesamt wohl etwa zwanzig Männer, teils mit Familien. Lediglich die Zofe Undines, eine ruhige, von ihr geschätzte Person, wie Botfeld sie charakterisierte, logiere im Herrenhaus. Sie hatte ihre Bleibe in einem kleinen Gemach bei dem Gartensaal gefunden, unmittelbar in Undines Nachbarschaft. Botfeld selbst legte keinen Wert auf diese weibische Vertrautheit, wie er es ausdrückte. Er schätzte mehr den kameradschaftlichen Umgang mit seinen Untergebenen, den männlichen Austausch.

      Das Zimmer, das Eichendorff von Botfeld schließlich zugewiesen worden war, befand sich, da kein anderes derzeit zur Verfügung stand, im nördlichen Ostflügel und war von dem sparsamen Komfort eines selten genutzten Anwesens geprägt. Das Inventar des Raumes bestand aus einem schmalen Bett, einem unverzierten Eichenschrank, einer Wäschetruhe und schließlich einer Anrichte, über der ein kleiner Spiegel angebracht war. Auf dieser Anrichte stand das übliche Waschgeschirr. Der mit frischem Wasser gefüllte Krug verriet einige Vorbereitungen für den Gast, sicher würden sich in der Kommode frisch gestärkte Tücher befinden, bereit, genutzt zu werden. Die Wände des Zimmers waren einfach mit grünem Stoff tapeziert, sodass das Geweih eines Vierenders besonders zur Geltung kam.

      Die beschauliche Wohnlichkeit des ihm zur Verfügung gestellten Zimmers erinnerte Eichendorff an das ländliche Leben auf den väterlichen Gütern, von denen ihm Lubowitz und Tost die liebsten waren. Diese demonstrierten schon allein durch ihre bauliche Erscheinung eine standesbewusste Erhabenheit und gleichzeitig ländliche Verbundenheit mit den Zyklen des Jahreskreises und den damit verbundenen wirtschaftlichen Bedingungen. Auch die Botfelds verfügten über verstreute Besitzungen, aus denen Heinrich von Botfeld immer wieder aufs Neue seinen Wohnsitz aussuchte. Eichendorff wusste bereits, dass er sich meist auf anderen Gütern im Umland, vorzüglich auf denen in Farnstädt und Milzau, aufhielt und das Anwesen in Geusau hauptsächlich von einem Verwalter führen ließ, da der Ort auf weniger ertragreichem Boden gelegen war. Botfeld schätzte jedoch dessen Lage inmitten der Auenlandschaft, wie er Eichendorff berichtet hatte, da sie ihm ein hervorragendes Terrain zur Jagd und zu abenteuerlichen Ausritten bot. Eichendorff vermutete in dieser Leidenschaft einen gewissen Heißsporn, da der unsichere Boden, der die größten Teile des Botfeld’schen Besitzes ausmachte, den Pferden kaum geheuer sein konnte.

      Nachdem Jakob das Reisegepäck mit beflissener Ordnung in dem Schrank verstaut hatte, zog er sich zurück, um Eichendorff einen Moment der Ruhe zu gönnen. Dieser erschloss den Raum nun ganz für sich, prüfte die Härte der Matratze und schlüpfte aus den Schuhen, damit er den gescheuerten Boden besser unter seinen Füßen spüren konnte. Wie vermutet, fand er mehrere Tücher in der Anrichte, nahm zwei davon heraus und schickte sich an, sich den Oberkörper zu waschen, als er von draußen ein Geräusch zu sich dringen hörte. Neugierig trat er an das Fenster, das nach Osten hin lag und ihm somit den Blick auf den Teich ermöglichte, wo er einen jungen Mann ausfindig machen konnte, der sich damit beschäftigte, Kieselsteine in das Wasser zu werfen. Dies tat er anscheinend gelangweilt, vielleicht sogar missgelaunt, wie es Eichendorff vorkam. Ab und an sah er sich suchend um, ging unruhig umher, sodass sich sein unbemerkter Beobachter schnell sicher war, dass der Mann am Teich auf jemanden wartete.

      Der Mann war von strammer Gestalt, fast schon etwas zu kräftig und wohl um einige Jahre älter als Eichendorff. Sein Gang stand sehr im Widerspruch zu seiner Kleidung, denn während diese ihn als einen Knecht des Gutes, möglicherweise sogar als höheren Bediensteten auswies, bewegte er sich unrhythmisch und hinkend, fast schon linkisch. Das Gesicht, welches Eichendorff höchstens im Profil sehen konnte, hätte als charakterstark bezeichnet werden können, doch in Eichendorffs Augen war es grobschlächtig und durch seinen verkniffenen Ausdruck beinah hässlich. In seinem ganzen Äußeren ähnelte er einem ungeschliffenen Bauernsohn, der nur zufällig das Wams eines Hausangestellten trug, und sicher verhielt es sich auch so, denn woher sollte Botfeld geschultes Personal nehmen und das ausgerechnet für einen Nebenwohnsitz?

      Der Mann blieb nicht lang allein, da kam eine Magd mit einem verschlossenen Wäschekorb hinzu, sprach ihn an und wurde von dem Mann sofort zurechtgewiesen, ohne dass Eichendorff irgendetwas von dem Gesprochenen verstehen konnte. Allein die Miene und der maulend aggressive Ton des Mannes zeigten Eichendorff dessen Missfallen, woraus er schloss, dass der Mann vielleicht verärgert über die Verspätung der Magd sei. Schließlich wendete er sich von der Frau ab und ging, was diese mit einem beiläufigen Schulterzucken kommentierte. Ein keckes Ding, dachte Eichendorff anerkennend, der nun von seinem Posten aus die Frau beobachtete. Diese stellte den Korb, den sie bisher auf die Hüfte gestemmt gehalten hatte, ab und wusch sich am Teich etwas Schlamm von ihren Schuhen. Anschließend nestelte sie an ihrem Kleid, wobei sie auch ihren Busen zurechtrückte, was Eichendorff zu seinem Bedauern jedoch nur von hinten betrachten konnte. Nachdem dies geschehen war, nahm sie den Korb wieder auf und ging so gleichgültig ab, dass Eichendorff sich zu fragen begann, ob ihr denn der Wutausbruch des Mannes kurz zuvor gar nichts bedeutet hätte.

      Kopfschüttelnd trat er vom Fenster weg und nahm seine Säuberung langsam auf, obwohl er wusste, dass man ihn bereits erwartete. Undine kam ihm in den Sinn. Er hatte sie noch nicht gesehen, obwohl ihm Botfeld versichert hatte, dass sie anwesend sei. Ob sie ihn, ebenso wie die Magd den Diener, beiläufig und vielleicht sogar etwas geringschätzig behandeln würde?

      Eichendorff war den Umgang mit der Schrotflinte zwar gewohnt, doch lag ihm das Reiten um einiges mehr am Herzen. Ja, Wilhelm, der hätte wesentlich mehr geschossen, aber ihm selbst fehlten die Übung und vielleicht auch der Ehrgeiz, um wirklich erfolgreich zu sein. Zwar interessierte er sich für Vogelvieh wie auch für alle Jagd- und Nutztiere, doch fing er sie lieber lebendig mit Schlingen, um ihre Gewohnheiten zu beobachten und sie zu halten, und so kam es, dass, obwohl ihm Jakob immer wieder den schussbereiten Vorderlader reichte, es eindeutig Botfeld war, der öfter eine Ente erwischte.

      Eichendorff erkundete hingegen die ihn umgebende Natur, die um Geusau herum so verschieden von den staubigen Feldern bei Halle war. Hier lag alles in ständigem Kontakt mit dem Wasser, das große Teile des Landes fußtief überzog und Birken und Erlen gespenstisch wie nach einer Sintflut aus sich herausragen ließ. Die fruchtbaren Äcker, etwas höher gelegen, befanden sich im Norden des Dorfes, wie Eichendorff in Erfahrung gebracht hatte, und selbst diese wurden in unregelmäßigen Abständen überschwemmt. Im Süden jedoch, wohin ihn Botfeld geführt hatte, stand lichter Wald auf schmalen Erhebungen, die wie Inseln auf dem Wasser lagen. Die Jagdhunde hatten allesamt schon nach kurzer Zeit


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