Automobile Reisen. Otto Julius Bierbaum

Automobile Reisen - Otto Julius Bierbaum


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Besuch der Albrechtsburg war die erste Prüfung unseres Adlerwagens auf seine Fähigkeit, größere Steigungen zu nehmen. Er hat sie glänzend bestanden. Wir fuhren durch steilen und engen Gassen Meißens bis vor das Tor des wundervollen alten Doms hinauf, nicht ohne einige Bänglichkeit unserseits, da wir uns vorstellten, in welchem Tempo es rückwärts hinunter gehen würde, wenn es dem Motor mitten in der Steigung einfallen sollte, zu versagen. Unser Führer, von dessen Tüchtigkeit wir schon jetzt vollkommen überzeugt sind, bemerkte unsere ungewissen Mienen und benutzte die Gelegenheit, uns alle die Sicherungsmittel auseinander zu setzen, die den Wagen sofort zum stehen zu bringen vermögen, wenn er bei Gefälle oder Steigung nach vorn oder hinten ins Rollen kommen sollte. Abgesehen davon, daß der Motor sofort abgestellt werden kann, kann auf dreifache Weise augenblicklich und scharf gebremst werden, und beim aufwärtsfahren werden außerdem zwei Rücklaufstreber unterhalb des Wagenkastens herabgelassen, die, zwei starke und spitze Eisen, sich in das Erdreich bohren, sobald der Wagen abwärts nach hinten ins Laufen kommt.

      Wir kamen uns fast wie Eindringlinge aus einer anderen Welt vor, als wir in den Domhof einfuhren, der von ehrwürdig schönen alten Bauten gebildet ist und um so ergreifender wirkt, wenn man, wie wir, ziemlich unvermittelt in ihn gestellt wird. Doch konnte unser Automobil verwandte Erscheinungen seiner Art begrüßen in Gestalt elektrischer Bogenlampen, die, Wahrzeichen unserer Zeit, an den alten Bauwerken angebracht sind. Sehr schön nehmen sie sich in dieser Nachbarschaft nicht aus, und wir schämten uns hier, angesichts dieser alten großen Kunst, ein wenig der ästhetischen Verarmung, in die wir geraten sind, wir Leute mit den Bogenlampen. Doch wäre es undankbar, unserer Zeit zu schmähen, wenn man eben im Automobil zur Albrechtsburg hinaufgefahren ist, und wir dürfen uns zum Glück, wenn wir auch bekennen müssen, daß wir auf dem Felde der Schönheit wie die arm gewordenen Enkel großer Herren der Vergangenheit sind, der Zuversicht getrösten, daß die reichen Aufsätze zu einem neuen Leben, die sich im Bezirke des Schönen zeigen, sicher bald Blüte und Frucht tragen werden. Wir haben jetzt, so gern wir auch in diesen Dingen das Wort »modern« gebrauchen, den Weg zu den großen Alten zurückgefunden, die wir nun aber nicht zu wiederholen, sondern von denen wir aufs neue auszugehen gedenken.

      Ich mußte, aber ohne Spott, lächeln, als ich in einer Ecke des alten Domes das Linienwerk eines Türgeviertschmuckes bemerkte, das ganz wie ein in Stein übertragenes Büchertitelornament von unserem Peter Behrens aussieht. – Nach diesem Labsal an alter deutscher Kunst freuten wir uns der Meisterin aller Künste, die, unbesorgt um den Ruf der Originalität, sich immer wiederholt und dennoch immer auf neue wie eine Offenbarung wirkt, da sie in der Tat die ewig eine Offenbarung ist: der Natur.

      Sie interessierte uns diesmal hauptsächlich in Gestalt des allerjüngsten Wildschweinnachwuchses von Moritzburg, allerliebster gescheckter Frischlinge, die gar nichts von der grimmigen Wüstheit ihrer borstigen Eltern haben. Diese könnten zum Fürchten sein (wie denn die alte deutsche Kunst dem Teufel gern einen Wildschweinskopf gab), wenn sie nicht wie hier, von dem ausschließlichen Interesse nach Atzung beseelt sind, und dies mit der Gewißheit, daß diesem Interesse zur bestimmten Stunde entgegengekommen wird. Sie übersahen uns durchaus und beschäftigten sich nur mit ihrer Mahlzeit, die aus rohen Kartoffeln mit Maiskörnern als Nachtisch bestand.

      Den Wildschweinen des Königs von Sachsen geht nichts ab, und das macht sie so gemütlich und zahm, daß sie eigentlich gar keinen Anspruch mehr darauf haben, wilde Schweine zu heißen. Die großen schönen Hirsche, die um die gleiche Zeit gefüttert werden, ihr Traktement aber abseits und in Krippen, nicht auf dem bloßen Boden, erhalten, betrugen sich wie vornehme Pensionäre, die mit einem Air von Gelangweiltheit entgegennehmen, was ihnen von Rechts wegen durch die Organe des Staates serviert wird. Um uns kümmerten sie sich noch weniger, als die borstigen Grunzer. Trotzdem wären wir gern noch länger Zeugen dieses vergnügten Geschäfts sorgloser Ernährung gewesen, wenn nicht ein leiser Regen begonnen hätte. Wir schlugen die Wagendecke hoch, fanden, daß es sich auf diese Weise auch bei Regen angenehm im Laufwagen fahren läßt, und rollten bald über die Karolabrücke nach Dresden-Altstadt.

      Teplitz in Böhmen, den 12. April 1902.

      Wenn Sie glauben, daß ich Ihnen heute von Dresden erzählen werde, so irren Sie sich. Noch ist uns das Spielzeug zu neu, als daß wir es einen Tag ruhen lassen könnten. Wir sind, ohne das schöne Dresden eines Blickes zu würdigen, heute bereits weiter gefahren, doch haben wir uns ein hübsches Andenken mitgenommen, das wir überdies auf der Reise wohl brauchen können: ein meißner Tafelservice mit Biedermeier-Rosen. Wer, wie ich, als Alkoholabstinenter auf Tee angewiesen ist, will ihn auch hübsch serviert bekommen. Sofort nach unserer Ankunft, kaum, daß wir uns umgekleidet und gewaschen haben, dampft die Teemaschine; die sorgsam in Watte verpackten Kannen und Tassen werden mit unendlicher Bangigkeit (»Du, hat es nicht eben geklirrt? Sicher ist etwas kaputt«) ausgewickelt, die chinesische Teebüchse giebt das nötige, wohlbemessene Quantum des göttlichen Krautes von Ceylon her, und ich habe das Vergnügen, wie zu Hause zu schreiben: die Schale mit dem goldbraunen Nasse neben mir.

      Wie das duftet! Wie das belebt! Eure Räusche, Knechte der gegohrenen Getränke, sind grobe Peitschenhiebe, die Striemen hinterlassen, während der Rausch aus dem Tee das Streicheln einer feinen, weichen, schönen Hand ist, die auch noch in der Erinnerung wohltut.

      Aber wie? kommt dieses mein freudige Lebensgefühl jetzt von diesem einen Schluck Tee? Kommt es nicht viel mehr vom – Automobil? – Ja, wenn es ein Rausch ist, der mich jetzt so heiter macht, so ist es der Bewegungsrausch.

      Nun werden Sie in Ihrem schnöden Herzen freilich denken: Eine recht bequeme Art, sich zu bewegen, wenn man für ein paar Stunden auf dem Polster eines Wagens Platz nimmt.

      Sie irren sich.

      Eine Bewegung wie Radfahren, eine Art Turnen ist es freilich nicht. Es ist vielmehr so wie bei den ingeniösen Apparaten des Schweden Zander, durch die man, wenn Sie die Güte haben, mir ein Wort zu gestatten, das wie ein Witz von Ihnen aussieht, geturnt wird. Was diese Erschütterungsmaschinen zu Wege bringen: diese gewisse innere Massage, das besorgt das Automobil mit seinem fortwährenden leisen Vibrieren. Es ist durchaus kein Stoßen, Rütteln, Schütteln, sondern ein sanftes fast unmerkbares Zittern. Steht der Wagen, so ist es am stärksten; je schneller er läuft, um so schwächer wird es. Die Wirkung auf den Körper ist bei mir durchaus angenehmer Natur; ich fühle mich nach einer etwa vier- bis fünfstündigen Fahrt im Laufwagen angenehm erfrischt, etwa so, wie ich mich fühle, wenn ich mich in einer Höhe von etwas mehr als 1000 Meter über Meer befinde.

      Die passive Bewegung durch das Laufwagenfahren ist es allerdings gewiß nicht allein, die diesen angenehmen Effekt hat, sondern es kommt der stundenlange Aufenthalt in frischer Luft, dieses Luftwellenbad hinzu, das wohl mehr als eine bloße Hautwirkung hat. Und schließlich darf auch die heilsame Entlastung des Gemütes nicht vergessen werden, dieses Reisegefühl der Freiheit und fortwährenden Befruchtung mit neuen Eindrücken. Gebe ich jedem dieser frei Faktoren ein Drittel des Verdienstes an dieser Steigerung des Gesundheitsgefühls, so bleibt doch bestehen, daß keiner der drei Faktoren fehlen dürfte, – und sie alle drei finden sich nur bei der Reise im Laufwagen in so glücklicher Dosierung vereint. Ganz junge oder besonders kraftvolle Leute, wie Sie, mein Freund und Meister in allen schönen Künsten des Leibes, können es ja billiger haben: auf Schusters Rappen oder dem Rade. Für uns andre aber, die mit Bäuchen gesegnet und auch sonst nicht ganz auf der Höhe physischer Leistungsfähigkeit sind, erfordert andauerndes Laufen und Radeln über weite Strecken zuviel Muskelenergie, und statt Erfrischung pflegen wir Abspannung oder Überreiztheit zu gewinnen. Für uns ist also das Laufwagenreisen das Wahre. Crede experto!

      Ich glaube, daß nicht einmal unbedingt schönes Wetter dazu nötig ist, doch ist das eine Zugabe, für die den Göttern Dank gebührt. Heute war sie uns in reichstem Maße zugemessen. Ein frischer sonniger Tag –:

      Kein Wölkchen, das am Himmel stund,

       Sonne und Wind im schönsten Bund,

       Das war ein Tag voll Güte.


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