Toni der Hüttenwirt Paket 3 – Heimatroman. Friederike von Buchner
Alex! Wenn man des hier so sieht, dann kann man kaum glauben, dass da einer lebend und ohne größere Verletzungen herausgekommen ist«, sagte Martin mit einem Blick auf Fabian. »Wirst du dir einen neuen Wagen dieser Art kaufen?«
Fabian schüttelte den Kopf.
»Ich denke nicht! Sie sind für das Gelände eher ungeeignet. Ich werde wohl auf stabile Geländewagen umsteigen.«
»So?«, staunte Doktor Martin Engler. »Die sind aber für die Stadt weniger geeignet oder heißt des, dass du die Liebe zu den Bergen entdeckt hast?«
»Ja, so kannst du es sehen! Waldkogel gefällt mir gut. Es ist ein wunderbarer Ort mit freundlichen und hilfsbereiten Menschen. Kurz, mir gefällt es hier gut. Ich werde in Zukunft öfter herkommen.«
Doktor Martin Engler konnte ein Grinsen nicht unterdrücken.
»Des ist schön! Am besten, du gibst vorher Bescheid, dann setze ich die Feuerwehr und die Bergwacht schon mal in Alarmbereitschaft. Hallo, hier ist Martin! Ich will Alarm geben, Fabian ist auf dem Weg in die Berge! Bitte sämtliche Almhütten sichern!«, lachte Martin.
Fabian musste schmunzeln.
»Ich weiß schon, wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen«, sagte er lachend.
Dabei hielt er sich die Rippen.
»Hast du noch große Schmerzen, Fabian? Ich könnte dir eine Spritze geben.«
»Ja, ich habe Schmerzen, aber es geht noch. Ich habe Angst vor deinen Spitzen. Ich will nicht wieder schlafen! Ich muss mich hier um die Sache kümmern. Das ist mir im Augenblick am Wichtigsten, Martin.«
»Bist mir schon ein Held, Fabian! Hast auch viel Glück gehabt. Dazu kam, dass du sportlich gut durchtrainiert bist, sonst wäre dein Abenteuer anders ausgegangen.«
»Aber dem Sport habe ich für die nächsten Wochen abgesagt. Bin froh, wenn ich mich nicht mehr als unbedingt nötig bewegen muss. Was ich bräuchte, wäre ein Wundermittel.«
Martin lachte.
»Ich bin Doktor der Medizin und kein Wunderheiler! Aber so ein Wundermittel gibt es wirklich! Wir haben hier in Waldkogel die alte Ella Waldner, die wir liebevoll und mit viel Respekt als unsere Kräuterhexe bezeichnen. Sie lebt in einer Kate im Wald und stellt Tees, Tinkturen und Salben aus allerlei Kräutern her. Ich kann dir nicht sagen, was sie hineinmischt. Ich kann dir nur sagen, dass Ellas geheimnisvolle Kräutermedizin schon oft wahre Wunder vollbracht hat. Wenn du ganz lieb zu der Alexandra bist, dann besorgt sie dir vielleicht eine Dose mit dem Kräuterbalsam. Ich weiß zum Beispiel, dass die Hilda von der Oberländer Alm immer Kräuterbalsam vorrätig hat.«
Fabian warf Alexandra einen Blick zu. Er wagte es aber nicht, sie zu fragen.
Das Holz war oben am Milchpfad vom Lastwagen abgeladen worden. Das war gut, denn der Tieflader mit der Wohneinheit quälte sich im Schneckentempo den Berg hinauf, gefolgt von einem Kran. Es dauerte dann doch noch gut zwei Stunden, bis die Wohneinheit aufgestellt war.
»Hier bitte, Alexandra! Hier ist der Schlüssel!«
Fabian reichte ihr den Schlüsselbund.
»Danke!«
Alexandra schloss die Tür auf und schaute sich die Räume an. Sie kam wieder heraus.
»Gut!«, sagte sie knapp.
Dann gab sie den Wohncontainer zur Besichtigung frei. Dabei stand sie neben der Eingangstür und achtete darauf, dass sich die Männer auch sorgfältig die Schuhe säuberten.
Danach halfen alle bis auf Fabian mit, Alexandras Sachen herüberzutragen. Die Sonne stand mittlerweile tief über den Bergen, und man beschloss an diesem Abend, nicht mehr mit der Reparatur der Almhütte zu beginnen.
Alle stiegen in ihre Autos und fuhren davon. Nur Fabian blieb zurück. Alexandra sah ihm an, wie er die Zähne zusammenbiss. Die Prellungen schmerzten wohl sehr. Alexandra nahm ihr Handy und rief Anna auf der Berghütte an. Sie erfuhr, dass sie später kommen wollte. Alex bat Anna, etwas von dem Kräuterbalsam mitzubringen.
Dann machte sich Alexandra ans Einräumen. Fabian stand immer noch auf der Wiese vor dem Container. Alex schnappte sich einen Stuhl und trug ihn hinaus.
»Hier, setz dich! Du kannst dich ja kaum noch auf den Beinen halten!«
»Danke«, sagte er leise.
Fabian sank auf den Stuhl und wischte sich mit dem Taschentuch die Schweißperlen von der Stirn. Es dauerte nicht lange, dann hatte Alexandra die nötigsten Sachen verstaut. Sie kam heraus und griff sich ihre beschädigten Bilder, die auf der Wiese neben der Tür aufgestapelt waren.
Fabian räusperte sich.
»Es tut mir leid, das mit deinen Bildern! Malst du nur aus Hobby oder ist es dein Beruf?«
»Malen war mein Lebenstraum! Ich hatte Glück, und mir gelang es, einen Beruf daraus zu machen. Aber sicher ist er nicht. Wenn sich der Kunstgeschmack ändert, dann kann Malen schnell zu einer brotlosen Kunst werden. Aber im Augenblick geht es ganz gut! Ich bin zufrieden. Zufriedenheit ist für mich wichtig. Sicher kann man immer mehr wollen. Es ist auch gut, Ziele zu haben. Ich hatte ein Ziel. Ich wollte malen, und das habe ich erreicht. Deshalb bin ich zufrieden. Nicht jeder kann das verstehen.«
Fabians Herz fing an zu klopfen. Er wagte kaum etwas zu sagen. Das war das erste Mal, dass Alexandra sich ganz normal mit mir unterhalten hat, dachte er. Wie wunderbar ihre Stimme klingt und wie ungekünstelt sie über ihr Leben spricht. Wie bodenständig sie ist. Er war von ihr noch mehr fasziniert.
»Deine Bilder sind sehr schön! Darf ich sie mir alle ansehen?«
Fabian versuchte aufzustehen. Alexandra sah, wie viel Mühe es ihm machte.
»Bleib sitzen! Schone dich! Ich lehne die Bilder an die Außenwand des Containers. Das Licht ist zwar nicht mehr so gut, bald wird es dunkel, aber etwas kannst du noch sehen. Sie sind auch nicht alle beschädigt. Ich meine, so schwer beschädigt, dass ich sie wegwerfen muss.«
»Du willst sie entsorgen? Schade! Kann man da nichts machen? Ich kann sie für dich zu einem Restaurator bringen lassen.«
»Sonst noch etwas? So wertvoll sind sie nicht!« Alexandra spielte den Wert herunter. »Ich behalte sie. Vielleicht mache ich kleinere Bilder daraus. Es sind Auftragsarbeiten. Ich werde sie neu malen. Es wird etwas Arbeit machen. Aber mache dir deswegen keine Gedanken. Ich komme damit schon klar. Was nicht zu ändern ist, muss man so annehmen und sich damit abfinden. Ich werde das beste daraus machen. Das mit der Restaurierung ist Unsinn! Also, ich sage ein klares Nein. Nur, dass du hinter meinem Rücken nicht wieder irgendetwas planst, verstanden? Ich will das nicht!«
Sie sah ihn an und sah seinen erstaunten Blick.
»Du meinst das ehrlich, wie? Wirklich?«, fragte Fabian unsicher.
Alexandra lachte. Sie schaute ihm in die Augen und sah seine Unsicherheit.
»Du bist nicht gewohnt, dass jemand ehrlich zu dir ist, wie?«
Fabian strich sich mit der Hand über die Rippen.
»Du hast es genau getroffen, Alex! In der Welt, aus der ich komme, ist vieles mehr Schein als Sein. Und meistens sind die Menschen auch etwas verlogen. Sie sagen es so und meinen etwas anderes. Das hast du gut erkannt.«
Fabian lächelte zaghaft.
»Vielleicht gibt es so etwas wie Schicksal! Jedenfalls ist es für mich schön, hier in Waldkogel zu sein. Das klingt vielleicht in deinen Ohren sonderbar. Aber trotz des Unfalls und all der Unannehmlichkeiten ist es hier schön, wirklich schön. Ich werde so lange in Waldkogel bleiben, wie es nur geht. Es kommt mir wie das Paradies vor. Es ist, als hätte sich eine Tür geöffnet und ich hätte ein Wunderland betreten dürfen.«
Alexandra schaute ihn ernst an. Sie blickte ihn lange an. Dann sagte sie leise:
»Es war keine Tür, Fabian! Es war eine Wand, eine ganze Wand. Es war die Wand meiner Almhütte!«