Magdalenes Geheimnis. Christina Auerswald

Magdalenes Geheimnis - Christina Auerswald


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Besonders fielen ihr seine Augen auf, runde, braune, feucht glänzende Augen wie Flusskiesel. Sie waren schwarz bewimpert und verliehen ihm ein gutmütiges Aussehen. Unvermittelt begriff sie, dass sie ihn schon einmal gesehen hatte: Ihr war ein Mann begegnet, als sie nach Halle heimkehrte, der hatte sie an der Salomo-Apotheke angesprochen. Er trug heute einen dunklen französischen Rock, ein wenig abgetragen und mit genauso einem albernen Tüchlein in der Rocktasche, wie ihr Onkel es besaß. Er war rundlich, alles an ihm war rundlich. Sein dicker Bauch wölbte sich, dass die Knöpfe in der Mitte seines Rocks abzuplatzen drohten. Die Beine, krumm wie türkische Säbel, steckten in eng anliegenden dunklen Kniebundhosen. Über dem flachen Kragen und dem doppelten Kinn leuchtete die Mondscheibe seines Gesichts. Auf der gewölbten Stirn lag eine zerdrückte Perücke mit weißen Locken; die Nase war knotig wie eine vom Baum gefallene, eingetrocknete Birne. Schweiß glänzte auf seiner blassen Stirn.

      Er hob eine Augenbraue, die linke, und beugte den Kopf leicht. »Wie schön, Euch wiederzusehen«, hörte sie ihn in einem sanften Tonfall schmeicheln. Er verzog das Gesicht zu einem Lächeln, derart mild, dass sie in Versuchung geriet, ihn für ein wenig dümmlich zu halten. Dass es das nicht traf, merkte sie im gleichen Atemzug. Sein Blick folgte ihren Bewegungen genau.

      Magdalene antwortete ausdruckslos: »Guten Tag«, genau mit der Menge Distanz, dass er es auf sein Süßholzgeraspel beziehen konnte. Er kam einen Schritt näher und hob die Hand, legte sie Hans auf die Wange und strich darüber.

      Es gelang Magdalene nicht, ihre Abwehr zu verbergen. Er bemerkte ihre Bewegung rückwärts, musterte sie forschend und ging dennoch wieder zum Lächeln über. »Was für ein prachtvoller Knabe«, schmeichelte er. Sie hätte schwören können, dass er noch eine Portion Schmalz zugelegt hatte. Die Mondscheibe lächelte.

      Schnell brachte Magdalene den Kleinen zu Anna in die Küche und stieg hinauf in den ersten Stock. Sie atmete tief, bevor sie die Klinke drückte. Es war nur noch Formsache, die Einzelheiten waren längst abgesprochen, sonst hätte Conrad Bertram sein Mündel noch nicht informiert. Immerhin war dieses Geschäft gut verborgen geblieben, dass sie bis zu dieser Stunde nichts davon geahnt hatte.

      Herr Bertram stand an seinem Platz und goss Wein in drei Becher. Der Gast saß am Tisch, an der zweiten Stirnseite, dem Hausherrn gegenüber. Er saß auf dem Stuhl, der eigentlich Magdalenes war, einem schönen Holzstuhl mit einer geschnitzten Eule in der Lehne. Sie nahm einen Duft wahr, einen Duft nach Nelken mit einem Hauch Zimt und etwas anderem, das sie nicht kannte.

      Herr Rehnikel lehnte sich locker an. Er lächelte, als wäre er zum Vergnügen hier. Magdalene kannte ihn noch nicht gut genug, sie konnte nicht herausbekommen, ob es seine Art war oder ob er sich über etwas lustig machte. In diesem Moment drehte sich Onkel Conrad zu ihr. Er nahm ihre Hand und zog sie näher zu sich. Er hatte gesiegt, er hatte seine widerspenstige Nichte dahin gebracht, wohin er sie haben wollte, glaubte er. So einfach würde sie es ihm nicht machen. Erst musste er noch ein bisschen Gift und Galle spucken.

      Conrad Bertram verbreitete eine Rede, die wie Saalewasser nach der Schneeschmelze durch den Raum plätscherte. Er hielt Magdalene weiter an der Hand. Dieser Rehnikel lächelte, aber er sah nicht Herrn Bertram an. Er betrachtete Magdalene. Man hätte meinen können, er lächelte ihr zu. Sie glaubte, ihn allmählich zu durchschauen. Hinter seinem Lächeln taxierte er. Natürlich, er war ein Händler, und Händler müssen schlau sein wie Füchse. Er taxierte ihre Hand, die des Onkels Hand nicht griff, sondern die Arbeit des Festhaltens ihm überließ. Er taxierte ihre Brust, die sich unter ihrem Atem gleichmäßig und langsam hob und senkte, aber nicht langsam genug, um so gelassen zu atmen, wie sie wollte. Er taxierte die kleine Erhebung unter ihrem Hemd, wo das Amulett hing, das er nicht sehen konnte und von dem Onkel und Tante nichts wissen sollten. Als Conrad Bertram schon so lange geredet hatte, dass alle drei Menschen im Raum knietief im Wasser seiner Rede standen, gab es eine Pause. Der Händler hatte seinen Einsatz verpasst.

      Er stand extra auf, um zu reden. Er brauchte nicht viele Worte, um sein Anliegen vorzutragen. Er würde Magdalene jetzt fragen, ob sie bereit wäre, seine Frau zu werden, und sie musste darauf antworten. Zuerst redete er von seinem Witwerstand und von seinem Handel. Spezereien. Fünfundvierzig Jahre alt. Himmel hilf! Er hätte bequem Magdalenes Vater sein können!

      »Die Ehe ist die einzig wahre Verkörperung der göttlichen Liebe auf Erden«, sprach er in würdigem Ton. Magdalene kaute noch an diesem Satz, da erläuterte er, dass er den Hans legitimieren wolle. Herr Rehnikel würde im Taufregister als Vater eingetragen. Hans würde Hans Rehnikel werden, er war für ein paar Taler kein Bankert mehr, er konnte später das Bürgerrecht bekommen. Ein äußerst verlockendes Angebot. Der Händler sollte als Magdalenes Verführer herhalten. Magdalene musste wider Willen schmunzeln. Ob das jemand glaubte? Endlich die Frage: »Wollt Ihr mein Eheweib werden, vor Gott und den Menschen?«

      Magdalene ließ sich Zeit mit ihrer Antwort. Sie stand auf und sah Herrn Rehnikel in die Augen. Ausnahmsweise überlegte sie jedes einzelne Wort. Die beiden Männer schauten sie mit einem zufriedenen Lächeln an, als hörten sie schon ein demütiges Ja und sähen ein braves Nicken.

      »Ich bin noch nicht einmal achtzehn Jahre alt«, antwortete Magdalene stattdessen, »und jedermann weiß, dass es Mädchen in diesem Alter an Verstand und Reife für solche schwerwiegenden Antworten gebricht. Seid so freundlich, lieber Onkel, und antwortet an meiner Stelle. Für die bisherigen Verhandlungen habt Ihr mich nicht gebraucht, was wollt Ihr Euch wegen meiner Zustimmung bemühen?«

      Sie starrten Magdalene an, als hofften sie beide, das Mädchen würde zu lachen beginnen. Magdalene lachte nicht, sie setzte noch hinzu: »Bitte, lieber Onkel! In Sachen der göttlichen Liebe und ihrer Verkörperung auf Erden, meine ich, ist ein angehender Kirchenvorstand kompetenter als ich.«

      Conrad Bertram sprang von seinem Stuhl auf. Die beiden Männer standen einen Augenblick starr. Dem Händler kerbte sich eine steile Falte zwischen die Brauen. Er ging einen Schritt rückwärts und lehnte sich an die Wand, als mache ihm sein Alter zu schaffen. Herr Bertram schniefte, in seinen Pupillen wuchs der Zorn. Er packte seine Nichte am Oberarm, murmelte, er müsse noch einmal mit ihr reden, und schob sie durch die Tür ins Treppenhaus.

      Draußen entließ er seine Gesichtszüge aus der Gewalt, presste die Zähne aufeinander und knurrte. Magdalenes Knie wurden weich. Sie hatte ihm Gift und Galle entlocken wollen, doch die Gegenwart des Besuchers sollte eigentlich die Strafe ersparen. Ein Kloß versperrte ihre Kehle, der sie fast erstickte. Der Onkel knurrte weiter, er hielt sie am Kragen wie einen kleinen Dieb und bellte in ihr Gesicht. »Du undankbare, dumme Göre«, schnaubte er in ihre Ohren. »Du wirst noch alles verderben. Es hat mich Mühe gekostet, dieses Arrangement zustande zu bringen. Ich habe es satt, für deine Dummheiten geradezustehen!«

      Es war kein Kloß, der ihre Kehle versperrte, da hatte sie sich geirrt. Es war Conrad Bertrams Hand, die ihren Kragen zusammenzog. Er schien nicht zu merken, dass er dabei war, ihr die Gurgel zuzuschnüren. Magdalene spannte alle Muskeln an, riss den Mund auf, schnappte nach Luft und brachte krächzend hervor: »Meine Mitgift! Sie ist groß genug!«

      Der Onkel stieß ein böses Lachen aus. »Welche Mitgift? Glaubst du, dass die Sachen deines Vaters einen Pfifferling wert waren? Weißt du, was man nach der schrecklichen Pestzeit für ein Haus bekommen hat? Niemandem saß das Geld locker in der Tasche!« Er kniff die Augen zusammen und senkte den Tonfall. »Was glaubst du überhaupt, wie dein Leben aussehen soll, wenn du nicht heiratest? Willst du mir mit deinem Bankert lebenslänglich auf der Tasche liegen?«

      Magdalene zuckte die Schultern, eine Antwort konnte sie ihm nicht geben. Dafür redete der Onkel weiter. Er kniff die Augen noch ein bisschen mehr zusammen. Er sprach leiser und betonte seine Worte einzeln.

      »Weißt du, ich dachte, es kommt mal jemand und erkundigt sich danach, wie es dir geht. Irgendein Kerl muss das Kind ja gemacht haben. Kinderkriegen ist eine gefährliche Sache. Es hätte sein können, du stirbst dabei. Diesem Menschen, wer immer das war, scheint es gleich zu sein, ob du lebst oder tot bist und ob du sein Kind zur Welt gebracht hast oder nicht. Was meinst du, Lene?«

      Er löste sich von der Wand und nahm seine Hand von Magdalenes Schulter. Die Knie knickten dem Mädchen wider Erwarten nicht ein. Magdalenes Augen füllten sich mit Tränen.


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