Dr. Daniel Staffel 9 – Arztroman. Marie Francoise
Stunden nicht ändern würde.
»Ich werde in regelmäßigen Abständen nach ihr sehen«, sicherte Dr. Parker zu, weil er wußte, wohin es Dr. Daniel zog.
»Danke, Jeff«, meinte er, dann machte er sich eilends auf den Weg zu dem Zimmer, wo Lena Kaufmann im Bett lag und schlief.
Dr. Daniel zog sich einen Stuhl heran und warf einen Blick auf die Uhr. Er hatte Lena kein übermäßig starkes Beruhigungsmittel gespritzt, aber sie war derlei Medikamente nicht gewohnt. Trotzdem rechnete Dr. Daniel damit, daß sie bald aufwachen müßte.
Es dauerte allerdings fast eine Stunde, bis Lena allmählich zu sich kam. Sie wollte sich rasch aufrichten, doch die Nachwirkungen des Medikaments ließen das nicht zu. Beruhigend legte Dr. Daniel eine Hand auf ihren Arm.
»Langsam, Frau Kaufmann, lassen Sie sich ruhig Zeit«, bat er mit sanfter Stimme.
»Hanni«, brachte Lena ein wenig mühsam hervor. »Was ist mit ihr?«
»Sie liegt auf der Intensivstation«, antwortete Dr. Daniel. »Allerdings nur zur Sicherheit. Die beiden Eingriffe hat sie gut überstanden.« Er schwieg kurz. »Die Seele wird zum Heilen allerdings ein bißchen länger brauchen als der Körper.«
Lena nickte. Sie war lange genug Krankenschwester, um zu wissen, wie schlimm für eine werdende Mutter eine Fehlgeburt war. Erneut wollte sie aufstehen, doch Dr. Daniel hielt sie wiederum zurück.
»Lassen Sie Ihrem Kreislauf ein bißchen Zeit, um in Schwung zu kommen.« Er lächelte ein wenig. »Sie müssen nicht gleich wieder Ihren Dienst antreten.«
Es widerstrebte der Oberschwester sichtlich, hier im Bett zu liegen.
»Ich hätte mich nicht so gehenlassen dürfen«, meinte sie und wurde dabei ganz verlegen.
»Sie haben sich nicht gehenlassen«, widersprach Dr. Daniel energisch. »Was Sie durchlitten haben, war fast ein Nervenzusammenbruch, und damit ist nicht zu spaßen. Ich möchte unter allen Umständen verhindern, daß sich Ihr momentan sehr labiler Zustand noch verschlimmert.« Er schwieg kurz. »Vorhin… als ich Sie in dieses Zimmer brachte… als Sie schlafend vor mir lagen, da wurde mir zum ersten Mal wirklich bewußt, wie wenig ich eigentlich über Sie weiß.«
Mit einer fahrigen Handbewegung strich Lena durch ihr kurzes dunkelblondes Haar.
»Das war Absicht«, gestand sie dann ein. »Ich wollte immer Beruf und Privatleben trennen. Ich habe in Ihrer Praxis und auch hier in der Klinik niemals über meine Ehe gesprochen, ebenso wie ich zu Hause auch nichts von meinem Beruf erzählte. Das war für mich die beste Lösung, um allen gerecht zu werden. Sobald ich die Praxis oder später dann die Klinik betreten habe, war ich nur noch Sprechstundenhilfe beziehungsweise Oberschwester, daheim dagegen nur Ehefrau und Mutter.« Traurig senkte sie jetzt den Kopf. »Dachte ich jedenfalls.«
»Sie haben außer Ihrer Stieftochter noch eine leibliche Tochter, nicht wahr?« hakte Dr. Daniel jetzt behutsam nach.
Lena nickte. »Hanni war vier, als Uschi geboren wurde. Horst und ich hätten gern noch mehr Kinder gehabt, doch es hat nicht mehr geklappt.«
»Uschi kann angeblich keine Kinder bekommen«, fuhr Dr. Daniel fort. »Jedenfalls behauptete das Ihre Stieftochter.«
Lena seufzte tief auf. »Das ist nicht ganz richtig. Georg, Uschis Mann, ist nicht zeugungsfähig. Allerdings haben die beiden das Thema Kinder vorerst zurückgestellt. Sie sind ja noch so jung und wollen sich mit der Familienplanung ein wenig Zeit lassen. Uschi und ich haben ein sehr gutes Verhältnis zueinander, deshalb hat sie mir anvertraut, daß sie für alle Wege offen wäre – Adoption oder künstliche Befruchtung.« Sie seufzte noch einmal, dann schlug sie die Bettdecke zurück und erhob sich. »Ich muß wieder an meine Arbeit gehen.«
Dr. Daniel stand ebenfalls auf und berührte Lenas Arm. »Ich will mich nicht aufdrängen, Frau Kaufmann, aber wenn Sie mit der Situation allein nicht mehr fertig werden, dann finden Sie hoffentlich den Weg zu mir.« Er schwieg kurz. »Die massiven Anschuldigungen gegen Sie, die von Ihrer Stieftochter kamen, haben mich tief erschüttert. Sie sollen wissen, daß ich diesen Anschuldigungen keinen Glauben schenke. Ich kennen Sie nur als Sprechstundenhilfe und Oberschwester, aber in all den Jahren habe ich Sie als eine sehr warmherzige Frau kennengelernt. Das Bild, das Ihre Stieftochter gezeichnet hat, paßt überhaupt nicht in diese Vorstellung.«
Lena brachte ein mühsames Lächeln zustande. »Danke, Herr Doktor. Ich weiß Ihr Vertrauen in mich zu schätzen, und Sie können sicher sein, daß ich mich an Sie wenden werde, wenn ich das Gefühl habe, Ihre Hilfe zu brauchen.« Ein wenig verlegen senkte sie den Kopf. »Fassen Sie es nicht als mangelndes Vertrauen auf, aber… im Moment bin ich einfach noch der Ansicht, daß wir unsere Probleme innerhalb der Familie regeln müssen.«
»Dafür habe ich vollstes Verständnis«, bekräftigte Dr. Daniel. »Ich wollte Sie nur wissen lassen, daß da jemand ist, der bereit ist, Ihnen zu helfen, wenn Sie die Situation allein nicht mehr bewältigen können.«
Dankbar drückte Lena seine Hand, dann verließ sie das Zimmer und ging an ihre Arbeit, als wäre nichts geschehen.
*
Als Dr. Daniel am Abend noch einmal nach Hannelore Jung sehen wollte, saß Lena Kaufmann an ihrem Bett und streichelte behutsam über das dunkle Haar ihrer Stieftochter. Dr. Daniel zog sich so leise, wie er gekommen war, wieder zurück. Vielleicht brauchten Mutter und Tochter diese Gelegenheit, um miteinander zu sprechen, zumal Hannelore jetzt nicht mehr allzusehr unter den Nachwirkungen der Narkose zu leiden haben würde.
Dr. Daniel blieb jedoch in der Nähe, um notfalls eingreifen zu können. Schließlich wußte er, wie tief der Riß zwischen Hannelore und Lena sein mußte. Falls es also zu irgendwelchen Überreaktionen kam, wollte er rasch dazwischengehen können.
Er mußte dann auch nicht lange warten, bis Lena in Tränen aufgelöst aus der Intensivstation kam. Spontan ging Dr. Daniel ihr ein paar Schritte entgegen.
»Sie haßt mich«, stieß Lena hervor und man merkte ihr an, wie weh ihr das tat. Dann drängte sie sich an Dr. Daniel vorbei und flüchtete in Richtung Eingangshalle.
Der Arzt sah ihr besorgt nach, doch er wußte, daß es keinen Sinn hätte, ihr zu folgen. Lena mußte selbst entscheiden, ob und wann sie sich ihm anvertraute.
Mit einem Seufzer wandte sich Dr. Daniel der Intensivstation zu und trat ein. Hannelore war wach und sah ihm entgegen, wobei es dem Arzt schwerfiel, ihren Blick zu deuten.
»Wie fühlen Sie sich, Frau Jung?« fragte er besorgt.
»Wenn sie nicht an meinem Bett gesessen hätte, hätte ich mich besser gefühlt«, antwortete Hannelore prompt.
Dr. Daniel schwieg dazu. Nach dem schweren Eingriff, den Hannelore hinter sich hatte, wollte er sie nicht zur Unzeit mit einer Diskussion aufregen, die vermutlich ohnehin zu nichts führen würde. Später, wenn sie sich von der Operation erholt hatte, würde sich bestimmt eine Gelegenheit ergeben, um mit ihr zu sprechen.
»Haben Sie Schmerzen?« hakte Dr. Daniel nach.
Hannelore nickte. »Mein Bauch tut schrecklich weh.«
Spontan setzte sich Dr. Daniel zu ihr und griff nach ihrer Hand. »Die Bauchschmerzen kommen von dem gestrigen Eingriff und von den Kontraktionen der Gebärmutter, die sich jetzt wieder zurückbilden muß. In ein paar Tagen wird das vorbei sein.« Er schwieg einen Moment. »Ich weiß nicht recht, was ich Ihnen sagen soll, Frau Jung. Trostworte sind hier fehl am Platz. Für den Verlust, den Sie erlitten haben, gibt es keinen Trost, aber die Zeit wird es dennoch besser machen.«
Skeptisch sah Hannelore ihn an. »Sie denken doch etwas völlig anderes über mich. Immerhin war ich trotz meiner Schwangerschaft nicht beim Arzt und…«
»Ich finde ein solches Verhalten verantwortungslos«, stellte Dr. Daniel fest. »Aber deshalb kann ich noch lange nicht ausschließen, daß Sie sich auf Ihr Baby gefreut haben.« Er dachte einen Moment nach. »Vor einigen Jahren war bei mir einmal eine Patientin. Sie war damals ungefähr im achten Monat schwanger und ist auch nie zum Arzt gegangen,