Dr. Norden (ab 600) Jubiläumsbox 4 – Arztroman. Patricia Vandenberg
auf sie ein. »Das ist mein Vater Dr. Daniel Norden. Er ist Arzt wie ich und unterliegt der Schweigepflicht.«
»Sie müssen sich keine Sorgen mehr machen, Marika.« Daniel war an ihre andere Seite getreten. Während er mit ihr sprach, stellte er seine Arzttasche auf den Boden und ließ die Schlösser aufschnappen. »Ich habe vorhin mit einem befreundeten Anwalt gesprochen. Er kümmert sich darum, dass Sie neue Papiere und auch ein Visum bekommen. Das heißt, dass Sie hier in Deutschland bleiben können.«
Es dauerte einen Moment, bis die Botschaft in Marikas Bewusstsein angekommen war. Sie strich sich eine Strähne aus der verschwitzten Stirn und gab endlich ihren Widerstand auf. Erschöpft sank sie zurück in die Kissen.
»Ist das wirklich wahr? Oder sagen Sie das nur, um mich zu beruhigen?«, fragte sie leise.
»Sie können mir vertrauen.« Dr. Norden maß ihren Puls und prüfte die Reflexe ihrer Pupillen. Dabei bemerkte er, dass sich der Glaskörper ihrer Augen bereits gelblich verfärbte. Er schickte Danny einen vielsagenden Blick. Es war Eile geboten. Marika brauchte dringend Medikamente.
»Außerdem haben wir veranlasst, dass deine Tante Liana gesucht wird«, erklärte Danny und brachte eine weitere warme Decke, um Marika für den Transport in die Klinik vorzubereiten. »Alles wird gut. Du wirst sehen. Und jetzt fahren wir in die Klinik. Einverstanden?«
Aus müden Augen blickte Marika von einem zum anderen und haderte sichtlich mit sich. Erschöpfung und Schmerzen gaben schließlich den Ausschlag.
»Also gut.«
Daniel nickte seinem Sohn zufrieden zu.
»Dann mal los. Wir sollten keine Zeit mehr verlieren.«
*
Nachdem sich Oliver eine Weile von den Strapazen erholt hatte, stand er auf und begann, unruhig in der kleinen Studentenwohnung auf und ab zu gehen. Tatjana, die sich in der Zwischenzeit an ihren Schreibtisch gesetzt hatte, um an ihrer Hausarbeit weiterzuschreiben, wurde fast wahnsinnig.
»Kannst du bitte mit dieser Wanderung aufhören?«, fragte sie sichtlich genervt.
»Ach, Schnecke, ich fühl mich so schlecht.« Mit hängenden Schultern blieb Oliver vor ihr stehen.
»Ich mach dir keine Vorwürfe!«, versuchte sie halbherzig, ihn zu beruhigen.
Doch er schien ihr gar nicht zuzuhören.
»Glaubst du, dass Natascha mir noch eine zweite Chance gibt?«
Unwillig runzelte Tatjana die Stirn.
»Hör mal. Du bist vor ein paar Stunden von deiner eigenen Hochzeit getürmt und denkst jetzt über eine zweite Chance nach? Das ist doch alles nicht mehr normal.«
Zu ihrem Erstaunen lächelte Oliver.
»Es ist Unsinn, sagt die Vernunft. Es ist, was es ist, sagt die Liebe«, zitierte er den Anfang des berühmten Gedichts von Erich Fried.
Tatjana zögerte. Dann seufzte sie und legte endgültig den Stift weg.
»Na, ich weiß nicht, ob eure Gäste ein zweites Mal zu eurer Hochzeit kommen würden.«
»Vielen Dank, Schnecke. Du bist eine echte Freundin«, murrte Oliver. »Deine besondere Stärke liegt darin, anderen Menschen Mut zu machen.«
Diesen Vorwurf wollte Tatjana nicht auf sich sitzen lassen.
»Warum bist du dann hier? Dann geh und rede mit Natascha. Sag ihr, dass du sie über alles liebst und dass du Angst hattest, ihr nicht gerecht zu werden.«
»Aber das stimmt doch gar nicht.«
Genervt verdrehte Tatjana die Augen.
»Na und? Aber es hilft! Frauen hören so was gern. Außerdem musst du ihr ja irgendwas sagen. Das, was du mir erzählt hast, wird sie als Grund für deine Flucht kaum gelten lassen«, gab sie zu bedenken und konnte sich nur über die Verfassung wundern, in der sich ihr sonst so selbstsicherer, souveräner Freund befand. »Frauen mögen keine Feiglinge.« Nie hätte sie für möglich gehalten, dass er einmal vor seiner eigenen Hochzeit davonlaufen würde.
»Glaubst du wirklich, dass ich es versuchen sollte?«, fragte er in ihre Gedanken hinein. Wie er so vor ihr stand, ein gutaussehender Mann im zerknitterten Hochzeitsanzug und mit verrutschter Fliege, tat er ihr fast leid.
»Natürlich glaube ich das«, wiederholte Tatjana mit Nachdruck.
»Also gut.«
Im ersten Augenblick erwartete sie, dass Oliver sich auf der Stelle von ihr verabschieden und zu Natascha gehen würde. Doch stattdessen kehrte er aufs Sofa zurück, setzte sich und vergrub den Kopf in den Händen.
»Was ist denn jetzt schon wieder los?«, fragte sie fast ärgerlich.
Verwundert hob Oliver den Kopf.
»Nichts. Aber ich hab ja keine Ahnung, wo Natascha im Augenblick steckt. Deshalb werde ich wohl oder übel bis heute Abend warten müssen, bis ich sie zu Hause antreffe.«
Diesem Argument hatte Tatjana nichts entgegen zu setzen. Seufzend wandte sie sich wieder ihrer Arbeit zu und hoffte, wenigstens eine Weile ungestört schreiben zu können. Doch die Gedanken an Danny, der sich nicht wieder bei ihr gemeldet hatte, machten ihr einen gehörigen Strich durch die Rechnung, sodass sie schließlich entnervt aufgab.
*
»Wir brauchen eine Blutuntersuchung und eine Sonographie der Leber«, erklärte Dr. Norden mit fester Stimme, als er die kranke Marika auf seinen eigenen Armen in die Notaufnahme der Behnisch-Klinik trug. Die Klinikchefin Dr. Jenny Behnisch, die in ein Gespräch mit einer Schwester vertieft gewesen war, blickte überrascht auf.
»Daniel, was ist passiert?«
»Verdacht auf Hepatitis C«, erklärte er kurz angebunden und sah sich nach einer Liege für Marika um.
»Dann hat es sie aber übel erwischt«, erwiderte Jenny mit einem geschulten Blick auf die junge Frau. Sie wies einen Pfleger an, ein Bett zu bringen, und nur ein paar Minuten später konnte Daniel seine leichte Last ablegen.
Marika war so erschöpft von den Schmerzen und all den anderen Krankheitssymptomen, dass sie willenlos alles mit sich geschehen ließ.
»Bist du sicher, dass es nur das ist?«, fragte Jenny ihren langjährigen Freund und Kollegen skeptisch, während sein Sohn Danny half, das Bett mit der Kranken in ein Behandlungszimmer mit Ultraschallgerät zu fahren. Er war froh darüber, nicht zur Tatenlosigkeit verdammt zu sein. »Sie ist in einem schlechten Zustand.«
»Wahrscheinlich spielt die Psyche eine nicht unerhebliche Rolle«, beantwortete Danny anstelle seines Vaters diese Frage. »Marikas Vater sitzt in Georgien im Gefängnis, und sie wurde auf der Zugfahrt bestohlen.«
»Gut möglich, dass ihr das bei ihrer ohnehin angeschlagenen Gesundheit den Rest gegeben hat«, stimmte Jenny dieser Vermutung zu.
Sie waren im Behandlungsraum angekommen. Der Pfleger schloss die Tür, und eine Schwester half Marika dabei, den Bauch frei zu machen.
»Vorsicht, jetzt wird es ein bisschen kalt.« Jenny drückte ein durchsichtiges Gel auf Marikas flachen Bauch.
Trotz der Warnung zuckte die junge Frau ein bisschen zusammen und stöhnte leise auf, als Jenny den Schallkopf aufsetzte. Die Klinikchefin höchstpersönlich führte die Untersuchung durch, während Daniel aufmerksam die Bilder auf dem Monitor studierte.
»Was untersuchen Sie denn jetzt?«, fragte Marika mit schwacher Stimme.
»Mithilfe der Ultraschalluntersuchung können wir die Größe und Beschaffenheit der Leber untersuchen. Wir können auch die Leberelastizität untersuchen, die das Ausmaß von Bindegewebe in der Leber wiederspiegelt und verrät, ob das Organ schon geschädigt ist«, erklärte die Klinikchefin bereitwillig und sah prüfend hinüber auf den Bildschirm.
Daniel Norden schüttelte lächelnd den Kopf.
»Die Bilder sehen gut aus.