Der Bergpfarrer Paket 2 – Heimatroman. Toni Waidacher
jetzt geh’n sie ins Haus.«
Sie deutete auf das Auto ihres Vaters. Es stand neben der Scheune, wenn sie das Bauernhaus auf der anderen Seite umrundeten, konnten sie den Wagen erreichen, ohne gesehen zu werden.
»Wir nehmen das Auto«, sagte sie. »Deine Sachen wirst’ einstweilen hierlassen müssen. Wir können net riskieren, ins Gesindehaus zu laufen.«
Der Schlüssel steckte immer. Der Brandtnerhof war so abgelegen, daß niemand damit rechnete, jemand könne den Wagen nachts stehlen. Deshalb hatte man sich angewöhnt, den Schlüssel nicht abzuziehen.
Ungesehen stiegen sie ein. Andrea hatte sich hinter das Steuer gesetzt und startete den Motor. Das Fahrzeug war relativ neu. Ein altes hätte vielleicht laute Motorengeräusche gemacht, dieser hier schnurrte wie eine Katze. Im Haus konnte man sie bestimmt nicht hören.
»Was machen wir denn jetzt?«
Thomas Neumayr raufte sich die Haare. Früher oder später wäre es wohl ohnehin geschehen, daß man ihn hier aufgespürt hätte. Daß es aber so schnell ging, hatte er nicht geglaubt.
»Wir fahren nach Sankt Johann, so wie wir’s vorhatten«, antwortete das Madel. »Was auch immer Max und sein Bruder wollen, wir müssen erst allein mit Hochwürden sprechen. Er ist uns’re einzige Chance. Allerdings weiß ich net, wo wir uns einstweilen verstecken sollen.«
Thomas streichelte ihr Haar.
»Weißt du eigentlich, was du gerade gesagt hast? Wir müssen mir Pfarrer Trenker sprechen und wir müssen uns verstecken. Du hast von uns gesprochen. Du nimmst das alles auf dich. Einen größeren Beweis deiner Liebe kann’s gar net geben.«
Andrea lächelte.
»Wir verstecken uns in der Kirche«, fuhr er fort und erzählte, was ihm zuvor, als er in seiner Kammer saß, eingefallen war. »Ich werd’ Hochwürden um Asyl bitten. Das darf er mir net verweigern. Damit bin ich erstmal davor sicher, verhaftet zu werden. Selbst wenn der Polizist sein Bruder ist, er darf mich net den Behörden ausliefern. Und dann bitt’ ich ihn, mir dabei zu helfen, meine Unschuld zu beweisen.«
Sie hatten das Dorf erreicht. Es waren kaum noch Leute unterwegs, ein paar nur waren auf dem Weg ins Wirtshaus. Die aber achteten nicht auf das Auto, das langsam durch die Straßen fuhr.
»Vielleicht solltest’ den Wagen erst einmal irgendwo abstellen, wo er net sofort ins Aug’ fällt«, schlug Thomas vor. »Bestimmt haben s’ jetzt festgestellt, daß weder wir, noch das Auto mehr da sind. Sie werden also nach dem Verbleib des Fahrzeugs forschen.«
Andrea mußte ihm zustimmen. Sie umrundete den Marktplatz und fuhr in eine kleine Gasse neben dem Rathaus. Sie stellte das Auto ganz am Ende der Gasse ab.
»Hoffentlich ist net abgeschlossen«, sagte Thomas, als sie Minuten später vor der Kirchentür standen.
»Es wird nie abgesperrt«, erklärte Andrea und drückte die Klinke herunter.
Die schwere Tür schwang leise auf. Im Vorraum brannte ein spärliches Licht, im Innern des Kirchenschiffes war es noch dunkler. Nur in den Seitengängen leuchteten ein paar Lampen. Die beiden jungen Leute hatten sich an die Hand gefaßt und gingen leise, beinahe auf Zehenspitzen, durch das Gotteshaus.
»Was für eine Pracht!«
Thomas hatte unwillkürlich geflüstert. Was er sah, war wirklich beeindruckend. Gold, Blau und Rot waren die beherrschenden Farben. Die Fensterbilder stellten Szenen aus dem Alten Testament dar, und das gewaltige Kreuz über dem Altar strahlte, trotz der geringen Beleuchtung, golden.
Sie setzten sich für einen Moment in eine der Kirchenbänke. Während Andrea seine Hand hielt, starrte Thomas Neumayr vor sich hin.
Wieder war er auf der Flucht. Die paar Tage auf dem Brandtnerhof hatten ihn schon fast vergessen lassen wie es war, ohne Heimat zu sein, immer in Gefahr, entdeckt zu werden.
Würde dieser Alptraum jemals ein Ende haben?
Seine ganze Hoffnung galt Sebastian Trenker. Wenn es ihm gelang, den Geistlichen von seiner Unschuld zu überzeugen, dann war schon viel gewonnen. Andrea hatte ihn als einen Mann geschildert, der stets auf der Seite der Schwachen und Rechtlosen stand. Und genauso kam er sich jetzt vor – schwach und rechtlos. Und das alles nur, weil er einem Menschen vertraute, von dem er geglaubt hatte, daß dieser ihn niemals so hintergehen und ins Unglück stürzen würde.
»Wir warten eine Stunde«, unterbrach Andrea seine Gedanken. »Dann müßte Hochwürden zurück sein. Sie werden jetzt kaum eine Suchaktion nach uns starten. Ich werd’ dann ins Pfarrhaus hinübergehen und mit Pfarrer Trenker reden. Schon wenn er mich sieht, wird er wissen, worum es geht.«
Thomas legte seinen Arm um sie.
»Ohne dich wär’ ich jetzt net hier«, sagt er. »Ich weiß gar net, wie ich dir für alles, was du für mich tust, danken soll.«
»Wenn man jemanden aufrichtig liebt, erwartet man keinen Dank«, erwiderte sie schlicht und bot ihm ihren Mund zum Kuß dar.
Ein Geräusch an der Kirchentür ließ sie auseinander fahren. Hastig sprangen sie auf und huschten unter die Galerie. Neben einem großen Bild befand sich die Tür zur Sakristei. Vorne wurde die zweite Tür geöffnet, als Thomas und Andrea in dem Raum verschwanden.
Den Atem anhaltend und mit klopfendem Herzen standen sie in der Dunkelheit und lauschten.
»Wer mag das sein?« flüsterte Thomas
»Vielleicht ein später Besucher«, vermutete Andrea. »Oder der Herr Kammeier, der Messner.«
Draußen hallten Schritte durch das Kirchenschiff. Schritte, die direkt auf die Sakristei zuzukommen schienen.
*
Sebastian stutzte, als er die Tür zum Vorraum öffnete. Es war ihm, als habe er im Innern der Kirche einen oder zwei Schatten gesehen.
Hielt sich jetzt noch jemand hier auf? Und wenn ja, warum versuchte er, sich zu verstecken?
Für einen Moment dachte der Seelsorger an Kirchendiebe. Nur sie hatten Grund zu verschwinden, wenn jemand sie bei ihrer Arbeit zu stören drohte. Doch dann wollte er nicht so recht daran glauben. Es war zwar schon einmal vorgekommen, daß etwas aus der Kirche gestohlen worden war. Aber das war gottlob nur einmal geschehen, und die Tat hatte schnell aufgeklärt werden können. Das Diebesgut, eine wertvolle Madonnenstatue, stand längst wieder an ihrem Platz und war seitdem durch eine Alarmanlage gesichert.
Nein, Sebastian glaubte zu wissen, wem die beiden Schatten gehörten, die er gesehen hatte. Auf der Rückfahrt vom Brandtnerhof hatte er sich Gedanken gemacht und versucht, sich in die Lage von Andrea und Thomas zu versetzen. Er kannte das Madel, schließlich war es eines seiner Pfarrkinder, und er wußte, daß die Bauerntochter sich nie im Leben mit einem wirklichen Betrüger auf die Flucht gemacht hätte. Also mußte Andrea Vertrauen zu Thomas Neumayr haben, genauso wie sie Vertrauen zu ihm, ihrem Geistlichen, hatte. Sebastian war beinahe sicher, daß die beiden sich hier in der Kirche versteckt hielten und das Gespräch mit ihm suchen würden. Deshalb hatte er sich auch Max gegenüber nicht weiter darüber ausgelassen, was er zu tun gedachte. Er wollte seinen Bruder nicht in noch einen Gewissenskonflikt stürzen. Er rechnete es ihm ohnehin hoch an, daß Max sich bisher auf all das eingelassen hatte, was er von ihm verlangte. Das wäre gewiß nicht der Fall, wenn der Polizist nicht von Sebastians Menschenkenntnis überzeugt wäre. Aber der Bergpfarrer hatte mehrfach bewiesen, daß er sich auf seine Nase verlassen konnte. Sein Glaube an das Gute im Menschen hatte ihn noch nie getrogen.
Sebastian ging geradewegs auf die Sakristei zu. Dorthin meinte er die zwei Gestalten huschen gesehen zu haben. Er öffnete die Tür und drückte den Lichtschalter. Eine Neonröhre flammte auf und ihr fahles Licht fiel auf zwei zitternde Gestalten.
»Na?« war alles, was Pfarrer Trenker sagte.
Thomas trat einen Schritt vor.
»Die Andrea kann nix dafür«, rief er aufgeregt. »Es ist alles meine Idee gewesen.«
Der Geistliche