Gabriele Reuter – Gesammelte Werke. Gabriele Reuter

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lei­den­dem Aus­druck in den blas­sen Ge­sicht­chen. Aber al­les war hell und sau­ber, die Bett­chen so schne­eig – es mach­te doch einen trau­li­chen Ein­druck. Als Schwes­ter Mimi ein­trat, wen­de­ten sich alle die Köpf­chen ihr zu. Un­ge­dul­di­ge Stimm­chen rie­fen ih­ren Na­men. Sie ging von Rei­he zu Rei­he, mit ei­nem be­hag­li­chen Froh­sinn aus ih­ren großen Zü­gen un­ter der steif­ge­stärk­ten Hau­be. Sie scherz­te hier, straf­te lus­tig dort – Aga­the be­nei­de­te sie als fried­li­che Herr­sche­rin hier in die­sem Reich der Krank­heit und des To­des.

      Sich über­win­den – glück­lich sein mit an­de­ren – bis zur Selbst­ver­ges­sen­heit – bis zur Selbst­ver­nich­tung – das ist das Ein­zi­ge – das Wah­re!

      Und sie ver­teil­te alle ihre lie­ben An­den­ken un­ter die ar­men, ge­plag­ten Kin­der des Vol­kes, sie spaß­te und spiel­te mit ih­nen. Da war ein klei­nes Mäd­chen – häss­lich wie ein brau­nes Äff­chen, aber vol­ler Le­ben­dig­keit, wie das die arme ver­blass­te Prin­zes­sin Hol­de­wi­na in ih­rem Bett­chen Pur­zel­bäu­me schla­gen ließ – nein, das war zu ko­misch! Aga­the ver­fiel in ein lau­tes La­chen – sie lach­te und lach­te …

      »Aber Aga­the, rege mei­ne Kin­der nicht auf«, mahn­te die ru­hi­ge Mimi. Aga­the woll­te sich zu­sam­men­neh­men – die Trä­nen quol­len ihr aus den Au­gen – das La­chen tat ihr weh, es schüt­tel­te sie wie ein Krampf – die Klei­nen blick­ten furcht­sam nach ihr, die Töne, die sie aus­stieß, wa­ren fern von Fröh­lich­keit.

      Mimi nahm sie am Arm und trug sie fast hin­aus. Sie öff­ne­te ein Fens­ter und pfleg­te Aga­the sorg­sam und mit Be­dacht, bis die­se sich end­lich be­ru­hig­te und zu Tode er­schöpft auf Mi­mis La­ger ruh­te.

      »Ar­mes Kind«, sag­te Mimi mit ih­rer über­le­ge­nen Güte, »Du musst et­was für Dich tun. Du bist sehr über­reizt.«

      XII.

      Der Re­gie­rungs­rat Heid­ling hör­te von al­len Sei­ten, dass sei­ne Toch­ter sich durch­aus eine Er­ho­lung gön­nen müs­se. Er selbst hat­te nichts der­glei­chen be­merkt, sie war ja doch nicht krank und tat ihre Pf­licht. Aber da der Haus­arzt es auch mein­te, so soll­te na­tür­lich et­was ge­sche­hen. Ihm wür­de ein we­nig Zer­streu­ung auch wohl­tä­tig sein. Er ver­miss­te sei­ne arme Frau mit je­dem Tage mehr. Aga­the gab sich ja alle Mühe – aber die Frau konn­te ihm so ein jun­ges Mäd­chen ja doch nicht er­set­zen. Sei­ne Ge­wohn­hei­ten wa­ren trost­los ge­stört.

      So reis­te er denn mit Aga­the nach der Schweiz.

      Auf dem Wege be­such­ten sie Wo­szens­kis für ein paar Stun­den. Sie la­gen noch, im­mer in har­tem Kampf mit der Tücke, der Häss­lich­keit und Dumm­heit ih­rer le­ben­den und to­ten Um­ge­bung. Noch im­mer hin­der­ten bos­haf­te, mit selt­sa­men Ge­bre­chen des Lei­bes und Geis­tes Be­haf­te­te Kö­chin­nen Frau von Wo­szen­ski am Ar­bei­ten. Noch im­mer wur­den auf dem Kunst­markt la­chen­de Ne­ger und gut fri­sier­te Jä­ger mehr be­gehrt als nacken­de Anacho­re­ten und ek­sta­ti­sche Non­nen. Noch im­mer war es ein Lei­den, dass Mi­chel nichts es­sen moch­te. Der Blöd­sinn sei­ner frü­he­ren Gym­na­si­al­leh­rer wur­de aber noch über­trof­fen von dem Stumpf­sinn der Aka­de­mie­pro­fes­so­ren, un­ter de­nen er jetzt stu­dier­te. Noch im­mer hat­te Herr von Wo­szen­ski die ba­rocks­ten Plä­ne und Ein­fäl­le, und noch im­mer fehlt es ihm an Stim­mung zu ih­rer Aus­füh­rung.

      Sein lan­ger Bart und das wir­re Haar wa­ren er­graut, die Ad­ler­na­se trat noch schär­fer her­vor, die blau­en Au­gen sa­hen aus tie­fen Höh­len schwer­mü­tig in die när­ri­sche Welt. Mehr als je glich er sei­nen von wun­der­li­chen Vi­sio­nen heim­ge­such­ten Anacho­re­ten.

      Als Aga­the auf dem mit ei­nem ver­schos­se­nen per­si­schen Tep­pich be­deck­ten Di­van saß, ihre Bli­cke über die bunt­be­mal­ten, stei­fen Kir­chen­hei­li­gen, die dunklen Ra­die­run­gen an den Wän­den und die gel­ben Ein­bän­de fran­zö­si­scher Ro­ma­ne auf den ge­schnitz­ten Stüh­len glit­ten, als sie den schar­fen des Ter­pen­tin und der ägyp­ti­schen Zi­ga­ret­ten in der Woh­nung spür­te, war es ihr zu Mut, als keh­re sie aus ei­ner sehr lan­gen, öden und ge­halt­lo­sen Ver­ban­nungs­zeit in ihre Hei­mat zu­rück.

      Aber es war Tor­heit, sich dem hin­zu­ge­ben. Sie muss­te noch an dem­sel­ben Abend wie­der Ab­schied neh­men. Und sie konn­te so tie­fe Emp­fin­dun­gen, wie sie sie einst in die­sem Hau­se durch­lebt, jetzt kaum noch in der Erin­ne­rung ver­tra­gen.

      Sie hör­te, dass Adri­an Lutz sich ver­hei­ra­tet habe mit ih­rer al­ten Pen­si­ons­ge­fähr­tin Klo­til­de, der Toch­ter des Ber­li­ner Schrift­stel­lers. Die Ehe war nicht glück­lich, – man sprach be­reits von Schei­dung. In Aga­the reg­te sich Ver­ach­tung und Wi­der­wil­len der wohl­er­zo­ge­nen Bür­ger­s­toch­ter ge­gen das Un­si­che­re, Schwei­fen­de sol­cher Künst­ler­exis­ten­zen. Eine ge­schie­de­ne Frau – hät­te es so ge­en­det, wenn sie die Sei­ne ge­wor­den wäre?

      Als Ma­ler habe Lutz bei wei­tem nicht er­reicht, was er einst ver­spro­chen. Sei­ne Schü­le­rin, Fräu­lein von Hen­ning, habe ihn förm­lich über­holt. »Das heißt – von Geist und Gra­zie hat die Per­son ja kei­nen Schim­mer«, sag­te Frau von Wo­szen­ski. »Aber die Ener­gie! Da­mit macht sie mehr, als hät­te sie Ta­lent! Stellt in Pa­ris im Sa­lon aus …«

      »Nun, Ta­lent hat sie doch auch«, mein­te Wo­szen­ski gü­tig.

      »Ach, mein Mann nimm­t’s mit den Da­men nicht so ge­nau«, rief Ma­rie­chen und lach­te scharf und laut.

      Aga­the be­merk­te wohl, dass ih­rem Va­ter die Art von Wo­szens­kis nicht sym­pa­thisch war. Wie soll­te sie auch.

      Sie frag­te, was aus dem Bil­de ge­wor­den sei, an dem Herr von Wo­szen­ski da­mals ar­bei­te­te – die Ek­sta­se der No­vi­ze. Ob er es ver­kauft habe.

      »Ach, ver­kauft! Ich ar­bei­te noch dar­an.«

      Er blick­te über die Bril­le nach­denk­lich auf Aga­the.

      »Wa­rum habe ich Sie nur da­mals nicht als Mo­dell ge­nom­men?«

      Er brach­te eine Far­benskiz­ze zu dem neu­en Ent­wurf. Es war im Lau­fe der Zeit ein völ­lig an­de­res Bild ge­wor­den.

      Statt des himm­li­schen Son­nen­sturm­win­des, der die üp­pi­ge rot und gol­de­ne Pracht des Hochal­tars wir­belnd be­weg­te und in dem Tau­sen­de von En­gels­köp­fen die nie­der­ge­sun­ke­ne Got­tes­braut se­lig-toll um­flat­ter­ten, glitt nun ein lei­chen­haf­tes, blau­es Mond­licht durch den Säu­len­gang ei­nes Klos­ters. In dem stil­len Geis­ter­schein schweb­te ein blei­ches Kind mit ei­ner Dor­nen­kro­ne zu ihr her­nie­der. Die Non­ne war nicht mehr das ro­si­ge Ge­schöpf, wel­ches den klei­nen Er­lö­ser in ih­ren Ar­men emp­fing und mit un­schul­dig strah­len­dem Lä­cheln an ihr Herz drück­te. Im Starr­krampf lag sie am Bo­den, die Arme steif aus­ge­streckt, als sei sie ans Kreuz ge­schla­gen – die ro­ten Wun­den­ma­le an der blas­sen Stirn und den wäch­ser­nen Hän­den.

      »Man ver­sucht eben auf man­cher­lei Wei­se aus­zu­drücken, was man meint«, sag­te Wo­szen­ski lei­se: »Mit den Jah­ren ver­än­dern sich da­bei die Ide­e­en.«

      Er seufz­te tief und stell­te die Lein­wand, die Aga­the schwei­gend und lan­ge be­trach­tet hat­te, bei­sei­te.

      »Mein


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