Dr. Norden (ab 600) Box 2 – Arztroman. Patricia Vandenberg
Inhalt
Heitere Tage – trügerisches Glück?
Unsere Zukunft ist die Hoffnung
Es war Ende August und herbstelte schon gewaltig. Die letzten Tage waren kalt und regnerisch gewesen, und die Menschen hatten vergeblich auf Sonnenschein gehofft.
Antonia Evers freute sich, nun bald die Reise in den sonnigen Süden antreten zu können. Sie hatte lange überlegt, ob sie doch wieder nach Sizilien fahren sollte, hatte sich dann aber doch für die Algarve entschieden, da sie Portugal noch nicht kannte.
Als sie es Dr. Norden sagte, sah er sie nachdenklich an. »Ganz allein werden Sie doch die weite Strecke nicht fahren, Antonia«, sagte er.
»Keine Bange, diesmal fliege ich. Die Strecke nach Süditalien kenne ich, aber Portugal ist doch ein ganzes Stück weiter. Ich möchte einmal in jeder Beziehung abschalten.«
»Das ist vernünftig. Sie haben den Urlaub nach der langen Grippe wirklich nötig.«
»Ich bleibe diesmal auch drei Wochen.«
Dr. Norden sah sie wieder forschend an. Sie war schmal geworden während der Krankheit. Viel zuzusetzen hatte sie ohnehin nicht, und sie hatte sich auch nicht so geschont, wie es nötig gewesen wäre, da sie, wie andere auch, um ihre Stellung bangte.
»Sie nehmen auf jeden Fall Ihre Medikamente mit«, mahnte Dr. Norden. »Und bitte nicht gleich zuviel Sonne tanken. Das ist auch gefährlich.«
»Ich weiß es, und ich vertrage auch nicht zuviel Sonne. Dort soll ein sehr gesundes Klima herrschen, habe ich mir sagen lassen. Ich möchte aber auch viel sehen und nicht nur faulenzen. Zuerst bleibe ich ein paar Tage in Faro und fahre dann weiter nach Praia da Rocha.«
»Und Sie wollen sich ganz allein zurechtfinden?«
»Ich bin gern allein, das wissen Sie doch. Mit einer Reisegesellschaft könnte ich nie herumziehen. Es gefällt mir, Land und Leute kennenzulernen. Es ist interessant, und man ist zu nichts verpflichtet.«
Sie ist immer noch nicht über ihre erste Liebe hinweg, dachte er. Sie war wohl zu sehr enttäuscht worden, obgleich sie das nicht zeigen wollte.
Er kannte Antonia schon fünf Jahre. Sie war neunzehn gewesen, als sie zu ihrer Tante Erni zog, die damals schon pflegebedürftig gewesen war. Antonia hatte sie rührend umsorgt. Dafür hatte sie dann allerdings ganz unerwartet auch ein ganz hübsches Erbe antreten können, als die Tante vor einem Jahr starb. Sie hatte wirklich nicht damit gerechnet, daß Tante Erni ihr alles hinterlassen würde, die anderen Verwandten hatten es ihr nicht gegönnt. Sie war angefeindet worden, aber es war Dr. Norden gewesen, der ihr eindringlich geraten hatte, sich das ja nicht zu Herzen zu nehmen. Niemand sonst hatte sich um die Tante gekümmert als sie. Ihre Eltern hatte sie früh verloren und auch sonst schon manchen Schicksalsschlag hinnehmen müssen.
Dr. Norden war Antonias Vertrauter. Er wußte alles, was sie bewegte und was sie sonst niemandem preisgab. Ihm hatte sie auch gesagt, wie tief sie von ihrem ersten und bisher einzigen Freund enttäuscht worden war, der es im Grunde nur auf ihr Erbe abgesehen hatte. An Lars Obricht dachte sie aber nicht, als sie sich von Dr. Norden verabschiedete.
»Kommen Sie gesund zurück«, rief Wendy ihr nach.
Antonia kaufte noch ein paar Sachen, die sie für die Reise brauchte. Sie hatte sich alles notiert, um nichts zu vergessen. Natürlich mußte manches überlegt werden, wenn sie drei Wochen fernblieb. Die Hausbesitzerin, die im Parterre wohnte, hatte sie schon unterrichtet und konnte sich auch darauf verlassen, daß diese aufpassen würde, daß alles seine Ordnung hatte. Antonia hatte Tante Ernis Wohnung behalten können und verstand sich gut mit Frau Möhl, die früh verwitwet und sehr tolerant war. Es gab nie Differenzen zwischen ihnen, aber es gab auch keinen Anlaß dazu.
»Sie werden mir fehlen, Antonia«, sagte Lilian Möhl, als sie noch eine Tasse Tee zusammen tranken. »Es ist ein gutes Gefühl, einen Menschen, mit dem man sich versteht, nahe zu wissen.«
»Sie haben doch nette Bekannte«, meinte Antonia.
»Wie man es nimmt. Wenn ich sie einlade, ist alles gut, aber sonst… Ach, lassen wir das! Wir beide sind uns ähnlich, deshalb mag ich Sie, Antonia, und ich bin froh, daß Sie hier wohnen bleiben.«
»Ich bin auch froh, daß ich hier wohnen bleiben kann. Sie könnten sicher mehr Miete verlangen.«
»Ach was, reden wir nicht davon. Ich hoffe, daß Sie gesund zurückkommen. Genießen Sie den Urlaub unbeschwert. Wenn es Ihnen gefällt, fahre ich vielleicht auch mal hin.«
Lilian Möhl war fünfundvierzig. Schon vor zehn Jahren hatte sie ihren Mann verloren nach erst sechsjähriger Ehe. Kinder waren ihr nicht beschieden gewesen. Sie war eine hübsche Frau, immer gepflegt und ausgeglichen.
Warum ist sie allein geblieben, dachte Antonia, sie hätte doch bestimmt Chancen, einen adäquaten Mann zu finden.
Warum hat Antonia eigentlich keinen Freund, dachte Lilian, denn von den unerfreulichen Episoden mit Lars Olbricht wußte sie nichts. Antonia hatte nie ein Wort darüber verloren und wollte auch nicht daran erinnert werden.
Beide machten nicht die kleinste Andeutung über derlei Gedanken.
Antonias Koffer war gepackt. Sie ging noch einmal durch die Wohnung. Es war alles in Ordnung, denn sie war ordnungsliebend. Es war eine behagliche, hübsch eingerichtete Wohnung, in der sie sich wohl fühlte. Es war ein modernisierter Altbau, und ihre Wohnung umfaßte drei Zimmer, eine geräumige Küche, ein modern gekacheltes Bad und ein hübsches Entree. Für Antonia war es ein Glücksfall, daß sie nach Tante Ernis Tod bleiben konnte. Die Miete war für sie erschwinglich, und da sie wenig ausging, wollte sie ein behagliches Heim haben.
Wenn sie sich auch auf ihren Urlaub freute, würde sie doch gern heimkehren.
*
Ein Taxi stand am nächsten Morgen Punkt sechs Uhr vor der Haustür. Sie war bereit zur Abreise, nur ein klein wenig aufgeregt, wie es auch sein sollte, wenn Neues bevorstand.
Da noch wenig Verkehr war, war sie beizeiten am Flughafen und konnte bequem einchecken. Auf dem Weg zur Kontrolle hörte sie plötzlich ihren Namen und erkannte die Stimme.
Sie drehte sich nicht um, tat so, als hätte sie nichts gehört, aber schnelle Schritte folgten ihr und eine Hand griff nach ihrem Arm.
»Lauf mir doch nicht davon, Toni«, sagte Lars Olbricht. »Ich freue mich, dich endlich mal wiederzusehen. Wohin soll die Reise gehen?«
Antonia wich dem Blick der stahlblauen Augen nicht aus und wunderte sich, daß sie völlig ruhig blieb. Nicht das geringste Gefühl bewegte sie.
»Das braucht dich nicht zu interessieren«, erwiderte sie spöttisch.
»Es interessiert mich aber. Vielleicht fliegen wir die gleiche Strecke.«
Hoffentlich nicht, dachte sie, aber sie enthielt sich jeder Bemerkung.
»Warum bist du mir eigentlich böse?« fragte er mit einem aufreizenden Lächeln. Daß er ein gutaussehender Mann war, konnte man nicht übersehen, aber Antonia ließ es kalt.
»Warum sollte ich böse sein, du bist mir gleichgültig«, gab sie zurück.
»Wir