Dr. Norden Staffel 5 – Arztroman. Patricia Vandenberg
führe ich Selbstgespräche«, erklärte er und warf wütend die Schranktür zu. »Hin und wieder brauche ich nämlich einen kompetenten Gesprächspartner.«
Ehe die Ergotherapeutin den Sinn dieser Worte überhaupt erfasst hatte, war er an ihr vorbei aus dem Zimmer gelaufen. Er stürmte an verdutzten Patienten vorbei durch den Flur und hielt er erst wieder an, als ihm die kühle Luft des Spätherbstes ins Gesicht schlug. Irritiert hielt Felix inne und sah sich um. Ohne es zu bemerken, war er in den parkähnlichen Garten gelaufen. Erst jetzt bemerkte er, dass er außer Atem war. Die Hände in die Seiten gestemmt hielt er keuchend inne. Die kalte Luft kühlte seine überschäumenden Gefühle auf ein erträgliches Maß ab, und langsam begann Felix, im Garten auf und ab zu gehen.
Seine Mutter Felicitas, die am Fenster in ihrem Büro stand, bemerkte den jungen Mann, der unter blattlosen Bäumen rastlos seine Kreise zog. Sie ahnte, welche Sorgen ihn belasteten. Deshalb zögerte sie nicht und verließ ihr Büro, um ihm in dieser dunklen Stunde beizustehen.
»Felix, mein Lieber, ist alles in Ordnung?« Glücklicherweise hatte sie einen Mantel mitgenommen und schloss schnell die Knöpfe, ehe sich die unangenehme Kälte festbeißen konnte.
»Diese verdammten Gardinen! Warum hab ich mich nur von Lenni einlullen lassen? Warum hab ich mich nicht durchgesetzt?«, fragte Felix bitter. Erst jetzt drehte er sich zu seiner Mutter um. Sein verzweifelter Gesichtsausdruck erschreckte sie zutiefst. »Ich hab Angst, Mami!«
Fee konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wann ihr Zweitältester diese kindliche Anrede zum letzten Mal benutzt hatte. Früher völlig normal, war sie inzwischen ein Zeichen höchster Not.
»Du brauchst keine Angst zu haben, Felix«, sprach sie mit sanfter Stimme auf ihren Sohn ein und kam näher. »Wir wissen doch alle, wie stur Lenni sein kann. Niemand hat Schuld an diesem Unfall. Mal abgesehen davon, dass sie hier in den besten Händen ist.« Sie verriet nicht, dass sie sich mit diesen Worten selbst genauso zu trösten versuchte.
Felix schien ihre Gedanken zu erahnen.
»Lenni ist keine junge Frau mehr. Eine Operation in ihrem Alter ist bestimmt alles andere als ein Kinderspiel.« Seite an Seite wanderten Mutter und Sohn durch den schönen Garten, der selbst in dieser Jahreszeit in pittoresker Schönheit dalag.
»Ich weiß«, musste Fee seufzend eingestehen. Sie haderte mit sich, ob sie Felix von Lennis Herzproblemen erzählen sollte, und entschied sich schließlich dafür. Früher oder später würde er es ohnehin erfahren. »Dein Vater hat heute herausgefunden, dass die Schwindelanfälle von Herzproblemen herrühren.«
Abrupt blieb Felix stehen und starrte seine Mutter entgeistert an.
»Lenni hat Herzprobleme? Warum haben wir nie was davon mitbekommen?«
»Offenbar hat sie ein ungeahntes schauspielerisches Talent.« Ratlos zuckte Felicitas mit den Schultern. »Aber dein Dad und alle anderen Ärzte werden alles in ihrer Macht Stehende tun, damit sie wieder gesund wird«, versicherte sie noch einmal.
»Und wenn das nicht genügt?«, fragte Felix hoffnungslos zurück.
Doch daran wollte Fee noch nicht einmal ansatzweise denken.
»Du wirst sehen: Bald schwingt Lenni im Haus wieder das Zepter wie eh und je und wird sich nichts vorschreiben lassen«, versprach sie ,und ihre Worte klangen fast wie eine Beschwörung.
*
Die Nachricht von Lennis Unfall verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der Familie Norden. Schon am Nachmittag hatten sich sämtliche Familienmitglieder vor dem Krankenzimmer versammelt und warteten auf Daniels Signal, hereinkommen zu dürfen.
Endlich öffnete sich die Tür, und sein skeptischer Blick glitt über die Köpfe seiner Lieben.
»Ich bin mir nicht sicher, ob das nicht zu viel Besuch auf einmal ist«, bemerkte er.
»Mensch, Papi, Lenni erschrickt eher, wenn nur ein paar von uns auflaufen«, bemerkte Janni. »Dann macht sie sich gleich Sorgen, dass einem von uns was passiert ist.«
»Stimmt auch wieder«, gab Dr. Norden sich dieser Argumentation geschlagen. »Aber bitte seid so leise wie möglich. Auf keinen Fall dürfen alle durcheinander reden. Immer einer nach dem anderen…«
»Entschuldige, aber das ist nicht der erste Krankenbesuch, den wir gemeinsam machen«, erinnerte Danny seinen Vater lächelnd an die unabänderlichen Tatsachen.
Daniel seufzte.
»Natürlich nicht. Tut mir leid, aber ich bin tatsächlich ein bisschen nervös«, gestand er und ließ seine Familie eintreten.
Auf diesen Moment schien Lenni offenbar schon gewartet zu haben. Als ihre Lieben so zahlreich im Krankenzimmer auftauchten, lächelte sie zufrieden.
»Da seid ihr ja endlich!«
»Du Ärmste, wie geht es dir? Ich hab mir solche Sorgen um dich gemacht.«
»Hast du noch große Schmerzen?«
»Wir sollten die Gardinen einfach abschaffen!«
Während Lenni die Liebesbezeugungen und Beileidsbekundungen über sich ergehen ließ, lächelte sie noch mehr. Alle redeten durcheinander, und Daniel Norden schickte seiner Frau einen ratlosen Blick. Felicitas lächelte sichtlich belustigt zurück.
»Tut dir noch was weh?«, wiederholte Anneka geduldig ihre Frage, als sich der erste Trubel endlich gelegt hatte.
Tapfer winkte die Haushälterin ab.
»Ein bisschen, aber das wird schon wieder«, versprach sie fast feierlich. »Diese neumodischen Gelenke sind so fantastisch, dass man sogar einen Marathon damit laufen kann.«
»Seit wann machst du denn Sport?«, entfuhr es Dési.
Lenni zwinkerte ihr belustigt zu.
»Noch nicht. Aber vielleicht fang ich dann damit an.«
»Damit werden Sie wohl noch eine Weile warten müssen«, wollte Daniel die Erwartungen nicht zu hoch schrauben. »Nach der Operation werden Sie noch eine Weile hier bleiben, bevor Sie zu Johannes und Anne in Reha gehen können.«
»Auf die Insel der Hoffnung wollte ich schon immer mal als Patientin«, zeigte sich Lenni durchaus begeistert von diesem Plan. Das Sanatorium, das Fees Vater gemeinsam mit seiner zweiten Frau Anne auf der romantischen Halbsinsel betrieb, war ein fast magischer Ort. Bei vielen Patienten hatte der Aufenthalt dort schon wahre Wunder bewirkt. »Aber Gymnastik muss ich da nicht machen, oder?«, erkundigte sie sich vorsorglich.
Doch das konnte und wollte Dr. Norden seiner Haushälterin nicht versprechen, wusste er doch um die heilende Wirkung moderater Bewegung.
»Sie werden schön brav das ganze Programm absolvieren, das die Therapeuten von Ihnen verlangen.«
»Schließlich müssen Sie wieder trittsicher sein, wenn Sie nach Hause kommen«, ergänzte Fee. »Wie ich Sie kenne, lassen Sie sich ja doch nicht davon abhalten, wieder auf Leitern zu klettern«, sagte sie Lenni auf den Kopf zu.
Alle lachten. Nur Lennis Miene wurde plötzlich ernst.
»Du liebe Zeit, was ist denn eigentlich mit den Gardinen passiert?«, wandte sie sich sichtlich besorgt an Felix. »Sag bloß, dass sie noch feucht auf dem Boden liegen.«
Felix zuckte ratlos mit den Schultern.
»Keine Ahnung. Ich hab sie jedenfalls nicht aufgehoben. Wenn du dich recht erinnerst, hatte ich Wichtigeres zu tun.«
Doch Lenni hörte ihm schon gar nicht mehr zu.
»O je, o je«, jammerte sie. »Bestimmt bekommen sie Stockflecken. Was soll denn nur aus dem Haus werden, wenn ich wochenlang außer Gefecht gesetzt bin?«
»Bitte machen Sie sich darüber keine Sorgen. Gemeinsam bekommen wir das schon irgendwie hin, wenn auch nicht so perfekt wie Sie«, entschied sich Fee für eine diplomatische Antwort.
»Genau«, pflichtete Anneka ihrer