Automobile Reisen. Otto Julius Bierbaum
gewissermaßen. Die Spitze des Keiles bildet der Klappdeckel des Motors, dann kommt der Bock mit dem Lenkrad und den Einrichtungen zum Einstellen der drei Geschwindigkeiten und zum Bremsen, und schließlich, in gleicher Höhe mit dem Bock, aber die Lehne mit dem Verdeck etwas erhöht, der Doppelsitz für meine Frau und mich. Nun bitte ich Sie, mit nach hinten zu kommen. Was Sie da sehen, dieses Stahlgestänge mit Riemen, ist bestimmt, einen großen Koffer zu halten. Dafür war eigentlich nichts ordentliches da, denn das dafür bestimmte Brettchen hätte kaum genügt, den Hutschachteln meiner Frau zur Unterlage zu dienen. Man denkt eben im allgemeinen beim Bau der Laufwagen noch nicht an die Bedürfnisse größerer Reisen. So waren wir auch genötigt, den Sitz neben dem Führer zur Aufnahme weiterer Koffer adaptieren zu lassen. Das Verdeck ist, wie Sie sehen, auch nicht eigentlich reisemäßig. Es schützt zwar gegen Nässe von oben, von den Seiten und von hinten, – wenn aber der Regen rücksichtslos genug ist, von vorne zu kommen, (was bei der »dritten Geschwindigkeit« die Regel sein dürfte), so werden wir ihm auf Gnade und Ungnade ausgeliefert sein. – Werden wir? Nein, wir werden nicht! Denn, sehen Sie sich, bitte, dieses Lederpaket an! Es ist eine ingeniös erfundene Vorderplane mit zwei Guckfenstern. Diese werden wir uns vorknöpfen, wenn das Wetter grob wird. – Und wenns die Sonne zu gut meint? Dann, mein Herr, bleibt vom Regendach nur der obere Teil und das Gestänge übrig, während die andern Bestandteile hinauf gerollt werden. Sie sehen, wir Sybariten haben an alles gedacht. Nur ein Schutzglas gegen den Luftzug haben wir nicht, weil man uns gesagt hat, es habe allerlei Nachteile, klappere gerne und sei alle Augenblicke voll Staub. Meine Frau möchte aber auf der Reise nicht Staub wischen, und ich habe eine Aversion gegen klappernde Fenster.
Nun möchten Sie auch wissen, wie wir selber uns equipieren. – Das ist eine Sache, über die ich mit keinem geringeren als Herrn Hoffmann in der Friedrichstraße konferiert habe, demselben Kleiderkonstrukteur, der den Grafen Waldersee, als er gen China zog, mit Kaki versehen hat. Sie finden, das sei Größenwahn? Gewiß, unserer Expedition ist nicht so kriegerisch und überseeisch wie die des Weltmarschalls, aber ich habe immer bemerkt, daß, wenn einer Automobil fährt, beträchtliche Veränderungen in seiner Garderobe vor sich gehen. Er kleidet sich in Leder, wendet das Fell des Pelzes nach außen, setzt sich eine Maske und eine gigantische Mütze auf, – kurz, jedes Kleidungsstück ruft laut und vernehmlich: Töff! Töff! Auch Herr Hoffmann hatte mit mir weitgehende schneiderische Metamorphosen vor, aber er zeigte dabei zu sehr die Tendenz, mich gegen die Unbilden des sibirischen Wetters auszurüsten, als daß ich, der ich mehr nach Süden strebe, mich gänzlich hätte anschließen können. Zwar war es verlockend, die Haare einer glänzenden schwarzen Ziege oder junger Pferde nach außen zu tragen oder sich ganz in schwarzes Wichsleder zu hüllen, aber wir widerstanden dem Versucher. Wir beschränkten uns auf 1. ein Paar wasserdichte, aber sehr dünne Mäntel, die also gleichzeitig gegen Regen und Staub schützen sollen; 2. ein Sportkleid für meine Frau, kurzer Rockrand, Jacke, 3. einen Sportanzug für mich, Pumphosen und Joppe, 4. ein rohseidenes Kleid für meine Frau; 5. einen weißleinenen Anzug für mich; 6. zwei braunlederne Mützen; 7. ein Paar hohe Stiefel für meine Frau; 8. ein Paar hohe Stiefel für mich. Sie sehen, es ist Bedacht darauf genommen, daß wir es sowohl mit der Kälte vor, wie mit der Hitze nach dem Brenner aufnehmen können. Unsere gewöhnlichen Wintermäntel nehmen wir natürlich auch mit, und mein großer Koffer ist dazu bestimmt, Wäsche und Straßen- wie Gesellschaftskleider für drei Monate zu beherbergen. Außer ihm werden wir folgendes gen Süden schleppen: einen großen Handkoffer meiner Frau; einen großen Handkoffer für die »Effekten« bei kurzem Aufenthalt; einen Toilettenkoffer; einen Speisekorb mit Geschirr; eine Schirm- und Stocktasche; eine Gummibadewanne; drei Reisedecken. – Heiliger Himmel, – welch eine Bagage! Was hat man von seinem Kulturmenschentum? Eine Garnitur Koffer. Aber welche Wollust liegt in dem Gedanken: wir werden sie nie »aufzugeben« brauchen!
Überhaupt: eine wollüstige Perspektive! Wir werden nie von der Angst geplagt werden, daß wir einen Zug versäumen könnten. Wir werden nie nach dem Packträger schreien, nie nachzählen müssen: eins, zwei, drei, vier – hat er alles? Herrgott, die Hutschachtel! Sind auch die Schirme da? Wir werden nie Gefahr laufen, mit unausstehlichen Menschen in ein Kupee gesperrt zu werden, dessen Fenster auch bei drückender Hitze nicht geöffnet werden darf, wenn jemand mitfährt, der an Zug-Angst leidet. Wir werden keinen Ruß in die Lungen bekommen. (Aber Staub! Meinen Sie? Warten wir's ab!) Wir werden selber bestimmen, ob wir schnell oder langsam fahren, wo wir anhalten, wo wir ohne Aufenthalt durchfahren wollen. Wir werden ganze Tage lang in frischer, bewegter Luft sein. Wir werden nicht in gräulichen, furchtbaren Höhlen durch die Berge, sondern über die Berge wegfahren.
Kurz, mein Herr: Wir werden wirklich reisen und uns nicht transportieren lassen.
Reisen sage ich, nicht rasen. Denn das soll schließlich, um es kurz zu sagen, der Zweck der Übung sein: Wir wollen mit dem modernsten aller Fahrzeuge auf altmodische Weise reisen, und eben das wird das Neue an unserer Reise sein. Denn bisher hat man das Automobil fast ausschließlich zum Rasen und so gut wie gar nicht zum Reisen benützt.
Das Wesentliche des Reisens ist aber keineswegs die Schnelligkeit, sondern die Freiheit der Bewegung. Reisen ist das Vergnügen, in Bewegung zu sein, sich vom Alltäglichen seiner Umgebung zu entfernen und neue Eindrücke mit Genuß aufzunehmen. Der Reisende im Eisenbahnwagen vertauscht aber nur sein eignes Zimmer, das er allein besitzt, mit einer Mietskabine, an der jeder Quidam teil haben kann, und er gibt, statt Freiheit zu gewinnen, Freiheit auf. Der kilometerfressende »Automobilist« ist aber auch kein Reisender, sondern ein Maschinist. Das mag Verlockendes haben, wie jeder mit Lebensgefahr verbundene Sport, und ich begreife es, daß gerade die Reichsten der Reichen sich die Sensation gerne verschaffen, auf bisher noch nicht dagewesene Manier das Genick zu brechen. Aber mit der Kunst des Reisens hat das soviel zu tun, wie die Schnellmalerei mit der Kunst Böcklins.
Lerne zu reisen ohne zu rasen! heißt mein Spruch, und auch darum nenne ich das Automobil gerne Laufwagen. Denn es soll nach meinem Sinne kein Rasewagen sein. Und nun wollen wir sehen, ob das geht!
Den nächsten Brief sollen Sie bereits von unserer ersten Station aus erhalten.
Großenhain in Sachsen, den 10. April 1902.
Lustig wird man durch das Reisen im Laufwagen, lieber Freund, aber nicht schreiblustig. Daher nur ganz kurz: Wir sind um 11 Uhr in Berlin abgefahren, durchs Tempelhofer Feld hinaus über Zossen, Baruth, Luckau, Elsterwerda hierher, wo wir gegen ½7 Uhr angekommen sind. Bald langsam, bald schnell, fast immer mit Gegenwind kämpfend und sehr oft behindert durch die Notwendigkeit, auf unruhige Pferde Rücksicht zu nehmen, die instinktiv eine Antipathie gegen den Laufwagen haben, der bestimmt ist, sie im Amte der Beförderung von Menschen und Lasten abzulösen. Man muß alles lernen, auch die Kunst, an Pferden vorbeizukommen, ohne daß sie scheuen. – Unser Hauptinteresse bei dieser ersten Fahrt galt dem Wagen. Wir sind erstaunt, auf was für schlechten Wegen er sicher zu fahren imstande ist. Bei glatter, freier Bahn ist es wie ein Fliegen, und man begreift, daß der Sportsautomobilist schließlich nur das eine Interesse hat: die Schnelligkeit zu steigern.
Wir, die wir keine Sportsleute, sondern einfache Reisende sind, die nicht fahren, um irgend einen Rekord zu schlagen, sondern um möglichst viel und intim zu sehen, werden uns kaum dazu verlocken lassen, andauernd ein Gewalttempo einzuhalten, wenngleich wir streckenweise recht gern den Reiz genießen wollen, den es hat, im offenen Wagen auf schnurgerader, glatter Chaussee hast du nicht gesehen dahinzurollen. Es ist ein ganz eigenartiges Gefühl, das fast etwas Berauschendes hat, nur daß auf diesen Rausch kein Katzenjammer, sondern eine gesteigerte Lebensfrische folgt. – Da unsere Augen an den verstärkten Luftzug noch nicht gewöhnt sind, haben wir die großen Schutzbrillen benützt und gefunden, daß sie nicht halb so lästig sind, wie wir gedacht hatten.
Dresden, den 11. April 1902.
Heute sind wir à la Postkutsche gereist. Um zehn Uhr in Großenhain aufgebrochen und erst um fünf in Dresden angelangt – jeder Anfänger im Radfahren muß uns deshalb verachten.
Dafür haben wir aber recht viele schöne Dinge mit ruhigem Behagen