KHAOS. Lin Rina

KHAOS - Lin Rina


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so weit hinunterzusehen.

      Ich blinzelte die Seelen weg und drehte mich auf die Seite. Ohne es zu sehen, starrte ich gegen das graue Metall der Wand und drückte mir das klumpige Kissen zurecht.

      Das Leben war eine trostlose Aneinanderreihung von belanglosen Ereignissen, die nur dem einen Ziel dienten: überleben. Es war ermüdend und anstrengend und ich vermutete, dass mein Leben nicht mehr lange andauern würde.

      Etwa achtzehn zentrale Standardjahre war ich nun auf dieser Welt und hatte noch nichts gesehen. Hier drinnen gab es nur rostigen Stahl, schmutzige Kleidung und boshafte Männer. Und vor unseren Türen existierten nur rotgoldener Sand und Hitze und Veko-Spinnen.

      Meine Mutter hatte mir früher immer von ihrer Heimat erzählt. Von Bäumen, von grünen Parks und der Schönheit eines türkisblauen Meeres. Sie berichtete von Freizeitaktivitäten, Spaß und Freundschaft.

      Und dann gab es da noch die Märchen, von denen ich als Kind niemals genug bekommen konnte.

      Mein Liebstes hieß Die Schöne und das Biest und handelte von einem verwunschenen Prinzen und einem einfachen Mädchen, das sich in ihn verliebte, obwohl er wie ein Monster aussah, und ihn so von seinem Fluch befreite.

      Meine Mutter musste mir diese Geschichte immer und immer wieder erzählen, und ich hatte sie verträumt angesehen und gefragt, ob ich mich wohl auch einmal verlieben würde.

      Doch sie hatte mich nur traurig angeschaut. »Früher hätte ich auf jeden Fall Ja gesagt. Aber ich will dich nicht belügen, Daya«, hatte sie gemeint und mich an sich gezogen. »Auf diesem Planeten gibt es keine Liebe.«

      3

      Blut

      Ich erwachte mitten in der Nacht und wusste nicht wovon. Es war alles still und die Dunkelheit wurde nur von ein paar Stand-by-Lämpchen erhellt, die an den medizinischen Geräten in der Krankenstation matt leuchteten.

      Ich starrte aus meinem Loch und konnte nichts Ungewöhnliches entdecken.

      Doch das ungute Gefühl, geweckt worden zu sein, ließ sich nicht abschütteln und ich schlüpfte trotz Müdigkeit mit einem Schnauben in meine ausgetretenen Stiefel. Ich zog gerade die Schnürsenkel fest, da traf mich die Erkenntnis wie ein Stich in den Rücken.

      Seelen waren unterwegs. Eine ganze Menge. Sie schlichen durch die Gänge, und was mich am meisten beunruhigte, war, dass sie nicht hierhergehörten.

      Ich kletterte so schnell ich konnte aus meinem Loch, ließ mich geräuschlos auf den glatten Boden der Krankenstation herunter und ging rasch zur Tür.

      Konzentriert behielt ich die Seelen im Blick und huschte in den Gang hinaus. Sie befanden sich ein Stockwerk unter mir, auf der Ebene der Tore. Ich hatte keine Ahnung, wie sie reingekommen waren, aber sicher war, dass sie nichts Gutes im Schilde führten.

      Ich lief den Flur nach unten und zur Leiter, nur um sofort wieder kehrtzumachen. Die Eindringlinge bogen gleich um die Ecke und hatten dann freies Sichtfeld auf das untere Ende der Leiter.

      Also musste ich wohl außenrum.

      Ich atmete tief durch, versuchte, meinen Puls niedrig zu halten und eilte wieder zurück. Bemüht, keinen Krach zu machen, setzte ich die Füße ganz sachte auf und verfluchte mich selbst, weil ich doch tatsächlich meine Tasche mit den Medikamenten vergessen hatte.

      Nur ein Krampf und ich wäre so gut wie tot. Doch um sie zu holen, blieb einfach keine Zeit. Die Eindringlinge würden bald die Schlafkammern der anderen erreichen. Und dann würde es hässlich werden.

      Wo verdammt waren die Wachposten?

      Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, rannte ich die Treppe runter, erst auf dem letzten Absatz stockte ich. Ich spürte ihre Seelen, sah das Glimmen ihrer Gefühle, ein hässliches Aufblitzen in einem Meer aus Dunkelheit.

      Sie waren schon hier. Ich war zu langsam gewesen.

      Die einzige Möglichkeit, die mir jetzt also noch blieb, um die anderen zu warnen, bevor sie einfach im Schlaf massakriert wurden, war, sie alle zu wecken. Doch dafür musste ich leider die Aufmerksamkeit auf mich lenken.

      Ich atmete wieder tief durch, sammelte meine Kräfte, nahm all meinen Mut zusammen und presste die Hände zu Fäusten gegen meinen Brustkorb. Dann öffnete ich den Mund und schrie. Schrie, so laut ich konnte, so schrill, dass niemand auf diesem stillen Planeten es überhören würde.

      Die Eindringlinge hielten sofort inne, ihre Aufmerksamkeit wanderte in meine Richtung. Doch es war für sie zu spät, mich jetzt noch unschädlich zu machen. Die Schlafenden regten sich. Die Seelen schnellten aus dem dämmrigen Nebel ihrer Träume hinauf an die Oberfläche und dringliche Alarmbereitschaft war das vorrangige Gefühl. Ich hatte es geschafft.

      Ein verstohlenes Lächeln legte sich auf meine Lippen, bis ich den Mann sah, der mich entdeckt hatte und überrascht das Gewehr sinken ließ.

      Mir fuhr der Schock in alle Glieder, das Brennen in meiner Lunge trat mir deutlicher ins Bewusstsein und mir war klar, dass es nicht lange dauern würde, bis dieser Typ auch mich als Gefahr erachten würde. Oder schlimmeres.

      Ich nahm die Beine in die Hand, dachte nicht groß nach und rannte die Treppe wieder hinauf.

      »Das ist ein Mädchen«, hörte ich den Mann zu seinem Kameraden sagen, dann erklang auch schon eiliges Stampfen von festen Stiefeln auf den Stufen. Wut keimte hinter mir auf und donnerte mir hinterher wie eine dunkle Wolke.

      Doch hinter der Wut verbargen sich wesentlich dunklere Emotionen.

      »Die krieg ich!«, brüllte eine andere Stimme und jagte mir instinktiv einen eiskalten Schauer über den Rücken, als ich das düstere Aufflammen erkannte, das in meine Richtung waberte und mit seinen widerwärtigen Klauen nach mir schnappte.

      Oh nein! Männer waren alle gleich. Alle hirnlose, triebgesteuerte Ungeheuer.

      »Nicht, wenn ich sie zuerst kriege«, lachte der Erste dreckig und ließ mich wünschen, ich wäre einfach in meinem Loch geblieben, anstatt mich dem Ganzen so unbedacht zu stellen.

      Doch was hatte ich schon für eine Wahl gehabt?

      Ich rannte so schnell mich meine Füße trugen, was leider nicht besonders schnell war. Ein Arm haschte nach mir, riss mich nach hinten und mein Kopf wurde heftig nach vorne geworfen. Ich verlor für einen Augenblick die Orientierung, versuchte, um mich zu schlagen, als Hände mich nach unten drückten.

      Mein Atem ging keuchend vor Anstrengung und mein Brustkorb zog sich immer enger zusammen. »Nein«, brachte ich kläglich hervor, ich bekam viel zu wenig Luft, als ich von dem Gewicht eines Mannes zu Boden gepresst wurde.

      Panik machte mich blind und taub und ich konnte den Krampf um mein Herz bereits fühlen.

      Es würde mit mir zu Ende gehen. Einfach so. Ohne dass ich jemals etwas gesehen oder erlebt hatte. Zerquetscht von einem Vergewaltiger, der erst merken würde, dass ich tot war, wenn er mit mir fertig wäre.

      Er roch unangenehm nach Schweiß und Fäulnis, sodass ich den Kopf drehte, um seinen hektischen Atem nicht in die Nase zu bekommen.

      »Ich hab sie zuerst gesehen!«, schrie der andere Mann, der zu uns aufgeschlossen hatte, und stieß meinen Angreifer von mir runter.

      Ein bisschen mehr Sauerstoff strömte in meine Lunge und schenkte mir die Geistesgegenwart, mich von den Kämpfenden wegzubewegen. Stolpernd kam ich auf die Füße, ignorierte die stechenden Schmerzen in meiner Brust, das Brennen meiner Muskeln, das Hämmern in meinen Schläfen.

      Doch ich würde kämpfen, zumindest noch ein bisschen. Ich war noch nicht bereit zu sterben! Nicht hier in diesem Gang. Nicht, bevor ich nicht noch einmal dieses Gesicht gesehen hatte. Egal,


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