Dr. Daniel Staffel 9 – Arztroman. Marie Francoise

Dr. Daniel Staffel 9 – Arztroman - Marie Francoise


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sich dem Anästhesisten zu. »Jeff, du bringst die Patientin bitte auf Intensiv. Ich kümmere mich nachher persönlich um sie.«

      »In Ordnung«, stimmte Dr. Parker zu, zögerte noch einen Moment und fuhr dann fort: »Robert, du solltest nicht gleich in die Praxis zurückgehen, sondern dir erst mal eine kleine Pause gönnen.«

      »Diese Pause werde ich bei einem Gespräch mit dir haben, Jeff«, entgegnete Dr. Daniel mit unüberhörbarer Schärfe.

      Dr. Parker erwiderte seinen Blick. Er wußte genau, was für ein unerfreuliches Gespräch ihn erwartete.

      »Robert, ich mache mir ernsthafte Sorgen um dich«, stellte er klar.

      »Völlig unnötig«, erwiderte Dr. Daniel. »Ich habe so etwas schon öfter durchgestanden. Es ist immer wieder schwer, aber es gehört eben leider auch zu meinem Beruf.« Er wollte den Operationssaal verlassen, doch an der Tür drehte er sich noch einmal um. »Ich erwarte dich in meinem Büro.«

      Dr. Parker nickte ergeben, sah ihm noch nach und kümmerte sich dann um die Patientin.

      Währenddessen war Dr. Daniel in den Waschraum getreten und ließ kaltes Wasser über seine Hände laufen. Er nahm sich dafür mehr Zeit, als nötig gewesen wäre, aber das war für ihn die einzige Möglichkeit, wenigstens ein bißchen Abstand zu gewinnen, bevor er mit dem Mann der Patientin sprechen mußte. Dr. Scheibler hatte ihm gesagt, daß Herr Jung draußen wartete. Inzwischen wußte er zwar sicher schon, daß die Blinddarmoperation ohne Komplikationen verlaufen war, doch für alles andere war Dr. Daniel zuständig.

      Bedächtig trocknete er seine Hände ab, schlüpfte aus dem grünen OPKittel und trat dann auf den Flur. Hier marschierte ein junger Mann unruhig hin und her. Als Dr. Daniel auf ihn zukam, blieb er so abrupt stehen, als wäre er gegen eine Mauer gerannt.

      »Herr Jung?« vergewisserte sich Dr. Daniel.

      Harald nickte. »Ist Hanni…« Er räusperte sich, weil seine Stimme plötzlich ein wenig heiser klang. »Geht es meiner Frau gut?«

      »Den Umständen entsprechend«, entgegnete Dr. Daniel, dann begleitete er den jungen Mann zu einer der Bänke, die hier im Flur standen. »Ich konnte Sie vor dem Eingriff leider nicht mehr informieren, weil es ziemlich eilte. Wir mußten ohnehin fast zuviel Zeit in der Notaufnahme investieren, um Ihre Frau von der Richtigkeit unserer Diagnose zu überzeugen.«

      »Was heißt das?« fragte Harald argwöhnisch. »War es denn nicht nur der Blinddarm?«

      »Der entzündete Blinddarm löste die Beschwerden aus, allerdings verlief dieser Eingriff ohne wesentliche Komplikationen.« Er schwieg kurz, weil es ihm doch schwerfiel, dem jungen Mann die grausame Wahrheit zu sagen. »Ihre Frau war schwanger…«

      »War?« fiel Harald ihm energisch ins Wort. »Wollen Sie damit etwa behaupten, Hanni hätte durch diesen Eingriff eine Fehlgeburt erlitten?«

      Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Eine Blinddarmoperation birgt heute auch während einer Schwangerschaft kein allzu großes Risiko mehr. Nein, Herr Jung, es verhielt sich anders. Ursprünglich wurde die Ultraschallaufnahme nur gemacht, um andere Ursachen für die Beschwerden ihrer Frau auszuschließen…«

      »Ich habe auch vier Semester Medizin studiert«, unterbrach Harald ihn ungeduldig. »Sie müssen mir also nicht alles haarklein erklären.«

      »Das ist gut«, meinte Dr. Daniel. »Ihre Frau hatte bei ihrer Einlieferung hier einen sogenannten akuten Bauch. Die Ursache dafür ist oftmals eine Blinddarmentzündung, aber es kommen eben auch Differentialdiagnosen in Frage. Eine davon ist eine gestielte Eileiterzyste. Aus diesem Grund wurde eine Ultraschallaufnahme gemacht, die allerdings etwas weit Schlimmeres zutage brachte. Das Kind, das Ihre Frau trug, war im Mutterleib gestorben – aller Wahrscheinlichkeit nach sogar schon vor einigen Tagen.«

      Aus weit aufgerissenen Augen starrte Harald den Arzt an.

      »Wie bitte?« fragte er, dann packte ihn die Wut. »Das ist nur ihre Schuld! Hanni wäre niemals so leichtsinnig gewesen, auf die nötigen Arztbesuche zu verzichten, wenn sie nicht ständig…«

      »Von wem sprechen Sie da eigentlich?« fiel Dr. Daniel ihm behutsam ins Wort.

      »Von meiner Schwiegermutter!« Harald spuckte das letzte Wort förmlich aus, dann bedachte er Dr. Daniel mit einem beinahe feindseligen Blick. »Meine Schwiegermutter betet Sie wie einen Gott an, und Hanni wollte sich nun mal nicht vorschreiben lassen, zu wem sie zu gehen hat.«

      »Das ist doch überhaupt nicht wahr!« mischte sich in diesem Moment die Oberschwester ein, die offensichtlich einen Teil dieses Gesprächs mitbekommen hatte.

      Verständnislos blickte Dr. Daniel von Harald zu Lena Kaufmann, wunderte sich noch über ihr bleiches, von Kummer gezeichnetes Gesicht und sah dann plötzlich klar.

      »Sie, Frau Kaufmann? Sie sind die Stiefmutter meiner Patientin?«

      Oberschwester Lena nickte, dann brach sie in Tränen aus.

      »Du mußt hier kein Theater spielen!« herrschte Harald sie an. »Du willst doch nicht ernsthaft behaupten, es täte dir leid, daß Hanni…«

      »Herr Jung, bitte«, fiel Dr. Daniel ihm jetzt energisch ins Wort. »Es ist sicher nicht nötig, in einer solchen Situation verletzend zu werden. Im übrigen bin ich sicher, daß Frau Kaufmann nicht Theater spielt. So gut kenne ich sie denn doch.«

      Abschätzig blickte Harald ihn an. »Es war ja klar, daß Sie zu ihr halten würden.« Er machte auf dem Absatz kehrt und ging den Flur entlang, doch nach einigen Schritten drehte er sich wieder um. »Ich werde Hanni aus dieser Klinik holen, sobald es möglich ist. Und ich werde veranlassen, daß das tote Kind untersucht wird, und wenn es vor der Operation nicht schon tot gewesen ist, dann sind Sie die längste Zeit Arzt gewesen, das versichere ich Ihnen.«

      *

      Dr. Daniel brauchte ein paar Minuten, um sich von Harald Jungs dramatischen Abgang zu erholen, dann nahm er die noch immer heftig schluchzende Lena fürsorglich beim Arm und brachte sie in ein ruhiges Einzelzimmer.

      »So, Frau Kaufmann, jetzt legen Sie sich erst mal ins Bett«, ordnete Dr. Daniel an. »Ich werde Ihnen ein leichtes Beruhigungsmittel geben und wenn Sie sich ein bißchen ausgeruht haben, sprechen wir in Ruhe über alles.«

      Doch Lena schüttelte den Kopf. »Ich kann mich jetzt nicht einfach ins Bett legen und schlafen. Herr Doktor, ich bin schließlich im Dienst und…«

      »Sie sind mit ihren Nerven am Ende, und ich vermute, die heutigen Ereignisse auf der Station waren nur noch der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen gebracht hat«, meinte Dr. Daniel. »Die Reibereien mit Ihrer Stieftochter und Ihrem Schwiegersohn gehen ja anscheinend schon länger.«

      Die Oberschwester nickte. »Seit Hanni die Wahrheit weiß…« Mit einem Taschentuch versuchte sie der vielen Tränen Herr zu werden, doch das war ein sinnloses Unterfangen.

      »Sie werden sich jetzt ein bißchen ausruhen«, beschloß Dr. Daniel kurzerhand, weil er spürte, daß mit Lena in diesem Zustand nicht zu sprechen war. Er verließ für einen Moment das Zimmer, bereitete eine Injektion vor und kehrte dann zu Lena zurück. Sie saß noch so auf dem Bett, wie er sie verlassen hatte – zusammengesunken, ein Häufchen Elend.

      Mit raschen, geschickten Bewegungen legte Dr. Daniel einen Gurt um ihren Oberarm, wählte gewissenhaft eine Vene aus und stach vorsichtig ein. Dann injizierte er ganz langsam die wasserhelle Flüssigkeit. Das Medikament wirkte fast augenblicklich. Widerstandlos ließ Lena es geschehen, daß Dr. Daniel ihr half sich hinzulegen, dann fielen ihr die Augen zu.

      Besorgt und zutiefst erschüttert blieb Dr. Daniel noch einen Moment neben ihr stehen. Dabei wurde ihm bewußt, wie wenig er eigentlich über die Frau wußte, die so viele Jahre lang seine Sprechstundenhilfe gewesen war.

      Er verließ das Zimmer, wies die Stationsschwester an, Lena nicht zu stören, und ging zur Intensivstation, um nach Hannelore Jung zu sehen, doch die diensthabende Schwester sagte ihm, die Patientin wäre in Dr. Parkers Anwesenheit kurz erwacht, aber unter den Nachwirkungen der Narkose gleich wieder


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