Magdalenes Geheimnis. Christina Auerswald

Magdalenes Geheimnis - Christina Auerswald


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der Tür her drang ein Lichtschein in das Stübchen. Ein Stübchen, mehr war es nicht, aber es wohnte ein Zauber darin wie von den Märchen, die Anna ihr an lange vergangenen Abenden erzählt hatte, an denen sie zwischen leisem Murmeln von Riesen und Geistern, Helden und schönen Mädchen in den Schlaf dämmerte. Es war das Licht, diese kaum erkennbaren roten und gelben Streifen von der Tür her, die wie ein Fächer in alle Richtungen flossen, in die Regale hinein, über den Tisch, zwischen die Körbe und oben auf die Kisten. Sie griffen nach dem Reichtum dieser Kammer, nach den Gläschen, an denen sie vorüberblitzten, schlängelten sich durch das Flechtwerk der Körbe und rieben sich am Metall der Kisten. Als Patriarch thronte über allem der schwere, würzige Geruch, der, je nachdem, welchem Regal sie sich näherte, eine andere Färbung annahm. Ihr schwindelte vor Verlangen, das Öle und Harze, Kräuter und Körner in ihr erweckten. Es war der Duft von Indien, von Zypern, Amerika, Frankreich und tausend kleinen Inseln, vom Meer und fremdartigen Bäumen, und sie schwebte einen Augenblick wie ein Vogel über einem grünen Hain, aus dem Rha-Bäume zu ihr hinaufwinkten und die Wipfel vor ihr beugten. Eine entrückte, selige Freude grub sich in ihre Mundwinkel und machte ihre Hände weich. Herr Rehnikel sprach weiter von Seifenbaum und Weinstein, Brunellen, Zitronöl, Safran und Zimt. Zauberhafte Wörter glitten über Magdalenes Zunge, als sie ihm nachsprach: Indigo, Magalep, Jalappe. Sie strich mit sanften Händen über die Kannen und Kästen und jedes Material schien, wie sie mit den Fingern darüber fuhr, Wärme und Duft in sie zu leiten. Eine wohlige Gelassenheit ging über sie hin. Als sie sich langsam im Kreis drehte, sprach das Kämmerchen zu ihr: Magdalene, he, Magdalene!, als wäre sie schon tausendmal hier gewesen.

      Auf der Treppe hinauf in das große Zimmer mit dem Erkerfenster redete Herr Rehnikel weiter. Magdalene hatte längst aufgegeben, zustimmend zu nicken. Sie sah aus dem Augenwinkel, wie die alte und die junge Magd ihnen nachschauten. Magdalene genoss den Gedanken mit Freude, dass Else jetzt ins Zweifeln gekommen sein mochte. Georg Rehnikel geleitete seine Frau in den Stuhl vorm Fenster und brachte ihr ungefragt einen gemischten Wein. Er redete vom Geschäft, wie er die Waren manchmal erst nach monatelanger Korrespondenz bekam und was er tat, wenn sie verdorben ankamen.

      Magdalene erinnerte sich daran, dass sie ihm die gezwungene Ehe mit Bitternis vergelten wollte. Sie wusste nicht mehr genau, warum. Sie wusste nur, dass sie zornig gewesen war.

      »Ihr werdet es gut haben bei mir. Glaubt mir, Magdalene, es soll Euch an nichts fehlen. Ich kann Euch mehr bieten als Ihr bei den Bertrams je gesehen habt.«

      Magdalene atmete tief ein. Jetzt musste sie heraus mit der Sprache, ehe der Mut sie noch verließ. »Ich verstehe nicht, warum Ihr diesen Handel eingegangen seid. Welche Kröte muss ich schlucken?« Ihre Stimme hatte vor Aufregung einen schneidenden Ton bekommen, sie war rot wie ein Herbstapfel. Herr Rehnikel sah sie von der Seite an. Das Lächeln verschwand wie ein Schatten aus seinem Gesicht. In seine Züge trat die Aufmerksamkeit, mit der er das Mädchen schon bei der Verlobung betrachtet hatte. Er schwieg ein Weilchen.

      Als sie schon dachte, er hätte nichts dazu zu sagen, begann er gegen das Fenster gerichtet zu sprechen: »Ihr seid verletzt, dass man Euch zu unserer Ehe nicht befragt hat, nicht wahr?«

      Im Zimmer war es nicht kalt, dennoch fröstelte Magdalene. Sie rieb die Hände an den Armen, ehe sie antwortete. »Wir sollten ehrlich miteinander sein, wenn wir ein gemeinsames Leben führen wollen. Ich möchte im Bilde sein, warum Ihr ausgerechnet mich geheiratet habt, denn Ihr musstet dafür viel opfern, und zwar zumindest Euren Ruf. Ihr habt Euch freiwillig als Bösewicht hinstellen lassen müssen. Das tut man, wenn man eine Menge dafür erwartet. Welchen Gewinn erhofft Ihr Euch durch die Heirat mit mir?«

      Magdalene sah, wie Herr Rehnikel schluckte. In seinem Gesicht arbeitete es, doch der Zornesausbruch, den sie befürchtet hatte, blieb aus. Herr Rehnikel atmete hörbar durch die Nase ein. Seine vor wenigen Minuten noch sanft lächelnden Augen blickten groß und ernst. »Warum glaubt Ihr, dass alles nur ein Handel ist?«

      Magdalene war heiß. Auf ihrer Stirn sammelten sich kleine Schweißtröpfchen, die an den Schläfen herabzurinnen drohten. »Was soll es sonst sein?« Magdalene spürte die Sonne in ihrem Gesicht. Der Schein blendete, dass sie die Augen schließen musste. Sie wartete, dass Herr Rehnikel etwas tat. Aber er tat nichts. Er war ein schlauer Kerl, das hatte sie schon bemerkt. Schließlich war sie diejenige, die zu fragen begonnen hatte.

      Herr Rehnikel schwieg. Er saß in dem dunklen Stuhl wie hineingegossen, die Arme auf die Lehnen gepresst und mit seinem Leibesumfang den Sitz füllend. Hinter seinen geschlossenen Lippen bewegte sich der Kiefer, die Augen wanderten den Erker hinauf und hinab, ringsherum, als sähe er das Fenster zum ersten Mal. Endlich sah er seine Frau an. »Ist unsere Verbindung nicht das Beste, was uns beiden zustoßen konnte?«

      Das war nichts weiter als Überredungskunst. Das zu glauben, fehlten Magdalene die Gründe. Sie blieb still und schüttelte den Kopf.

      »Lasst Euch Zeit, Magdalene. Ihr werdet es mit ruhiger Überlegung so sehen wie ich.«

      Der Wein hatte sie benommen gemacht. Sie lehnte schwach in ihrem Stuhl und presste bitter die Lippen aufeinander.

      »Was glaubt Ihr denn, könnte ich dafür fordern, dass ich Euren Sohn für meinen erkläre und meinen Ruf vor Euren stelle, um Euch zu schützen?« Herr Rehnikel fragte mit einem gespannten Blick, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Er hörte nicht auf, Fragen mit Fragen zu beantworten.

      Magdalene legte die Hand auf ihren Hals, an die Stelle in der Mitte, wo der Brustkorb eine Kerbe hat, rund wie ein Medaillon, und spürte an ihrer Fingerspitze den Puls. Sie kannte das. Es beruhigte. Sie konnte jetzt ohne Zittern in ihrer Stimme sprechen. »Auf jeden Fall Demut, und dass ich den Mund halte.«

      Herr Rehnikel lächelte. In seinen Augenwinkeln erschienen Falten. »So? Da hätte ich mir eine andere aussuchen müssen. Demut gehört nicht zu den Eigenschaften, die Euer Onkel an Euch preist. Im Kirchenbuch ist im Übrigen schon vor drei Wochen eingetragen worden, was seit der Taufe des Kleinen dank der vorausschauenden Weisheit Eures Onkel frei geblieben war: der Vaterseintrag. Der lautet jetzt auf meinen Namen.«

      »Warum? Warum damals schon? Da war ich gerade erst zurückgekommen!« Magdalene versuchte ihre Frage in dem gleichen ruhigen Ton zu stellen, den er benutzt hatte, doch es gelang ihr nicht. Die Aufregung färbte ihre Stimme hell.

      »Schreibt es von mir aus dem Charakter eines Händlers zu.« Er lächelte. »Ein Händler muss eine geschlossene Muschel kaufen, wenn er eine Perle sucht. Wir geben damit unserer Kirche, was sie für die Ordnung in unserem Leben braucht.«

      Magdalene konnte nicht dermaßen verächtlich schauen, wie ihr zumute war. »Gott können wir nicht betrügen, Herr Rehnikel. Ihr und ich wissen genau, dass Ihr mich noch nie berührt habt. Ich bin nicht die Jungfrau Maria, dass ich von einem Blick schwanger geworden wäre.«

      Herr Rehnikel atmete tief ein. »Es sind die Leute, die dieses Spiel brauchen, nicht Gott. Ihr werdet bei mir kein schlechtes Leben führen und Euer Sohn wird Bürger dieser Stadt sein können. Ist diese Heirat nicht ein Akt der Mutterliebe gewesen?«

      Magdalene winkte müde ab. »Einen guten Handel für die Kirche, für mich und den Hans und für Euch selbst, das könnt nur Ihr Euch ausgedacht haben, als wahrer Krämer. Seid Ihr denn nie auf den Gedanken gekommen, dass mich schon einer berührt hat und dass ich den im Stich gelassen habe? Wer sagt Euch denn, dass ich nicht dasselbe mit Euch tun werde?«

      Ob sie Herrn Rehnikel getroffen hatte, konnte sie nicht sehen. Jedenfalls hörte er auf, sie auf das künftige schöne Leben hinzuweisen. Er stand auf und ging ins Nebenzimmer. Als er wiederkam, trug er ein Buch in der Hand. Es war eine Bibel mit braunem Ledereinband und dicker geprägter Schrift auf dem Deckel. Wegen des besseren Lichts ging er ans Fenster, hielt die Bibel in der Linken und blätterte mit der Rechten. Er war bei Matthäus, suchte offensichtlich eine bestimmte Stelle. Er hob das Buch näher an die Augen und zitierte. »Habt Ihr nicht gelesen, dass der, welcher sie schuf, sie von Anfang an als Mann und Frau schuf und sprach: darum wird ein Mensch Vater und Mutter verlassen und seiner Frau anhängen, und es werden die zwei ein Fleisch sein, dass sie nicht mehr zwei sind, sondern ein Fleisch? Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.«

      Magdalene


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