Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg
ihn nachdenklich.
Nach seiner Meinung passte es nicht zu fröhlichen Ferien, wenn nette, alte Leute starben, und die Stille und Einsamkeit, von der Denise in ihren Briefen schrieb, wollte ihm auch nicht so recht behagen. Und dann war da natürlich auch noch Jonka, die goldbraune Stute, die er selbst mit aufgezogen hatte. Ausgerechnet dann sollte er nicht daheim sein, wenn sie ihr erstes Fohlen bekam?
»Die zehn Tage werden wir schon noch überstehen, Papi«, sagte er.
Alexander hatte Sehnsucht nach Denise. Ihm kam die Zeit unendlich lang vor, und ihn tröstete nur der Gedanke, dass Henrik sich so gut erholte.
In Sophienlust wäre man auch sehr enttäuscht gewesen, wenn Nick sie verlassen hätte. Besonders Pünktchen hätte ihn sehr vermisst. Ganz kritisch schaute sie drein, als er sie beiseite nahm und ihr zuflüsterte, dass er ihr etwas sagen müsse.
»Ich bleibe hier, ich fahre nicht weg«, sagte er ihr ins Ohr.
Ihre Augen leuchteten auf, ihr feines Näschen kräuselte sich, als sie lächelte.
»Jonka würde auch große Sehnsucht nach dir haben, Nick«, sagte sie, weil sie nicht zugeben wollte, dass auch sie Sehnsucht nach ihm haben würde.
Es hatte wirklich seine Zeit gebraucht, mit diesem herben Menschenschlag vertraut zu werden, aber Denise war es nicht so schwergefallen. Sie hatte Umschau gehalten. Sie war mit Harald Gottschalk durch die Marschen gefahren, durch die Dörfer und an den Feldern vorbei, die der Ernte entgegenreiften. Sie hatte nicht nur die Kühe und Pferde gesehen, die hier prächtig gediehen, sie hatte auch mit den Menschen gesprochen, die nicht viel Worte machten.
Wenn der Doktor kam, nahmen sie sich sogar ein paar Minuten Zeit. Harald Gottschalk war einer von ihnen, das spürte man.
Und während Denise Land und Leute kennenlernte, erzählte Wilm Brodersen den Kindern Geschichten aus seinem abenteuerlichen Leben.
Eines Abends kam Henrik mit der Kogge heim, die bislang auf der Vitrine in Wilm Brodersens Zimmer gestanden hatte.
»Der Käpt’n hat sie mir geschenkt«, erklärte er voll Stolz. »Er hat sie selbst gebaut. Nick wird staunen. Solch ein schönes Geschenk hat er noch nie bekommen.«
Und nun wusste Denise endgültig, dass Wilm Brodersen schon Abschied nahm von dieser Welt. Deshalb wurde ihr der Abschied von ihm besonders schwer, als die Stunde dann schlug.
Für Henrik war es ein Abschied von Dodo und Hannibal und einem herrlichen Sommer, der nur kurze Zeit von Hinnerks Tod getrübt worden war. An den Sturm dachte er schon gar nicht mehr.
Für Denise war es ein schmerzlicher Abschied, obgleich sie ganz genau wusste, dass ihr ein Wiedersehen mit Dodo bevorstehen würde. Sie saß bei Mintje in der Küche, und sie sah, dass Mintje geweint hatte.
»Es war eine schöne Zeit, Madame«, sagte Mintje. »Sie haben dem Doktor den Glauben an die Frau zurückgegeben.«
»Hatte er ihn verloren, Mintje?«, fragte Denise.
»Warum wäre er wohl hier, bei all seinem Wissen?«, sagte Mintje leise. »Ich sollte nicht davon reden, aber es gab eine, die er gern hatte. Viel zu gern. Sie hat es nicht verdient. Die Menschen hier brauchen ihn. Diese Menschen sind ohne Falsch. Ich bin gern hier. Es ist meine Heimat geworden. Ihre Heimat würde ich auch gern einmal sehen, Madame. Sie ist bestimmt voll Wärme. Wilm Brodersen weiß, wem er seine Dodo anvertraut.«
»Woher wissen Sie das, Mintje?«, fragte Denise.
»Er trinkt so oft mit Ihnen Tee. Das hat er mit keinem andern getan«, erwiderte Mintje.
Und zum letzten Mal trank Denise Tee bei Wilm Brodersen. Ganz still saß er in seinem Sessel, und sein Blick ruhte unverwandt auf ihr.
»Es sollte wohl so sein, dass ich Sie kennenlernte. Ich bin dem da droben dankbar dafür.« Bevor Denise etwas sagen konnte, erhob er sich. »Möchten Sie einmal durch mein Fernrohr schauen, Frau von Schoenecker?«, fragte er.
Ganz automatisch folgte ihm Denise, weil sie jetzt schon wusste, dass alles, was er sagte, einen tieferen Sinn hatte.
Das Fernrohr war zum Meer gerichtet, aber ganz dicht, als stünden sie vor ihr, sah sie Henrik, Dodo und Hannibal. Henrik strich Dodo mit der Hand über die Wange, und Hannibal drängte seinen Kopf zwischen die Kinder.
»Sie wissen noch nicht, dass sie sich wiedersehen werden«, sagte Wilm Brodersen. »Wäre auch für Hannibal Platz in Sophienlust?«
»Darüber sollten Sie sich keine Gedanken machen, Käpt’n«, erwiderte Denise. »Es ist doch selbstverständlich.«
Sie wusste nur zu gut, dass er nicht wollte, dass sie seine Gedanken wegredete, und sie fühlte auch, dass sie Dodo schon bald wiedersehen würde.
»Ich bin auch glücklich, Sie kennengelernt zu haben«, sagte sie leise, und dann umarmte sie ihn impulsiv. »Ich habe ja etwas, was mich immer an diese Tage erinnern wird, auch wenn ich schon dort angelangt bin, wo Sie heute sind.«
»Viel, viel Glück wünsche ich Ihnen«, sagte der alte Mann mit erstickter Stimme, und Denise wusste, dass sie jetzt gehen musste.
*
Ein rührender Anblick bot sich Denises Augen, als sie an den Strand kam. Hannibal lag ausgestreckt an der Sandburg. Henrik saß unweit von Dodo und redete auf sie ein. Er war so vertieft, dass er seine Mutter nicht kommen hörte.
»Im Winter besucht ihr uns dann, Dodo«, sagte er. Seine Stimme klang verdächtig nach Tränen. »Mami wird es deinem Großväterchen noch einmal sagen. Vielleicht könntet ihr auch schon im Herbst kommen.«
Dodo hielt die Augen weiterhin fest geschlossen. »Man kann ja nicht mit dem Schiff zu euch fahren«, schluchzte sie auf und presste ihre sandigen Fäustchen an die Augen.
Schnell kniete Denise nun bei ihr nieder, nahm die Händchen herunter, putzte sie mit ihrem Taschentuch ab und danach auch das sandverschmierte kleine Gesicht.
»Nicht weinen, mein Kleines«, sagte sie zärtlich. »Man kann auch mit dem Auto zu uns gelangen.«
»Der Doktor kann euch bringen«, warf Henrik eifrig ein. »Oder wenn er keine Zeit hat, holen wir euch. Mir tut es ja auch leid, dass der Sommer so schnell vergangen ist, Dodo.«
Noch längst war der Sommer nicht zu Ende, doch die Kinder empfanden es so. Auch Hannibal seufzte schwer, und seine schönen, feuchten Augen sahen Denise bittend an.
Denise nahm Dodo in ihre Arme, Henrik nahm ihre Hand. So saßen sie eine Weile ganz still.
»Ich will jetzt lieber zu Großväterchen gehen«, flüsterte Dodo, »sonst muss ich weinen. Liebe Tante Isi, vergiss deine Dodo nicht.« Dann umarmte sie Henrik. »Du bist mein allerbester Freund. Es war so ein schöner Sommer.«
Und nun weinte sie doch, und auch Henrik rollten die Tränen über die Wangen. Hannibal jaulte leise.
Denise kraulte ihm den Kopf. »Pass gut auf Dodo auf, Hannibal«, sagte sie.
»Nächstes Jahr kommen wir wieder, dann bringen wir Papi, Nick und Pünktchen mit«, versprach Henrik, und dann hielt Denise Dodo noch ein letztes Mal im Arm.
Sie wusste, dass es kein Abschied für immer war und dass sie Dodo vielleicht bald wiedersehen würde, aber dieser Gedanke war schon von einem Hauch Trauer durchweht.
*
Henrik saß bei Mintje in der Küche, als der Abend hereinbrach. Er musste noch die Koch- und Backrezepte aufschreiben, die er Magda mitnehmen wollte. Aber seine Gedanken waren nicht so recht bei der Sache. Immer wieder wanderten sie zu Dodo.
»Meinst du, dass Dodos Mutti wiederkommt, Mintje?«, fragte er.
»Nein, Henrik.«
»Aber sie glaubt es.«
»Sie ist ein kleines Kind.«
Henrik senkte bekümmert den Kopf. Er konnte Dodo so gut verstehen. Er konnte sich nicht vorstellen, ohne seine Mami