KHAOS. Lin Rina

KHAOS - Lin Rina


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zu dumm für seine Rasse.

      Ich eilte durch den großen Raum der Krankenstation, die meinen Arbeitsbereich darstellte, und horchte einen winzigen Moment in mich hinein, um festzustellen, wie viel Zeit ich noch hatte und ob ich noch mehr einpacken konnte.

      Doch Krungs Wut, die wie Nadeln in meinen Hinterkopf stach, brodelte wie ein Vulkan und näherte sich mir mit riesigen Schritten.

      Keine Zeit!

      Ich zog mir den Träger meiner Tasche über den Kopf und rannte zur Tür. Ich musste raus und den Gang hinunter, bevor Krung am anderen Ende um die Ecke fegte.

      Ich hatte keine Ahnung, was ihn jetzt wieder so in Rage versetzt hatte. Aber eigentlich war es egal, denn den größten Frust hatte er sowieso meinetwegen und so würde er seinen Ärger auch an mir auslassen wollen.

      Ich war auch selbst schuld, hätte besser aufpassen müssen.

      Dabei tat ich schon alles dafür, den Schein zu wahren. Ich trug meine Locken kurz und zottelig, zog mir extra weite Sachen an und bemühte mich um eine burschikose Haltung. Alles, damit man mich immer noch als Kind sah und nicht als Frau.

      Leider hatte ich mich in den letzten vier Jahren unweigerlich verändert, dabei war ich noch ziemlich spät dran. Meine schmale, schlaksige Gestalt hatte sich gewandelt, war kurviger geworden, und auch mein Gesicht wurde von Tag zu Tag erwachsener, jedes Mal, wenn ich in einen Spiegel blickte.

      Ich hatte Angst davor. Ich wusste, wie Frauen behandelt wurden. Das hier war ein Gefängnisplanet.

      Obwohl alle Offiziellen bereits niedergemetzelt worden waren und der Rest der vereinigten Systeme uns wahrscheinlich vergessen hatte, waren wir hier ohne ein Raumschiff immer noch gefangen.

      Und die aktuelle Bevölkerung dieses Planeten bestand ausschließlich aus Schwerverbrechern und ihrer verderbten Nachkommenschaft.

      Frauen waren spärliches Gut und man konnte sich vorstellen, was mit einem passierte, wenn man mit einem Haufen einsamer, unmoralischer und gewaltbereiter Männer zusammenlebte, unter denen nur das Gesetz des Stärkeren regierte.

      Ich atmete schwer, als ich durch die Tür hechtete und auf schlitternden Sohlen am Ende des Flures um die Ecke rannte.

      Zu meinem Glück waren mir derartige Übergriffe bisher erspart geblieben, und ich hatte so etwas auch noch nicht mit ansehen müssen.

      Doch ganz konnte ich meine Gedanken nie davon lösen, da ich selbst das Produkt einer dieser abstoßenden Handlungsweise war.

      Meine Mutter hatte es mich allerdings nie spüren lassen. Sie war liebevoll und geduldig gewesen und hatte mir immer wieder gesagt, dass ich das Einzige wäre, das ihr Leben lebenswert gemacht hatte.

      Sie hatte mich viel zu schnell verlassen.

      Ich packte die Leiter an den Seiten und rutschte daran hinunter. Die Sprossen einzeln zu nehmen, hätte zu viel Zeit gekostet.

      Eilig rannte ich weiter nach unten, immer die abschüssigen Wege entlang, und kam nach einer schieren Unendlichkeit an dem Spalt an, durch den ich mich in den unteren Teil der zerfallenen Station zwängte.

      Mein Herz raste, meine Lunge brannte entsetzlich und mir schmerzte jeder einzelne Muskel so sehr, dass ich fürchtete zusammenzubrechen.

      Ich krabbelte durch das Geröll, spürte, wie sich die scharfen Kanten in meine Handflächen drückten, rutschte mit der Hand weg und fiel das letzte Stück in den sich dahinter befindenen Gang.

      Sicherheit. Zitternd blieb ich liegen und schloss für einen Moment die Augen.

      Krung hatte mich in den Waschräumen gesehen.

      Für gewöhnlich duschte ich nur nachts, wenn alle schliefen und die abgestellte Patrouille draußen unterwegs war, um nach verfeindeten Clanmitgliedern Ausschau zu halten. Dann, wenn mich niemand dabei beobachten konnte, wie ich meine Kleider ablegte, den Quetschverband von meinen Brüsten wickelte und den erdwarmen Wasserstrahl auf meiner Haut genoss.

      Doch an jenem Tag hatte ich operiert. Alex war auf Patrouille von einer Veko-Spinne angegriffen worden und sein Bein hatte so stark geblutet, dass er mir beinahe weggestorben wäre. Ich war von oben bis unten mit dem Blut eines anderen beschmiert gewesen. Meine Haare hatten mir verkrustet vom Kopf abgestanden und in jeder Hautfalte hatte es begonnen zu jucken. Die Vorsicht war mir egal gewesen, da der Ekel alles überschattet hatte.

      Jetzt bereute ich es. Denn Krung hatte mich gesehen, wie ich war. Eine Frau, alt genug für alle seine widerwärtigen Fantasien. Und jetzt wollte er mich haben!

      Bisher hatte ich mich immer gut herausgewunden. Er hatte seine Entdeckung über mich natürlich nicht öffentlich gemacht. Wer teilte schon gerne? Und so sorgte ich immer dafür, dass einer oder mehrere anwesend waren, wenn ich Krung begegnen musste. Doch das letzte Mal, als sein Frust zu groß geworden war, hatte er die Verriegelung an der Tür meiner Krankenstation zerschlagen und ich war nur um Haaresbreite in mein Loch entkommen. Er hatte getobt, hatte mich auf seiner und meiner Sprache beschimpft, mir gedroht, mich auszuräuchern, wenn ich mich das nächste Mal wieder so vor ihm verstecken sollte. Er würde mich kriegen, hatte er geschrien und dass ich auch nur ein Stück Fleisch war, das sich nicht einbilden sollte, etwas Besonderes zu sein.

      Aber damit hatte er nur zur Hälfte recht, denn ich war etwas Besonderes. In mehrerer Hinsicht.

      Mit zitternden Fingern tastete ich in meiner Tasche, bis ich das metallene Kästchen zu fassen bekam und es erleichtert herauszog. Ich öffnete es und entnahm ihm drei kleine gräuliche Tabletten, die ich zwischen die Lippen schob und ohne Wasser schluckte.

      Jetzt musste ich nur noch warten und hoffen, dass meine Krankheit mich nicht dahinraffte, bevor die Tabletten zu wirken begannen.

      Ich durfte gar nicht rennen. Ich durfte nicht springen, nicht hetzen und am besten regte ich mich auch nicht auf. Jede Art von Stress konnte mich umbringen, und es kam einem Wunder gleich, dass das noch nicht passiert war. Nur ein Muskelkrampf, eine Spur zu viel Adrenalin in meinem Blut und mir würde das Herz versagen, die Lunge würde kollabieren und schlussendlich würde mein Körper alle Funktionen einstellen.

      Aber ich lebte schon eine ganze Weile damit und auch wenn die ständigen Muskelschmerzen mir das Leben nicht gerade einfacher machten, half mir meine Position als Laienärztin dabei, leicht an Tabletten ranzukommen, die mich zumindest vor dem Schlimmsten bewahrten.

      Meine Mutter war Ärztin gewesen, eine studierte. Zumindest bevor sie einen Mann erstochen und dann zu einer lebenslangen Haft verurteilt worden war. Sie hatte mir schon früh beigebracht, was ich wissen musste, um für meinen Clan wertvoll genug zu sein, damit sie mich nicht kochten und auffraßen.

      Nach dem Tod meiner Mutter hatte ich ihren Platz am Behandlungstisch eingenommen und schlug mich bisher ganz gut. Mein Drang nach Wissen hatte mir vieles einfacher gemacht.

      Doch den größten Vorteil hatte mir immer meine Gabe verschafft.

      Außer meiner Mutter hatte ich nie jemandem davon erzählt. Und die hatte sich auch nicht wirklich erklären können, wie so etwas überhaupt möglich war.

      »Vielleicht liegt es an deinem Vater«, hatte sie einmal gesagt, auch wenn es ein sehr schwammiges Argument war. Sie hatte keine Ahnung gehabt, wer mein Vater gewesen war.

      Wir hatten die Gabe in Seelen lesen genannt. Anders konnte man es kaum beschreiben. Es war wie ein weiterer Sinn. Sehen mit dem Geist. Wenn ich die Augen schloss und mich konzentrierte, dann spürte ich all die Seelen, die sich im Umkreis befanden. Je mehr Anstrengung ich hineinsteckte, desto weiter konnte ich sehen.

      Alle fühlenden Wesen waren für mich sichtbar und jedes war so einzigartig wie das Gesicht, das dazugehörte. Wenn ich die Personen kannte, dann wusste ich auch anhand der Seelen, wer sie waren. Und umso mehr ich mich mit ihnen auseinandersetzte, desto tiefer konnte ich blicken. Wohlbefinden, Wallungen, Gefühle, selten sogar Gedankenfetzen und aufblitzende Bilder.

      Im Laufe der Jahre war ich gut darin geworden, die Empfindungen anderer zu


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