KHAOS. Lin Rina

KHAOS - Lin Rina


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durch die Rechnung, sodass meine Stimme zum Ende hin immer dünner wurde.

      Er nahm die Erklärung einfach hin und lenkte seine Fragen auf einen anderen Punkt. »Warum zwei Tage?«

      Mir begann die Hitze den Rücken hochzusteigen. Es machte mich völlig verrückt, dass er mich die ganze Zeit zu beobachten schien. Jede meiner Bewegungen verfolgte er mit den Augen, jede kleinste Mimik wurde von seiner Seele aufgefangen und bewertet.

      »Es ist kurz genug, dass Boz nicht die Geduld verliert und hoffentlich trotzdem so lange, dass mir was Gutes einfällt, um euch das nicht antun zu müssen«, gab ich zu und steckte steril verpackte Braunülen in eine schmale Metallbox.

      Ein tiefes Lachen erklang und ich hob erschrocken den Kopf. Der Mann mit dem dunklen Haar und den raubtierhaften Augen richtete sich auf der Liege auf, sodass sich seine Bauchmuskeln unter dem schwarzen Oberteil wölbten. Dabei lachte er so laut, dass ich fürchtete, es könnte jemand außerhalb dieses Raumes hören.

      Ganz automatisch streckte ich meinen Sinn in alle Richtungen aus und vergewisserte mich, dass wir in näherer Umgebung allein waren.

      Mir fiel jedoch schreckartig auf, dass die Seele des blonden Hünen viel zu gleichmäßige Wellen schlug. Alarmiert lief ich um den Tisch herum und sah nach ihm. Doch es schien, als ob er bloß eingeschlafen wäre. Wunderlich, fand ich, aber gut. Jeder brauchte seinen Schlaf, vor allem dann, wenn man dehydriert viel zu früh aus einem Koma erwachte.

      »Er ist nur eingeschlafen«, sagte der Dunkelhaarige und beruhigte sich langsam wieder. »Das ist bei Ares so. Der schläft, wo er sitzt und steht.«

      Ich sah ihn verstohlen an. »Ares«, murmelte ich und schob die Hände in die Taschen meiner übergroßen Strickjacke. Jetzt wusste ich wenigstens einen von zwei Namen, auch wenn mir der andere lieber gewesen wäre. Doch er schien es in dem Blick zu sehen, den ich ihm zuwarf, denn er reagierte sofort.

      »Mein Name ist Khaos«, stellte er sich vor und meine Lippen lächelten verlegen, obwohl ich es zu verhindern versuchte. Aber ich konnte nicht. Seinen Namen zu wissen, machte mich unglaublich kribbelig, als würde eine Art Euphorie in mir überkochen.

      »Es war ein Fehler, uns aufzuwecken«, fügte er plötzlich hinzu und sein Gesicht wurde schlagartig ernst. »Und wahrscheinlich auch, mir zu sagen, was dieser Boz mit uns vorhat.«

      »Weil ihr wach seid und uns alle töten werdet, bevor wir euch so was antun können?«, stellte ich die Frage und meinte es eigentlich als Aussage. Ich konnte es in ihm spüren. Er war stark und er wusste, wie er den Hass in sich einsetzen musste, um zu überleben. Er würde sich niemals einfach so ergeben, schon gar nicht, wenn er das Leben seiner Familie gefährdet wusste.

      »Du weißt das und trotzdem hast du dich dazu entschieden, uns zu wecken und mich in den Plan einzuweihen?« Das war eine Frage, doch ich wusste keine Antwort darauf und zuckte nur mit den Schultern.

      »Wie hast du dir das vorgestellt? Zwei Tage, um uns alle ins Leben zurückzuholen, wir fliehen und dein Boz bringt dich um, wenn wir es nicht vorher tun?«, zählte er mir die logischen Schritte auf, die jetzt wohl unweigerlich folgen würden.

      Natürlich wünschte ich mir nicht, dass es so lief. Doch wenn ich es nicht ändern konnte, dann war das wohl der Weg, den ich mit meinem Gewissen hatte vereinbaren können.

      Freudlos schnaubend zog ich die Hände wieder aus den Taschen, die Handflächen nach vorn gerichtet. »Ich bin eine schwache, kranke Frau in einer Höhle voller Ungeheuer. Ich lebe auch so nicht mehr lange. Wieso sollte mein Leben mehr wert sein als das von dreiundzwanzig Menschen?«, eröffnete ich ihm die traurige Wahrheit und wusste selbst nicht, warum ich den Drang verspürte, vor diesem Mann absolut nichts zu verheimlichen.

      8

      Pläne

      Khaos sah mich an, sein Blick gar nicht mehr so abschätzig und misstrauisch wie gerade eben noch. Seine Seele zeigte gemischte Gefühle, von Erstaunen bis Unglauben. Ich hatte ihn beeindruckt und das überraschte mich.

      »Ich kann mir nicht vorstellen, dass dir dein Leben so wenig wert ist«, sagte er und der tiefe Bass seiner Stimme erzeugte eine warme Gänsehaut auf meinen Schultern, die sich über den ganzen Rücken nach unten zog. Ich unterdrückte den Impuls, mich zu schütteln, und sah ihn weiter unverwandt an.

      »Mein Leben ist mir sehr viel wert«, versuchte ich mich zu erklären, damit er nichts Falsches über mich dachte. »Doch ich kann es nicht mehr lang festhalten. Also muss ich versuchen, dem Leben anderer zu helfen, solange ich kann.« Jetzt schaffte ich es nicht mehr länger, dem Blick aus seinen Augen standzuhalten, und starrte auf meine Hände.

      Khaos blieb still, beobachtete mich, und ich schloss für einen Moment die Augen, um mich seiner Seele zu nähern. In ihm kämpften zwei Gedanken, die um den vorrangigen Platz in seinem Kopf zankten. Rettung und Krieg. Liebe und Hass.

      Liebe zu seiner Familie, Menschen, die immer noch eingefroren waren, um die er sich sorgte und die er in Sicherheit wissen wollte.

      Und Hass gegen die ganze Welt, gegen jeden, der ihm und seiner Familie im Weg stand. Die ihnen die Freiheit, die Einigkeit oder das Leben nehmen wollten. Der Drang, aktiv gegen diese in den Krieg zu ziehen und sie zu vernichten, um seiner Familie so zum Frieden zu verhelfen.

      Es war ein Moment, in dem man etwas Großem gegenüberstand und sich selbst plötzlich über die Maßen klein fühlte. Wie wenn ich mich nachts zu einer Luke im oberen Teil des Wärtertraktes schlich, den Riegel aufdrehte, um die Sterne zu beobachten, und von der Unendlichkeit des Universums überwältigt wurde.

      Nur dass es diesmal nicht die Sterne waren, die mich so in ihren Bann zogen, sondern nur eine einzelne Seele, an der ich so festhing, dass ich fürchtete, mich selbst früher oder später an sie zu verlieren.

      Doch ich machte mir viel zu viele Gedanken über mich selbst.

      Ich blinzelte und hob den Blick. Es gab so viel Wichtigeres zu tun.

      Khaos wurde von meiner Bewegung ebenfalls aus seinen Gedanken gerissen und schnaubte. »Zwei Tage also?«, meinte er und ich nickte. »Dann würde ich vorschlagen, du sagst mir, wo wir hier sind, und ich sage dir, wie der Plan aussieht.«

      Er war so sehr davon überzeugt einen Plan entwickeln zu können, der funktionieren würde, dass ich beinahe gewillt war ihm bedenkenlos zu glauben. Aber meine Erfahrung sagte mir, dass es wahrscheinlich schwieriger werden würde, als er dachte.

      Ich seufzte, schob die Kiste mit dem Verbandszeug beiseite und stützte meine Handflächen auf die Platte des Arbeitstisches. An meinen Händen war die Haut trocken und rissig, und ich zog unauffällig die Ärmel meiner Strickjacke darüber. »Dieser Planet heißt Veko Beta VI«, begann ich und lehnte mein Gewicht mehr auf die Arme, um meinen Rücken zu entlasten. Gerne wollte ich mich setzen, doch ich hatte keinen Stuhl mehr und der Eimer stand so weit weg, dass es mir peinlich war, ihn von dort zu holen. »Es ist ein Gefängnisplanet, der vor etwa fünfzehn zentralen Standardjahren von den Insassen übernommen wurde. Seitdem ist kein einziges Schiff mehr hier gelandet.«

      Äußerlich reagierte er auf meine Informationen überhaupt nicht. Innerlich begann allerdings alles aufzuwallen und ein Gedanke jagte den anderen. Es war so faszinierend zu sehen, wie schnell er zu denken fähig war, dass ich beinahe vergaß weiterzusprechen.

      Verhalten räusperte ich mich. »Dieser Raum ist die ehemalige Kranken­station. Zu ihren guten Zeiten sah sie auch nicht wesentlich besser aus«, erklärte ich und fügte leise hinzu: »Sagte man mir zumindest.«

      Meine Mutter war damals, nach dem Mord an einem Patienten, verurteilt worden. Ihr Opfer war der Schänder und Mörder ihrer Schwester gewesen, ein boshafter Mann, der sein Schicksal vielleicht sogar verdient hatte.

      Doch für meine Mutter war es ein zu


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