Automobile Reisen. Otto Julius Bierbaum

Automobile Reisen - Otto Julius Bierbaum


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es war der erste Reisetag, der uns nicht ganz gefallen mochte, denn es ist fatal, in einem Wagen zu reisen, der nicht gleichmäßig, sondern ruckweise anzieht, dafür aber Flintenschüsse abgibt. Es klingt ja gefährlicher, als es ist, und man braucht sein Testament deswegen nicht zu machen, aber für empfindsame Reisende ist dieser kriegerische Lärm nicht die erwünschte Reisemusik. Wir ließen also zu verschiedenen Malen Halt machen, um der Zündung gut zuzureden, was Meister Riegel auch immer willig und mit Aufbietung aller seiner Kenntnisse und Fertigkeiten besorgte. Aber das ersehnte Pianissimo wurde nicht erreicht. Aus dem Schießen wurde ein Pusten und Husten, wie wenn der Motor verschleimt wäre, und das Töff-Töff wollte seinen normalen, zuversichtlichen Viertakt nicht wieder gewinnen. Wir kamen trotzdem gegen sechs Uhr in Salzburg an und waren froh, daß unsere Maschine wenigstens in der Stadt manierlicher wurde, denn wir hatten schon gefürchtet, sie würde, boshaft, wie Maschinen nun sind, mitten in den engen Gassen eine Kanonade eröffnen. Das alte berühmte Hotel zum »Goldenen Schiff«, in dem wir abstiegen, war offenbar auf Automobilbesuch nicht gefaßt; der Portier-Oberkellner wollte uns anfangs durchaus weiter weisen, bis wir ihm deutlich klar machten, daß wir uns darauf kaprizierten, gegenüber dem schönen Residenzbrunnen zu logieren – eine Kaprize, die jeder verzeihlich finden wird, der weiß, wie schön dieser Brunnen und der ganze Platz ist. Um dieser Lage willen verdient da sonst etwas wrak gewordene »Goldene Schiff« immer noch den Bädeker-Stern. Vom Glockenturm klang es, pünktlich wie immer, um 6 Uhr: »Blau blüht ein Blümelein«, die schönen Marmorpferde bliesen aus ihren Nüstern (die eben mit einer Bürste gereinigt wurden, so daß es aussah als würden den Ungetümen die Zähne geputzt) schönbogige Wasserstrahlen in das Becken; der Wachthornist gab eine Fanfare zum Besten – und nun fing es auch, damit wir bestimmt überzeugt wären, in Salzburg zu sein, leise zu regnen an. Was Wunder, daß wir in den Stiftskeller gingen, wo der Ruster Ausbruch noch immer so gut zu sein scheint wie damals, als ich ihn noch selber trinken durfte. Hier fällt es scher abstinent zu bleiben. – Den nächsten Tag haben wir uns in Salzburg und auf der Festung umgesehen, was immer ein Vergnügen ist, und wenn es auch noch so sehr salzburgerlt. Bei der Festung denkt man unwillkürlich an Gustave Doré und seine Zeichnungen zu Balzacs contes drôlatiques. Daß dies alles in Stein wirklich vorhanden und nicht bloß eine romantische Phantasie ist, nimmt immer wieder wunder. Moderne Festungen sind fester, mathematischer, planmäßiger und verhalten sich zu Hohensalzburg wie eine wissenschaftliche Abhandlung zu einem der gewaltigen, aber sprunghaft bewegten Versromane des Mittelalters. Diese alten Festungskünstler haben den Berg mit seinen zackigen, schroffen und höckerigen Wänden behandelt, wie ein Zahnkünstler von heute einen ruinösen Zahn behandelt: Alles ausgefüllt, verbunden, kompakt gemacht, bekrönt. – Und die Fürsterzbischöfe von Salzburg haben gut zugebissen mit diesem gewaltigen Malmzahn. In ruhigen Zeiten wohnten sie unten in dem Teile der Stadt, der eigentlich nichts ist als eine Ansammlung von Klöstern, Kapiteln, Kirchen; wenn es aber drüben in dem andern Stadtteile, wo die eng aneinander gedrängten, winkelhöfigen, hohen Bürgerhäuser stehen, unruhig wurde, krawallen und rebellieren wollte, dann machten sie sich, wie die Sage geht, durch einen unterirdischen Gang nach der Feste auf, von wo aus sie in der Lage waren, mit schönen, runden und schweren Steinkugeln zu argumentieren, davon man noch einige paar Haufen im Festungshof liegen sehen kann. Einmal ist ihnen eine ebenso steinerne Replik zu teil geworden, als die wildgewordenen Bauern ein Vorwerk der Festung besetzt hielten und Miene machten, der bischöflichen Gewalt den großen Zahn auszuziehen. Eine Erinnerung daran weist eine der schönen Säulen im Festsaale der Festung auf; sie wurde von so einer bäuerischen Kugel getroffen. Warum die Bauern schließlich doch unverrichteter Sache abgezogen sind, darüber ist eine kleine Geschichte überliefert. Sie lautet so: Die Bauern sahen ein, daß sie mit ihren Kanonen doch nichts ausrichten würden, und so beschlossen sie, den Erzbischof mitsamt seiner Festung auszuhungern, mutmaßend, daß der bischöfliche Viehvorrat bald aufgezehrt sein müsse. Aber Tag für Tag, wie lange sie auch lauerten, hörten sie aus der Veste des Feindes das Gebrüll von Stieren, und so sagten sie sich, daß auf den bischöflichen Hunger nicht zu rechnen sei, und zogen ab. Es waren aber keine Stiere, die da oben brüllten, sondern die riesige Baßpfeife der großen Orgel, die auch heute noch täglich mit ihren Weisen auf das Spiel des Glockenturms in der Stadt antwortet. Seit jener Zeit heißt diese Pfeife der Stier von Salzburg. Die Salzburger selber führen den Spottnamen der Stierwascher, was aber nicht mit dieser Orgelpfeife zusammenhängt. Vielmehr ist das eine der boshaften Geschichten im Stile der Schildbürgereien, wie sie unserer Vorväter gerne einander anhängten. Es heißt nämlich, daß die Salzburger einmal versucht hätten, einen schwarzen Stier weiß zu waschen, bei welchem Geschäfte sie eine so reichliche Menge Seife verbraucht hätten, daß die Salzach ganz weiß davon geworden sei, der Stier aber nicht. Die Salzburger, denen man damit offenbar zu Gemüte führen wollte, daß der Verstand ihre stärkste Seite nicht sei, rächten sich, indem sie die Geschichte fortsetzten und sagten, die Bayern hätten dieses weiße Wasser der Salzach für Milch genommen und ausgesoffen. Sie sehen, lieber Kamerad: die Deutschen haben sich von jeher gerne gegenseitig aufgezogen, und wenn sie sich nicht in den Haaren lagen, lagen sie sich wenigstens in den Zungen. (Eine Übung, die nebenbei gesagt, hier in München noch immer sehr im Schwange ist. Kaum, daß wir hier sind, hat sich schon ein Meer von Klatsch über uns ergossen. Sie kennen ja unser gutes München: wenn man ihm jetzt auch den Ruhm absprechen will, die Kunsthauptstadt des Reiches zu sein, – in der Kunst des Klatsches ist es ganz sicher an der Tête.) – Die alte Frau, die uns in der Festung herumführte, hat uns noch mehr solche Geschichten erzählt. Man sollte immer Frauen zu solchen Posten bestellen und nicht Männer, die meist ohne Liebe zur Sache ihre auswendig gelernten Geschichten herleiern. – Es versteht sich, daß wir Salzburg nicht verließen, ohne dem Mozarteum einen andächtigen Besuch zu machen, dem Hause, in dem der wunderbare Mann aufgewachsen ist, und in dem sich jetzt zwei Zimmer voll Mozartreliquien befinden, die man nicht ohne Rührung betrachten kann. Stehen doch hier zwei der Instrumente, an denen er komponiert hat, darunter das kleine Spinett, an dem die Zauberflöte entstanden ist. Auch seinen Schädel kann man hier sehen, den der Totengräber rettete, als das Grab demoliert wurde, das später nicht einmal seine Witwe aufzufinden vermochte, die mittlerweile zur Etatsrätin Nissen gewordene Konstanze – eine Frau, die der Liebe des Herrlichen leider nicht ganz wert gewesen zu sein scheint. Freilich hat sie sich als Etatsrätin Nissen materiell besser befunden denn als Frau k. k. Kammer-Kompositors-Gattin Mozart. Wolfgang Amadeus hinterließ ihr und den beiden Söhnen rund 60 Gulden Baargeld und an abgeschätzten Habschaften (Zimmereinrichtungen und dergleichen) 532 Gulden 9 Kreuzer, zusammen 592 Gulden 9 Kreuzer. Dieser Summe standen aber außer etwa 3000 Gulden unangemeldeter Schulden an dringenden Forderungen 918 Gulden 16 Kreuzer gegenüber, so daß ein ungedeckter Rest von 326 Gulden 7 Kreuzer verblieb... Und Mozart hatte 626 Werke geschaffen... Solche Daten sollte man dem braven Volksfreund Eugen Richter, der ja auf Zahlen etwas gibt, vorhalten, wenn er sich dagegen sperrt, daß schaffende Künstler nicht bloß »Ruhm« (ach Gott!), sondern auch klingende Münze bekommen. – Die Fahrt von Salzburg nach München (135 Kilometer) haben wir in 5½ Stunden zurückgelegt dank der vorzüglichen Straße von Freilassing bis München, die, da es Sonntag war, zudem auch keinen Fuhrverkehr hatte, so daß wir schlankweg fahren konnten. Auffallend war uns der Unterschied zwischen der salzburgischen und bayerischen Bevölkerung. Andere Tracht, anderes Gehaben. Der salzburgischen Bevölkerung haftet etwas Weiches, Gelecktes an – das Jahrhunderte lange Wohnen unterm Krummstabe hat den Charakter beeinträchtigt; die Bayern treten fester, bewußter einher und sehen ganz nach ihrer Landschaft aus, die nicht so ergiebig ist. Wald und Weideland, nadelholzdunkel, nicht gerade streng, aber derb. – Schön liegt Wasserburg am Inn, eine durchaus altertümliche Stadt, hinter der man unwillkürlich eine kriegerische Vergangenheit sucht. Die Hochebene, durch die man nach München gelangt, ist nicht sehr reizvoll und macht den Eindruck spröden Bodens, der das Wenige, das er vermag, nicht gern hergibt. Das Wahlzeichen Münchens, die beiden haubenbedeckten Türme der Frauenkirche, werden sehr bald sichtbar. In der Vorstadt Haidhausen, durch die man einfährt, stehen noch ein paar jener in einer Großstadt sehr auffälligen einstöckigen Bauernhäuser mit Holzaltanen, die uns heute noch einen Begriff vom Aussehen der alten Städte mit ihren äußeren Teilen geben können und, soviel sich hygienisch gegen sie einwenden lassen mag, immerhin hübscher und heimlicher sind, als die abscheulichen Mietkasernen der modernen Vorstädte. Sie, lieber Kamerad, haben gleich mir noch mehr davon gesehen, z. B. im Lechel; das ist aber nun auch schön gemacht, – schön und langweilig. – Den Eingang zum Bayerischen Hof, wo wir abstiegen,
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