Mami Staffel 11 – Familienroman. Edna Meare
wenigstens selbst? Oder haben Sie sich das ganz verboten?«
»Ich male nicht mehr. Aber vielleicht fange ich eines Tages wieder an. Es fehlt mir oft. Noch befriedigt mich die Arbeit mit den Kindern allerdings sehr.«
»Ich kann mir vorstellen, daß es sehr anstrengend ist.«
»Manchmal ja. Und dann wieder ist es ein richtiges Vergnügen. Mit Kindern wie Ihrem Sohn zum Beispiel.«
»Danke. Ich bin auch sehr glücklich über Daniel.«
»Es liegt ja nicht nur an ihm, daß er so ist. Daran haben Sie auch Ihren Anteil.«
Christine wurde rot. Dieses Kompliment aus seinem Mund war gut zu hören. Er meinte, was er sagte, das merkte sie.
»Ich… wünsche mir sehr, alles richtig zu machen. Aber immer gelingt es mir nicht.«
»Wem schon? Es wäre gar nicht so gut, wenn man nie Fehler macht. Kinder brauchen doch die Erkenntnis, daß auch Eltern Fehler machen können. Wie man damit umgeht, das ist das Entscheidende.«
Der Kaffee war getrunken, aber weder Christine noch der Lehrer machten Anstalten, sich zu verabschieden. Es war schön, zusammenzusitzen und miteinander zu reden, als kenne man sich schon ewig. Christine hatte so etwas bisher nur mit Suse erlebt, und das war ja nun vorbei.
Es fehlte der Thrill, wenn sie mit Jasper Wolf zusammen war. Er war auch nicht so gutaussehend wie Adrian, und doch ging von ihm eine Wärme und Freundlichkeit aus, die wohltat. Sie wäre glücklich, wenn sie ihn zu ihren Freunden zählen könnte.
Offenbar dachte er ähnlich, denn plötzlich schlug er vor, eine nächste Ausstellung gemeinsam zu besuchen. Begeistert stimmte Christine zu.
»Sie hören sicher eher davon, wenn es etwas Sehenswertes gibt. Rufen Sie mich an?«
»Das mache ich sehr gern. Dann muß ich wohl mal wieder… Meine Schwester steht heute auf der Bühne, ein neues Stück, das ich ansehen muß. Gehen Sie auch ins Theater?«
»Gern, aber seit Daniel da ist, nicht mehr so oft, wie ich zugeben muß.«
»Aber vielleicht haben Sie mal Lust?«
»Ja, ja, sehr.«
»Schön. Ich freue mich, daß ich Sie getroffen habe. Grüßen Sie Daniel bitte herzlich.«
»Das mache ich.«
Es war ein wunderbarer Nachmittag gewesen. Als Christine nach Hause kam, fühlte sie sich rundherum zufrieden. Auch Daniel hatte einen schönen Tag verbracht, wie er ihr sofort mitteilte, als sie ihm die Tür öffnete.
»Morgen wollen wir zusammen hier spielen. Geht das?«
»Natürlich geht das. Und wenn ihr Lust habt, hole ich Pommes und Hähnchen.«
»Ach, Mama, du bist echt super!«
Er umarmte sie kurz und lief dann in sein Zimmer, um sich noch eine Weile mit seinen eigenen Spielsachen zu beschäftigen, bevor er schlafen mußte.
Um neun klingelte das Telefon.
»Christine? Können wir uns morgen mal sehen?«
»Suse…, ja, warum nicht?«
Nur nicht gleich zuviel Begeisterung zeigen. Wer wußte schon, was Suse ihr zu sagen hatte. Vielleicht rollte sie alle Vorwürfe noch einmal auf, um sich wenigstens vor sich selbst zu rechtfertigen.
»Dann kommst du her?«
»Nein, Daniel spielt morgen mit einem Freund hier. Komm du doch. Wann du willst, ich bin zu Hause.«
»Gut. Dann so gegen frühen Nachmittag.«
Es gab immer noch Überraschungen.
*
Mit Suse versöhnte sich Christine wieder. Es war ganz leicht, denn ihre Freundin hatte sie offensichtlich ebenso vermißt wie Christine Suse. Ihre Welt war wieder überschaubar geworden, dachte Christine.
Die nächste Katastrophe kam aus einer ganz anderen Ecke. Ihr Chef verunglückte im Urlaub. Der Anruf kam Mitte der folgenden Woche, nachdem sie gerade eine Karte erhalten hatten, wie gut es ihm und seiner Frau gefiel, einfach mal faul zu sein.
Frau Fellhaber teilte Christine weinend mit, daß ihr Mann sich das Rückgrat angebrochen habe und nur äußerst knapp einer Querschnittslähmung entgangen sei.
Er dürfte nicht transportiert werden und mache sich natürlich große Sorgen um die Kanzlei.
»Er bittet sie, erst einmal alle Geschäfte zu übernehmen. Ihnen traut er es nicht nur zu, er vertraut Ihnen auch vollständig. Können Sie das einrichten?«
Christine wußte nicht, was sie antworten sollte. Es bedeutete nichts anderes, als von jetzt an gleich ganztags zu arbeiten, denn halbtags war es nicht zu schaffen, auch nicht mit Tobias’ Hilfe.
»Ich muß mich erst um einen Platz für meinen Sohn kümmern, aber ich denke, das werde ich irgendwie hinbekommen…«
»Bitte, versuchen Sie, was möglich ist. Etwaige Kosten für eine Tagesmutter übernehmen wir. Ich möchte nicht, daß mein Mann sich Sorgen machen muß. Sie wissen doch, wie er ist.«
Ja, das wußte Christine. Die Kanzlei war sein Kind.
»Kann ich Sie erreichen?«
»Ich gebe Ihnen die Nummer des Hotels, in dem ich wohne. Dort erreichen Sie mich jeden Abend und morgens zwischen acht und neun. Die restliche Zeit verbringe ich in der Klinik. Hätte ich nur nie einen Urlaub machen wollen…«
»Aber das konnten Sie doch nicht ahnen. Und Ihr Mann hat wirklich sehr viel gearbeitet.«
»Ja, das stimmt sicher. Na ja, ich muß dankbar sein, wenn er wieder gesund wird. Man kümmert sich gut um ihn.«
»Um Sie hoffentlich auch?«
»Nett, daß Sie das sagen. Doch ja, ich bin zufrieden.«
Christine wußte nicht, was sie nun zuerst machen sollte. Erst einmal informierte sie die anderen Mitarbeiter. Tobias versprach, so lange zu bleiben, wie sie ihn brauchte. Sie war ziemlich sicher, daß er sich schon ausrechnete, die Kanzlei vielleicht übernehmen zu können.
Er war ein junger Mann, der genau wußte, was er wollte. Seine Verlobte kam aus einer wohlhabenden Familie. Aber da sie selbst kein Interesse hatte, sich selbständig zu machen, war es ihr gleichgültig.
Mit Dr. Fellhaber zu arbeiten, war in Ordnung. Und der wäre derjenige, der die Entscheidungen traf. Das könnte er auch vom Krankenbett aus, wenn das nötig sein sollte.
»Ich werde jetzt erst einmal alle Geschäfte führen müssen. Dr. Fellhaber möchte es so. Aber das werden wir bestimmt noch schriftlich bekommen.«
»Ganz bestimmt sogar. Ein Wunder, daß noch kein Fax da ist«, stimmte die Sekretärin zu. Dr. Fellhaber machte alles schriftlich, er liebte Memos und kleine Zettel ebenso wie notariell beglaubigte Schreiben.
»Und nun muß ich für heute einen Termin absagen, weil ich mich um einen Platz für meinen Sohn kümmern muß. Oder haben Sie Zeit, den Mandanten zu übernehmen, Tobias?«
»Ja, klar. Kann ich machen.«
Christine war in einer Zwickmühle. Ihre Mutter wäre sicher sofort bereit, Daniel zu nehmen, wie sie wußte. Aber das wäre ihre letzte Lösung. Bisher hatten sie noch nicht wieder zusammen gesprochen.
Sie packte ihre Sachen zusammen und fuhr erst einmal nach Hause. Nach mehreren Telefonaten wußte Christine, daß weder die eine Mutter von Daniels Freund noch die andere bereit war, Daniel mehr als einen Tag in der Woche zu betreuen. Es war auch nur ein Versuch gewesen, doch selbst das angebotene Geld konnte die beiden Mütter nicht verlocken.
Die eine versprach jedoch, einzuspringen, wenn Not am Mann war.
Der Kindergarten, bei dem Daniel nun schon so lange angemeldet war, hatte immer noch keinen Platz frei, auch nicht in dieser Situation.