Mami Bestseller Staffel 4 – Familienroman. Jutta von Kampen
»Nora Anderson kam zu dir ins Hotel?« Ihr Herz klopfte wild. Haß auf diese Nora saß zu tief in ihr. Noch nie hatte sie eine Frau erlebt, die sich so schamlos an Männer heranmachte. »Und?« keuchte sie erregt. »Hast du etwa auch?«
»Nein, Angie. Nora sah in mir keinen Mann, an dem sie ihre Verführungskünste ausprobieren konnte. Sie wußte, ich war ihr Feind.«
»Feind? Wieso?«
»Das mußt du doch verstehen. Dein Bruder ist ein vermögender Mann, und er hatte sich in sie verliebt. Sie wollte mit ihm in dieses Haus ziehen. Da ich aber wußte, daß Gerhard Stellmann verheiratet war und Kinder hatte, das hatte er mir beim ersten Zusammentreffen erzählt, machte ich – als ich ihn mit Nora im Arm wiedertraf – keine Mördergrube aus meinem Herzen. Deinen Bruder muß das beeindruckt haben. Wenigstens schien er zur Besinnung gekommen zu sein und wollte sich wieder von Nora trennen. Sie war darüber ganz verzweifelt und gab mir die Schuld am Sinneswandel deines Bruders. Ich war doch der einzige Mensch in Lüttdorf, mit dem dein Bruder gesprochen hatte. Heute ahne ich, daß er mich gern als Freund gewonnen hätte. Nora hat das zu verhindern gewußt. Sie nannte mich einen Spinner. Und ihr Urteil traf auf ein weiches Herz.«
»Auf welches weiche Herz?« Angie verstand jetzt, warum Gerhard Thomas einen Spinner genannt hatte. Nora hatte ihm das eingeredet.
»Auf das weiche, verletzte Herz deines Bruders, Angie. Seine Frau war mit dem Kauf des Hauses nicht einverstanden. Sie wollte in der Großstadt bleiben. So wenigstens erzählte Nora es mir. Vielleicht wollte sie deine Schwägerin auch nur in ein schlechtes Licht setzen. Das kann ich nicht beurteilen. Auf jeden Fall scheute sie keine Intrige und keine Mühe, um Gerhard für sich zu gewinnen.«
»Wenn du es gewußt hast, warum warst du dann nicht ganz offen zu mir, Thomas?« In Angies Augen standen Tränen: Sie war in diesen Mann verliebt, und irgendwie imponierte ihr die Art doch, wie er Nora beschrieb und von Gerhard sprach. Aber noch war nicht alles geklärt. Und sie wollte jetzt einfach alles wissen.
Thomas sah zur Seite. Er hob seine Hand und zeichnete mit dem Finger die Formen des Herzens auf der Staffelei nach.
»Weil ich weiß, wie wenig Bedeutung solchen Geschichten zuzumessen ist, Angie.«
»Einer Geschichte mit Nora? Du meinst, solchen ehelichen Ausrutscher oder Seitensprüngen, die das Glück einer ganzen Familie bedrohen?«
»Ja, Angie. Nora hat die Ehe deines Bruders nie wirklich bedroht. Gerhard hätte so oder so zu Natalie zurückgefunden. Erst, wenn du von der Geschichte durch mich erfahren hättest, wäre die ganze alberne Angelegenheit zu einer Affäre aufgebauscht worden. Du warst Nora gegenüber ahnungslos. Ich wollte dich im Glauben lassen, sie hätte irgend etwas auf dem Kerbholz oder wäre einfach verrückt.« Er lachte, aber Angie war überhaupt nicht zum Lachen zumute. Dabei mußte sie einsehen, daß er recht behalten hatte. Gerhard war unterwegs, um Natalie zurückzuholen »Dein Schweigen und deine Lügen haben wenig genutzt«, gab sie zu. »Es ist alles herausgekommen, das weißt du.«
»Ja, aber nicht durch mich, Angie. Und das war mir sehr wichtig.«
»Warum? Ich dachte, du liebst mich?«
»Gerade deswegen.«
Sie sah auf das Herz. »Ich verstehe dich nicht, Thomas.«
Bezaubernde Stunden hatte sie, nur wenige hundert Meter von hier, in dem Restaurant an einem Abend mit ihm verbracht. Hals über Kopf hatte sie sich in diesen Mann verliebt und war sogar naiv genug gewesen, um sich in schwachen Minuten ein Leben an seiner Seite auszumalen. Ja, sie malte. Und es waren wohl immer Phantasielandschaften oder Illusionen, die dabei herauskamen. Wenigstens begriff sie, daß es ihr ganz unmöglich war, zu einem Wirrkopf wie diesem Mann Vertrauen zu haben. Und wenn sie ihm noch Fragen stellte, dann nur, um den Abschied nicht zu dramatisch werden zu lassen.
»Meine Ehe ist auf dieselbe Art in die Brüche gegangen.«
Sie schaute zu ihm auf. Über ihr rauschte es in den Baumkronen. Die Vögel sangen. Es wurde etwas heller. Das Licht schien stärker durch die Stämme der Bäume. Angie bemerkte es mit ihrem geschulten Blick, und darum glaubte sie auch, Thomas’ Geständnis wäre jetzt nichts weiter als ein raffiniertes Mittel, sie vom Arbeiten abzuhalten.
»Du hast mir erzählt, daß deine Frau einen anderen Mann gefunden und sich von dir hat scheiden lassen. Warum?« erkundigte sie sich mit gerade noch höflich zu nennendem Interesse. »Ist deine Ehe denn an einem Seitensprung zugrundegegangen?«
»Ich beging diesen Seitensprung, Angie.«
»Was?« Sie schluckte. Das hatte er ihr damals nicht erzählt. Plötzlich war ihr das veränderte Licht gleichgültig, sie wußte schon, daß sie es an diesem Tag zu keinem einzigen Pinselstrich mehr brachte. Also doch wieder Phantasielandschaften, die in ihrem Münchener Atelier entstanden. Hauptsache, sie verdiente damit Geld. Denn an eine Zukunft mit Thomas war nicht mehr zu denken. Ein Mann, der einen Seitensprung beging, war für sie erledigt.
»Ja, es ist wahr.« Er nickte, ohne seinen Blick von ihrem Gesicht zu wenden. »Ich habe schon genug für diese Dummheit bezahlt, Angie. Darum wollte ich nicht darüber sprechen. Vielleicht hätte ich dir später einmal alles genau erklärt.«
»Wann, später?« wollte sie wissen. Ein spöttisches Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen ab. Thomas bemerkte es. Es schmerzte ihn. War sie schon so weit von ihm entfernt? Sie stand doch nur wenige Schritte vor ihm!
»Später, wenn ich mir deiner Liebe sicher gewesen wäre.«
»Und was hättest du mir dann erklärt?«
»Daß auch ich einmal einer sehr jungen Frau begegnete. Drüben in den Staaten, als ich noch glücklich verheiratet war. Sie schwärmte für den einzigen deutschen Mann in der Stadt, und der war ich nun einmal. Sie kam in meine Praxis und klagte mir ihr Leid über ihren Mann. Sie war hübsch, weiß Gott, sie war wirklich hübsch. Ich beging den Fehler, sie in den Arm zu nehmen und zu küssen. In diesem Augenblick kam meine Praxishilfe herein. Sie sorgte schnell dafür, daß sich diese Ungeheuerlichkeit wie ein Lauffeuer in der ganzen Stadt verbreitete.«
»Und deine Frau?«
»Natürlich erfuhr sie davon. Ausgerechnet über ihre Eltern. Ich konnte sie nicht von meinem Schuldbewußtsein überzeugen. Schließlich schlug ich ihr vor, die Stadt und den Herd der Gerüchte für eine gewisse Zeit zu verlassen. Sie verreiste nach Kalifornien, ich blieb dort, stürzte mich in die Arbeit und versuchte alles, um meinen angeschlagenen Ruf wiederherzustellen. Es gelang mir.
Nach einem halben Jahr rief meine Frau mich an und bat mich, zu ihr zu kommen. Ich war überglücklich. Aber als ich einige Tage später vor ihr stand, stellte sie mir ihren zukünftigen Ehemann vor. Sie hatte ihn in Kalifornien kennengelernt. Meine Reue, meine Verzweiflung, meine Überredungskünste – nichts konnte sie von ihren Plänen abbringen. Da verkaufte ich alles und kehrte nach Europa zurück. Ich habe nicht gearbeitet, Angie. Ich konnte nicht. Erst als ich den Ort entdeckte und die Remise an der Birkenallee kaufte, fand ich wieder zu mir. Seitdem ich aber dich kenne, bin ich wirklich glücklich. Glücklicher als je zuvor. Verstehst du nun, warum ich auf deine Fragen nach Nora keine Antwort gab?«
In Angie war etwas zerrissen. Sie sah Thomas Hassberger in seiner Praxis mit einer jungen Frau im Arm. Und unwillkürlich verglich sie ihn mit Peter, ihrem verstorbenen Mann. Peter hatte nur immer Blicke, Gesten, Gefühle für sie gehabt. Er war nicht besonders tüchtig gewesen, aber seine Liebe zu ihr hatte ihr gereicht. Sie hatte immer Vertrauen zu ihm gehabt. In diesem Sinn hatte sie auch ihren Sohn erzogen. Wie sollte Hubs in Thomas jemals einen Freund sehen? Wie sollte sie sich ihm jemals vertrauensvoll hingeben können?
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Thomas. Ich verstehe dich nicht.«
Thomas griff nach ihren Schultern. Sein Blick flehte um Geduld, Verständnis und Großzügigkeit. Aber sie blickte kalt und azurblau an ihm vorbei.
»Wann fährst du, Angie?«
»Gleich nach dem Wochenende. Hubs wird dann längst wieder reisefähig sein. Sowie mein Bruder zurückkehrt, sitze ich im