Gellengold. Tim Herden

Gellengold - Tim Herden


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in ihre Richtung. Rieder konnte sich wieder einmal nur wundern über seinen Kollegen.

      »Wir sind doch nicht in Seenot.«

      »Wollten Sie sich weiter den Arm auskugeln mit Ihrem Gewinke?«, gab Damp zurück und ging hinunter an die Wasserkante. Aus dem Polizeiboot war inzwischen ein Schlauchboot zu Wasser gelassen worden, in das nun vier Männer kletterten. Einer startete den Heckmotor und das Boot schoss vorwärts in Richtung Strand. Damp wies die Kollegen an, weiter nach links zu steuern, damit sie nicht genau dort landeten, wo man den Toten gefunden hatte und dadurch vielleicht die letzten Spuren verloren gingen.

      Am Strand gingen die Männer von der Spurensicherung nach einer kurzen Begrüßung gleich an die Arbeit. Ihr Chef, Holm Behm, meinte mürrisch: »Viel werden wir hier nicht finden. Ist schon alles ganz schön zertrampelt. Und bei dem Toten kann uns nur die Pathologie weiterhelfen. Der Messerstich könnte natürlich tödlich gewesen sein, aber vielleicht hat er auch noch gelebt, als er ins Wasser fiel oder gestoßen wurde, und ist dann ertrunken?«

      Einer der Kriminaltechniker winkte seinen Chef zu dem gefundenen Fahrrad. Er zeigte Rieder und Behm die beiden parallelen Reifenspuren hinter dem abgestellten Fahrrad. »Sieht aus wie die Spur von einem Handwagen«, vermutete Behm.

      »So eine Art Fahrradanhänger vielleicht, wie man sie hier auf der Insel benutzt, um das Gepäck von den Feriengästen zu transportieren«, bemerkte Rieder.

      »Aber der muss ganz schön beladen gewesen sein, denn die Spuren gehen ziemlich tief in den Sand und hier ist der Strandboden eigentlich recht fest.« Der Beamte deutete auf ein kleines, kaum erkennbares Loch im Sand. »Da wurde er abgestellt. Man sieht noch den Einstich des Wagenständers.«

      Rieder und Behm verfolgten die Abdrücke der Wagenräder. Behm berührte leicht die Spuren im Sand. »Sehen Sie mal hier.« Rieder kniete sich neben den Kriminaltechniker. »Das Profil der Reifen ist nicht klar zu erkennen. Es wirkt wie verwackelt, wie bei einem Foto. Wer auch immer wollte den Wagen auf der gleichen Spur zurückbringen, auf der er hergekommen ist. Aber sehen Sie! Da ist der Wagen ausgebrochen, wahrscheinlich weil der Sand weicher wurde.« Zwischen dem Abstand der Räder entdeckten die Polizisten auch eine Fußspur. »Er muss ganz schön gebuckelt haben an dem Wagen, bedeutet, der Wagen war ziemlich schwer«, mutmaßte Behm. »Die Fußspuren gehen tiefer in den Sand. Er muss barfuß gewesen sein. Die Sohlenspur ist leicht nach unten gebogen in den Sand. Man sieht sogar fast noch die Zehenabdrücke.« Behm stand auf und demonstrierte Rieder, was er meinte. »Er hat Widerstand und Halt gesucht im Sand, um den Wagen voranzubekommen, aber was kann er transportiert haben? Den Toten?«

      Rieder schüttelte den Kopf. »Kann ich mir nicht vorstellen. Warum hat er das Fahrrad dann nicht wieder mitgenommen, falls er den Toten mit Rad und Wagen hierhertransportiert hat? Ich schätze, unser Toter ist mit dem Fahrrad gekommen und der Wagen hing hinten dran. Und den Wagen hat der Täter mitgenommen. Vielleicht haben sie sich um den Inhalt gestritten?«

      Behm zuckte ratlos mit den Schultern. »Alles Vermutungen.«

      Sie waren der Spur noch weiter gefolgt und jetzt schon oben am Strandzugang angekommen. Dort verloren sich auf dem kleinen Fahrradparkplatz die Wagenspuren zwischen hundert anderen, weil es täglich eine Menge Touristen gab, die mit Fahrrad und Hänger zum Strand fuhren und hier viele Spuren neben- und ineinanderliefen.

      »Sollten wir vielleicht einen Spürhund einsetzen, um die Spur weiterzuverfolgen?«, fragte Rieder.

      Behm wog den Kopf hin und her. »Vom Strand bis hierher kann der Hund vielleicht eine Witterung aufnehmen, aber hier sehe ich schwarz. Es sind zu viele Sachen in der Luft und zu viele Reifenspuren durcheinander. Ich glaube, das bringt nichts.«

      Beide Polizisten gingen zurück an den Strand.

      »Wir nehmen das Fahrrad mit nach Stralsund«, meinte Behm. »Vielleicht erzählt uns der alte Drahtesel noch ein paar Geschichten, die er hier am Strand nicht ausspucken will. Seine gut zwanzig, vielleicht dreißig Jahre hat der auch schon auf dem Buckel. Wisst ihr denn eigentlich schon, wer der Tote ist?«

      Statt Rieder antwortete Damp, der immer in der Nähe der beiden geblieben war, um nur kein Wort zu verpassen. »Die Identität ist noch nicht geklärt. Er hatte keine Papiere bei sich. Nur Kollege Rieder hat etwas in seiner Hand gefunden. Vielleicht hilft das ja weiter.«

      Rieder zog den Plastikbeutel mit der Münze aus der Tasche und gab sie Behm. Der hielt sie gegen das Licht. »Eine Erkennungsmarke ist das auch nicht«, spöttelte Behm in Richtung Damp, »aber schon merkwürdig.«

      »Wollen Sie die Münze mitnehmen?«

      »Ich denke, ihr beide könnt die hier besser brauchen. Vielleicht hat sie jemand von der Insel schon mal gesehen.«

      Es war deutlich wärmer geworden. Die Sonne stand jetzt, so knapp vor Mittag, fast senkrecht über dem Strand. Behms Leute hatten ihre Arbeit beendet und waren dabei, das Fahrrad im Schlauchboot zu verstauen.

      »Und die Leiche?«, fragte Damp.

      »Euer Problem, würde ich sagen«, gab Behm zurück, »aber ihr solltet euch beeilen, ihn ins Kühlfach zu bringen, sonst bekommen die Möwen noch Appetit.«

      »Na toll«, brauste Damp auf, »ihr könnt uns doch mit dem Scheiß hier nicht sitzen lassen.«

      Aber Behm war schon auf dem Weg zum Boot. Er winkte noch kurz. »Ich schicke euch den Bericht per Mail rüber. Da sind dann auch Bilder von dem Fahrrad und dem Toten dabei. Braucht ihr ja sicher für eure Fahndung.« Und damit sausten die Kriminaltechniker mit dem Schlauchboot zurück zum Schiff der Wasserschutzpolizei.

      Die beiden Inselpolizisten blieben ziemlich verdutzt mit ihrer Leiche am Strand zurück. Damp tobte. Er war sowieso schon ziemlich rot angelaufen durch die Stunden in der Hitze, aber nun drohte er förmlich zu explodieren. »Wofür halten die uns eigentlich«, brüllte er den Kollegen noch hinterher.

      »Für zwei blöde Inselpolizisten«, gab Rieder zurück.

      Damp starrte ihn an, als wollte er sich gleich auf Rieder stürzen. Seine Augen funkelten vor Wut. »Tun Sie nur nicht so cool, Rieder, und spielen Sie hier nicht den Großstadtpolizisten. Das nervt. Vielleicht begreifen Sie jetzt endlich mal, dass Hiddensee nicht Berlin ist, also nicht der Mittelpunkt, sondern der Arsch der Welt.«

      Rieder hatte mit diesem Ausbruch nicht gerechnet, den auch die Hiddenseer Feuerwehrleute, angelockt durch die Lautstärke von Damps Attacke, mitbekommen hatten. Amüsiert blickten sie von ihren Absperrungen zu den beiden Streitenden herüber.

      Rieder konnte sich nur mit Mühe durchringen, Ruhe zu bewahren. »Das gehört jetzt nicht hierher. Wo sind eigentlich die Sanitäter?«

      »Die haben sich aus dem Staub gemacht. Ebenso der Arzt. Als Sie mit Behm angefangen haben, nach den Wagenspuren zu suchen, sind sie los. So läuft das hier. Begreifen Sie das endlich!«

      »Dann, denke ich, sollten wir ein Bestattungsunternehmen von Rügen organisieren, das den Leichnam nach Greifswald in die Rechtsmedizin bringt.«

      Rieder holte sein Handy aus der Tasche und ließ sich über die Auskunft mit einem Bestattungsunternehmen in Bergen verbinden. Man versprach ihm, in circa zwei Stunden vor Ort zu sein und den Toten dann nach Greifswald zu überführen.

      »Okay, ich bleibe hier und warte. Sie könnten ja vielleicht schon mal nach Vitte fahren und schauen, ob eine Vermisstenanzeige vorliegt?«

      Damp nickte bloß stumm und zog ab.

      Rieder setzte sich in den Sand. Allein mit dem Toten überkam ihn eine depressive Stimmung. Zum ersten Mal, seit er hier auf der Insel angekommen war, fühlte er sich einsam. Eigentlich kannte er auf Hiddensee keinen Menschen. Und er war auch nicht der Typ, der schnell Bekanntschaften schloss. Vielleicht war seine Flucht aus Berlin unüberlegt gewesen? Alles zurückzulassen. Mit Damp verstand er sich nicht, er sah auch keine Chance, dass dies anders werden könnte. Und für die Insulaner war er ein Fremder. Das hatte er auch schon von anderen gehört, die hierhergezogen waren, um sich eine neue Existenz aufzubauen. Man war und blieb der Fremde. Und dann noch dieser Fall. In Berlin wäre sofort der ganze Apparat ins Laufen gekommen,


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