Dr. Norden (ab 600) Jubiläumsbox 4 – Arztroman. Patricia Vandenberg
Tunnel nicht mehr so lang«, entfuhr es Michael, und Daniel lachte.
»Solange Sie Ihren Humor noch nicht verloren haben, gibt es noch Hoffnung«, versprach er feierlich. Er hatte die körperliche Untersuchung beendet, ohne jedoch einen Hautausschlag festgestellt zu haben, der für den Juckreiz verantwortlich sein konnte. »Wann haben wir denn bei Ihnen das letzte Blutbild gemacht?«, dachte Daniel laut nach, als er wieder am Schreibtisch vor dem Bildschirm saß. Er tippte den Namen seines Patienten ein und studierte die Untersuchungen der vergangenen Jahre.
»Keine Ahnung.« Ratlos zuckte Michael Ostermann mit den Schultern und grinste verschmitzt. »Sehen Sie! Alzheimer bekomm ich auch schon. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wann Sie mir das letzte Mal Blut abgezapft haben. Dabei hasse ich das wirklich.«
»Dann tut es mir wirklich leid, dass ich Ihnen diese Prozedur nicht ersparen kann«, bedauerte Daniel und lächelte Herrn Ostermann zuversichtlich zu. »Aber ich möchte Sie bitten, hinüber ins Zimmer 3 zu gehen, damit wir gleich Blut abnehmen und ins Labor schicken können.«
»Das ist die Höchststrafe!«, verkündete Michael Ostermann, zwinkerte dabei aber vergnügt mit den Augen, um seinem bemühten Arzt sein Einverständnis zu signalisieren. Er stand auf und reichte Dr. Norden die Hand. »Ich würd ja gern sagen, dass ich mich freue, Sie gesehen zu haben. Aber das wäre dann eine glatte Lüge.«
Daniel lachte, als er ihn zur Tür brachte.
»Sie schaffen das schon!«, versprach er. »Sowohl Janine als auch Wendy haben Zauberhände. Sie werden sich noch wünschen, jeden Tag zur Blutabnehme kommen zu dürfen.«
An der Tür drehte sich Herr Ostermann noch einmal um.
»Sie sind mir schon so einer, Herr Doktor. Arbeiten mit allen Tricks!« Dann verabschiedete er sich fürs Erste und ließ Daniel nachdenklich und eine Spur besorgt zurück. Noch wusste er nicht, was hinter Michael Ostermanns Symptomen steckte, und er konnte nur hoffen, dass sich seine Befürchtungen nicht bewahrheiteten.
*
»Wo bleibt er nur?« Ratlos stand Danny Nordens Freundin Tatjana in der Küche ihrer Ersatzfamilie. Ein Schneidbrett lag vor ihr, und sie schnitt Karottenstifte für eine Rohkostplatte, die Fee zum gemeinsamen Abendessen reichen wollte. An diesem Abend hatte die gute Seele der Familie Norden, die Haushälterin Lenni, frei, sodass sich die Damen des Hauses selbst mit der Zubereitung der Mahlzeit beschäftigten. »Ich bin ja wirklich ein selbstständiger Mensch. Aber in letzter Zeit sehe ich Danny nur noch zwischen Tür und Angel. Oder gar nicht mehr. Das ist mir echt zu wenig.« Energisch holte Tatjana mit dem Messer aus und teilte das Gemüse mit einem heftigen Schlag. »Mal abgesehen davon, dass wir heute bei meinen Freunden eingeladen sind, die morgen heiraten. Die Hochzeit hat Danny sowieso schon abgesagt.«
»Ui, du bist ja richtig wütend, was?«, stellte Felicitas mit belustigtem Blick auf Tatjanas Schneidbrett fest. »Hab ich ein Glück, nicht als Karotte geboren worden zu sein.«
»Keine Angst. Zu dir wär ich netter«, bemerkte Tatjana unwillig und ohne ein Lächeln.
»Wer heiratet denn?«, versuchte Fee, sie von ihrem Ärger abzulenken.
»Ein Freund, der im Labor der Behnisch-Klinik arbeitet. Ist das nicht ein Zufall?«, ging Tatjana bereitwillig auf Fees Manöver ein. »Und wie könnte es anders sein: Er ehelicht eine Ärztin. Wenn ich mich nicht irre, ist Janine aus der Praxis auch eingeladen. Sie hat ja in der Klinik als Krankenschwester gearbeitet und kennt Oliver und Natascha auch.«
»Natascha?«, hakte Felicitas interessiert nach. Sie kannte eine Natascha aus der Pädiatrie, wo sie ihr Praktikum im Rahmen ihrer Fortbildung zur Fachärztin machte. »Meinst du etwa Natascha Nitz?«
»Du kennst sie?«
»Flüchtig. Sie ist eine Kollegin. Aber ich hätte nie gedacht, dass die mal heiratet. Sie scheint nicht der Typ für die Ehe zu sein. Zumindest macht sie einen sehr progressiven Eindruck.«
»Manchmal muss eben nur der richtige Mann kommen, der den wilden Drachen zu zähmen versteht«, erklärte Tatjana versonnen, und unvermittelt waren sie wieder beim eigentlichen Thema angelangt. »Sag mal, wie war das eigentlich damals bei dir und Daniel? Hat er dich auch so oft allein gelassen oder ist spät nach Hause gekommen?«
Fee, die gerade eine Paprikaschote von den Kernen befreit hatte, hielt in ihrer Arbeit inne und dachte nach. Lange zurückliegende Erinnerungen ließen ihre ungewöhnlich violetten Augen verschwimmen.
»Nicht nur fast jeden Abend, sondern auch oft am Wochenende. Das hat sich erst geändert, als ich in die Praxis eingestiegen bin.« Sie leerte die Gemüseabfälle in die Kompostschale und begann dann, die appetitlich gelbe Paprikaschote in Streifen zu schneiden.
Tatjana grinste schief.
»Das ist ja bei mir schwer möglich. Ich könnte höchstens den Patienten die Wartezeit versüßen und sie mit den Werten der geistigen und materiellen Kultur des Orients vertraut machen.« Versonnen dekorierte Tatjana die Karottenstifte auf der Platte und machte sich dann daran, den Kräuterquark zuzubereiten. Das Brot, das zu dieser gesunden Leckerei gereicht werden sollte, lag schon im Ofen und verströmte einen appetitanregenden Duft.
»Hast du schon mal überlegt, was du mit diesem Studium überhaupt anfangen willst?«, hakte Felicitas nach. Diese Frage war ihr schon öfter in den Sinn gekommen. Gestellt hatte sie sie jedoch noch nie.
Tatjana seufzte tief.
»Als ich mit meinem Vater im Orient war, war mir sonnenklar, dass ich eines Tages als Wissenschaftlerin arbeiten möchte. Aber seit ich wieder in Deutschland bin und Danny kenne, bin ich mir immer weniger sicher, ob das wirklich mein Weg ist.«
»Was würde dich denn glücklich machen?« Der Ofen piepste, und Fee ging hinüber, um das Brot herauszuholen, ehe es verbrannte. »Hmm, das ist uns wirklich gut gelungen.«
»Vielleicht sollte ich Ärztin werden. Dann könnte ich mit Danny zusammen arbeiten«, spann Tatjana den Gedanken unterdessen weiter.
Teile der knusprigen Kruste sprangen über die Arbeitsplatte, als Felicitas es in dicke Scheiben schnitt und in den Brotkorb legte.
»Oder aber du gewöhnst dich daran, dass Danny wenig Zeit hat.«
»Das muss ich, glaub ich, nicht«, tat Tatjana ihre Hoffnung kund und zwickte Dési, die hungrig in die Küche gekommen war, zärtlich in die Wange. »Bestimmt geht diese Zeit vorbei, und dann hat Danny wieder Zeit für mich und seine Familie. Nicht wahr?«, fragte sie das Mädchen.
»Na klar. Was täte er denn auch ohne uns? Ein Mann ohne Familie ist doch wie Tomatensauce ohne Tomaten«, gab Dési keck zurück.
Einen Moment lang starrte Tatjana das Mädchen überrascht an. Dann brach sie in schallendes Gelächter aus.
»Das ist die richtige Einstellung. Die musst du jetzt nur noch den Männern beibringen.«
Die Essensvorbereitungen waren inzwischen beendet. Obwohl bisher weder Danny noch sein Vater anwesend waren, versammelte sich der Rest der Familie um den Tisch. Hungern wollte keiner, auch wenn das Essen mehr Spaß machte, wenn alle zusammen waren.
*
»So, ich bin fertig für heute!«, verkündete Danny Norden triumphierend, als er seinen Vater am frühen Abend am Tresen der Praxis antraf. Da nur noch eine Patientin im Wartezimmer saß, war auch Janine schon nach Hause gegangen, und Wendy hielt die Stellung.
»Ich muss noch Frau Scharnagel verarzten. Dann darf ich auch heim«, erklärte Daniel und sah auf die Uhr. »Zeit wird’s.« Er unterdrückte ein Gähnen. Der Tag war lang und anstrengend gewesen. Und auch, wenn sie an diesem Mittag in den Genuss von Wendys selbstgemachten herrlichen Käse-Sandwiches gekommen waren, hatte er langsam Hunger.
»Du hast doch sicher nichts dagegen, wenn ich schon mal die Lage daheim checke?«, fragte Danny. »Mum hat nämlich Tatjana und mich zum Essen eingeladen. Und danach geh ich mit meiner Süßen auf einen Polterabend.«
Diese Nachricht verhieß nichts Gutes. Danny wie auch seine