Dr. Daniel Staffel 9 – Arztroman. Marie Francoise
Tag bevor Kai Horstmann zum ersten Mal auftauchte.« Er dachte einen Moment über die Geschichte nach, die Ivo ihm gerade erzählt hatte. »Wissen Sie dann auch, wer die Leiche in dem verunglückten Wagen war?«
»Nicht mit letzter Sicherheit, aber ich vermute, es war der Besitzer des Autos. Der ist nämlich seit jenem Tag spurlos verschwunden. Das wird jetzt die Obduktion klären.«
»Glauben Sie, daß die noch gemacht werden wird?«
»Mit Sicherheit«, bekräftigte Ivo. »Aufgrund der Beweise, die ich vorlegen kann, muß sie sogar gemacht werden.«
»Keine schöne Aufgabe für die Gerichtsmedizin«, meinte Dr. Daniel. »Aber Ihnen gebührt auf jeden Fall ein großes Kompliment, Ivo. Wie haben Sie das alles nur so schnell herausbekommen?«
»Ich sagte doch, ich hätte Beziehungen«, entgegnete Ivo, und Dr. Daniel hörte sogar am Telefon, daß er lächelte. »Ein bißchen Glück war natürlich auch dabei.«
»Dann werden wir die Sache mal ins Rollen bringen«, beschloß Dr. Daniel. »Treffen wir uns bei der Steinhausener Polizei.«
»Sehr gut, also dann bis gleich.« Dr. Daniel legte auf und drehte sich um. »Gerrit, sorgen Sie bitte dafür, daß Nikola Forster rund um die Uhr überwacht wird. Ihr Verlobter ist hochgradig kriminell.«
Entsetzt starrte Dr. Scheibler ihn an. »Das ist doch nicht Ihr Ernst, Robert!«
»Doch, das ist sogar mein voller Ernst.« Dr. Daniel blickte auf die Uhr. »Ich werde jetzt zur Steinhausener Polizei fahren, und dann wird Kai Horstmann hoffentlich bald dort sein, wo er hingehört – im Gefängnis.«
Dr. Daniel ahnte nicht, daß sein Gespräch mit Dr. Scheibler belauscht worden war, und während sich der Arzt auf den Weg zur Polizei machte, ersann der Mann mit der schwarzen Strumpfmaske bereits einen teuflischen Plan…
*
Nikola hatte sich nach dem Gespräch mit Kai nur ein wenig ausruhen wollen, doch dann war sie eingeschlafen. Auf diese Weise entging ihr, wie die Fensterscheibe zertrümmert wurde und jemand in ihr Zimmer einstieg. Sie erwachte erst von dem durchdringenden Geruch, den sie wohl nie mehr im Leben vergessen würde. Im schwachen Schein des durch die Fenster hereinfallenden Mondlichts sah sie eine Gestalt, die sich auf sie zubewegte. Nikola fuhr hoch und wollte das Licht einschalten, doch die Gestalt war schneller. Nikola fühlte die harten Hände an ihren Handgelenken und wehrte sich verzweifelt, aber der Mann war stärker als
sie. Sein Gesicht, das wieder von dieser schrecklichen Strumpfmaske verdeckt war, näherte sich dem ihren. Nikola öffnete den Mund zum Schrei und wußte doch gleichzeitig, daß man ihre Schreie auch heute nicht hören würde.
Sie spürte sein Gewicht auf sich und sah im Mondlicht, wie sich sein Mund bewegte, doch im Moment war sie nicht fähig, die Worte von seinen Lippen abzulesen. Hätte sie es geschafft, wäre sie vermutlich nur noch schockierter gewesen.
»Zuerst will ich noch einmal mein Vergnügen mit dir haben, danach werde ich dich töten. Wenn ich dein Geld nicht haben kann, dann soll es auch kein anderer bekommen. Der Forsterreichtum wird mit dir und deinem Vater sterben.«
Die fast animalischen Ausdünstungen des Mannes raubten Nikola den Atem. Sie bemerkte, wie ihr schwarz vor Augen wurde, und war für die Ohnmacht beinahe dankbar. Auf diese Weise würde sie nicht mehr mitbekommen müssen, wie sie ein zweites Mal geschändet wurde.
Doch ihr Peiniger wollte sie nicht bewußtlos. Er wollte, daß sie wach war, wenn er sich an ihr verging. Mit harter Hand schlug er Nikola ins Gesicht – so lange, bis sie die Augen wieder aufschlug. Im selben Moment flammte Licht auf…
*
Es war bereits dunkel, als Ivo das Ortsschild von Steinhausen passierte, und plötzlich wurde die Sehnsucht in ihm immer stärker. Er wußte, daß er unverzüglich zur Polizei fahren sollte. Kai Horstmann mußte hinter Gitter – und das so schnell wie möglich. Doch als Ivo den Wegweiser zur Waldsee-Klinik sah, konnte er einfach nicht anders. Er bog von der Hauptstraße ab und fuhr die schmale Zufahrtsstraße entlang. Dabei konnte er sich die unerträgliche Spannung, der er unterlag, kaum erklären.
Er ließ seinen Wagen vor dem doppelflügeligen Eingang stehen, weil er nicht die Nerven hatte, jetzt noch bis zum Parkplatz zu fahren, dann rannte er wie gehetzt in die Klinik hinein.
»Ivo.« Dr. Scheibler war sichtlich überrascht. »Ich dachte, Sie sollten sich mit Dr. Daniel bei der Polizei treffen.«
»Ich muß zu Niki«, stieß Ivo hastig hervor, dann lief er in die Gynäkologie hinüber und die Treppe hinauf, wobei er immer zwei Stufen auf einmal nahm.
Vor Nikolas Zimmertür stand Sándor. Offenbar paßte er auf, daß kein Unbefugter ihr Zimmer betreten konnte, doch seltsamerweise schaffte Ivo es nicht, darüber erleichtert zu sein. Sein Instinkt, ausgelöst durch die tiefe Liebe, verriet ihm, daß Nikola in größter Gefahr schwebte.
Er stürzte in den Raum und schaltete das Licht ein. Im gleichen Moment sah er das eingeschlagene Fenster und einen schwarzgekleideten Mann mit Strumpfmaske, der halb auf Nikola lag und halb kniete. Und Ivo sah die vor Angst weit aufgerissenen Augen der Frau, die er liebte.
Mit einem Wutschrei wollte er sich auf den maskierten Mann stürzen, doch in dessen Hand blitzte plötzlich ein Messer auf.
»Bleib stehen!« befahl er Ivo und setzte das Messer an Nikolas Hals. »Sonst schneide ich ihr die Kehle durch.«
Ivo gehorchte zwar, doch sein ganzer Körper war angespannt wie eine Stahlfeder – jederzeit bereit zum Sprung.
»Laß sie in Ruhe, du Mistkerl!« zischte er. »Wenn du ihr auch nur ein Haar krümmst, dann werde ich dich umbringen.«
Der Maskierte lachte. »Das möchte ich sehen.« Schlagartig wurde er wieder ernst. »Aber die Tatsache, daß du hier bist, gibt dem Ganzen einen besonderen Reiz. Los, schließ die Tür ab – und zwar von innen.«
Ivo zögerte. Als der Mann mit dem Messer Nikolas Haut anritzte, gehorchte er. Der Maskierte wartete, bis Ivo abgeschlossen hatte, dann bedeutete er ihm, auf die andere Seite des Bettes zu gehen, damit er ihn mühelos im Auge behalten konnte.
»Denk daran – eine falsche Bewegung, und sie ist tot«, drohte er, bevor er ein süffisantes Lächeln auf seine Lippen zauberte. »Nun kannst du zusehen, wie ich mich mit ihr amüsiere. Es wird deine letzte Erinnerung sein, bevor du stirbst.« Betont langsam stieg er von dem Bett, zog Nikola mit sich und legte seinen Unterarm vor ihre Kehle. »Hör zu, mein Freund, wenn du auch nur blinzelst, dann drücke ich ihr die Luft ab und breche ihr gleichzeitig das Genick.« Mit Nikola wie einem lebendigen Schild vor sich näherte er sich Ivo. »Streck deine Arme aus, Handflächen nach oben.« Ivo sah nur die Angst in Nikolas Augen, daher tat er, was der Maskierte von ihm verlangte. Mit zwei raschen Schnitten öffnete der Mann ihm die Pulsadern.
»So, mein Freund, während du jetzt langsam verblutest, kannst du zusehen, was ich mit deiner Liebsten noch alles anstelle, bevor ich sie töten werde.«
Ivo fühlte den brennenden Schmerz an seinen Handgelenken, doch das war nicht halb so schlimm wie die Qual, die er auf Nikolas Gesicht sah. Entsetzt starrte sie auf das Blut, das von Ivos Handgelenken auf den Boden tropfte.
Der Mann zwang sie wieder auf das Bett, sein Messer lag an Nikolas Kehle, während er sich die Hose öffnete.
»Dafür wirst du büßen«, flüsterte Ivo voller Haß. »Ich schwöre dir, daß du dafür büßen wirst.«
Aus den Augenwinkeln nahm er eine Bewegung am Fenster wahr, hütete sich aber davor hinzusehen und damit den Verbrecher zu warnen.
»Ich bin schon einmal davongekommen, und es wird mir auch diesmal wieder gelingen«, entgegnete der Mann, dann riß er sich die Maske vom Kopf.
Entsetzt starrte Nikola in Kais Gesicht.
»Du sollst sehen, mit wem du die letzten Minuten deines Lebens verbringst«, erklärte er gehässig, dann beugte er sich über die junge Frau und preßte seine Lippen auf ihren Mund.
Mit