Auferstehung. Лев Толстой

Auferstehung - Лев Толстой


Скачать книгу
Staatsrat J. M. Nikisoroff?«

      »Hier!« versetzte die wichtige Persönlichkeit, die alle Prozesse aus dem Ff. kannte.

      »Oberst a. D. Iwan Semenowitsch Iwanoff?«

      »Hier!« antwortete der Mann in der Uniform.

      »Der Kaufmann zweiter Gilde Peter Baklaschoff?«

      »Anwesend!« versetzte der joviale Kaufmann und blickte die ganze Gesellschaft mit freundlichem Lächeln an. »Ich bin bereit!«

      »Der Gardehauptmann Fürst Dimitri Nechludoff?«

      »Hier!« sagte Nechludoff.

      Der Nuntius verneigte sich mit einem Gemisch von Unterwürfigkeit und Liebenswürdigkeit, als wollte er Nechludoff dadurch vor den übrigen Geschworenen auszeichnen. Dann setzte er die Aufzählung fort:

      »Der Hauptmann Georg Dimitrijewitsch Dantschenko? Der Kaufmann Gregor Efimowitsch Kuletschoff u.s.w. u.s.w.«

      Alle Geschworenen waren anwesend, bis auf zwei.

      »Und nun, meine Herren, haben Sie die Güte, in den Schwurgerichtssaal hineinzugehen!« sagte der Nuntius und zeigte mit einladender Miene auf die Thür.

      Alle setzten sich in Bewegung und verließen den Saal; ein jeder trat höflich vor der Thür beiseite, um seinen Kollegen durchzulassen.

      Der Schwurgerichtssaal war ein großer Saal in länglicher Form, in dessen Hintergrunde eine Estrade von drei Stufen errichtet war. In der Mitte der Estrade stand ein mit einer grünen Decke belegter Tisch mit Franzen von noch dunklerem Grün; hinter dem Tisch erblickte man drei Sessel mit hoher Lehne aus geschnitzter Eiche; hinter diesen Sesseln hing an der Wand in einem vergoldeten Rahmen ein Porträt in schreienden Farben, das den Kaiser in großer Uniform, den Großcordon um den Hals, mit gespreizten Beinen, und eine Hand auf dem Degengriff, darstellte. In dem rechten Winkel hing in einer Nische das Bild des mit Dornen gekrönten Christus; davor stand ein Pult und rechts von der Estrade befand sich das kleine für den Staatsanwalt bestimmte Katheder. Links im Hintergrunde stand der Tisch des Aktuars; davor in der Nähe des Publikums umschloß eine Holzschranke die Anklagebank, die jetzt noch, wie der Rest der Estrade, leer war. Auf der rechten Seite desselben, der Anklagebank gegenüber, warteten eine Reihe von Sesseln auf die Geschworenen, und unter ihnen waren Tische für die Advokaten aufgestellt. Was den andern Teil des Saales betraf, der von der Estrade durch ein Gitter getrennt war, so wurde er von erhöhten Sitzen gebildet, die sich bis zur Hinterwand erhoben. In den ersten Reihen dieser Bänke saßen vier wie Arbeiterinnen oder Dienstmädchen gekleidete Frauen, die von zwei Männern begleitet wurden, die augenscheinlich Arbeiter waren. Diese kleine Gruppe war von der Größe der Estradendekoration tief bewegt, denn sie unterhielten sich nur schüchtern, mit leiser Stimme.

      Nachdem der Nuntius die Geschworenen eingeführt und placiert hatte, trat er in die Mitte der Estrade und sagte mit sehr lauter Stimme, die die Anwesenden noch mehr einschüchterte:

      »Der Gerichtshof!«

      Alle standen auf und die Richter erschienen auf der Estrade. Zuerst der Präsident mit dem schönen Backenbart. Nechludoff erkannte ihn sofort, er hatte ihn vor zwei Jahren auf dem Lande auf einem Balle getroffen, wo dieser Präsident den Kotillon angeführt und die ganze Nacht mit vielem Schneid und Eifer getanzt hatte.

      Hinter ihm erschien der Richter mit der mürrischen Miene; er war noch mürrischer geworden, seit er beim Eintritt in die Sitzung seinem Schwager begegnet war und dieser ihm gesagt hatte, seine Schwester habe ihm eben mitgeteilt, es würde heute abend nichts im Hause zu essen geben.

      »Du lieber Gott! Dann werden wir eben in der Kneipe essen müssen,« hatte der Schwager lachend hinzugefügt.

      »Ich sehe nicht, was daran so lächerlich ist!« hatte der Richter geantwortet.

      Der andere Richter, der immer zu spät kam, war ein Mann mit langem Bart, gutmütigen, dicken, runden Augen und angeschwollenen Backen. Dieser Richter litt an einem Magenkatarrh, und noch an demselben Morgen hatte sein Arzt eine neue Behandlungsweise bei ihm angefangen, die ihn zwang, noch länger als gewöhnlich, zu Hause zu bleiben. Er trat mit vertiefter Miene auf die Estrade und war in der That sehr zerstreut. Er hatte die Gewohnheit, durch alle möglichen Zufallsspiele Antworten auf Fragen zu erraten, die er sich selbst stellte. Diesmal hatte er sich gesagt, wenn die Zahl der Schritte, die er zu machen hatte, um von der Thür seines Kabinets bis zu seinem Sessel zu kommen, durch drei geteilt sein sollte, dann würde seine neue Behandlung ihn von seinem Katarrh befreien; wenn nicht, dann nicht. Es waren im ganzen 26 Schritte; doch im letzten Augenblick mogelte der Richter ein bißchen, machte einen kleinen Schritt mehr und kam so mit 27 Schritten zu seinem Sessel.

      Die Gestalten des Präsidenten und der beiden Richter, die sich mit ihren Uniformen und den goldgestickten Kragen auf der Estrade aufrichteten, boten ein höchst imposantes Schauspiel dar. Die Richter waren sich dessen übrigens voll bewußt, und alle drei beeilten sich, als wenn sie sich ihrer Größe schämten, Platz zu nehmen, indem sie vor dem großen, grünen Tische, auf dem man ein dreieckiges Instrument mit dem kaiserlichen Adler, Tintenfässer, Federn, weißes Papier und eine ungeheure Anzahl frisch angespitzter Bleistifte verschiedener Größe gelegt hatte, bescheiden die Augen zu Boden schlagen.

      Hinter den Richtern erschien der Staatsanwalt. Auch er ging so schnell wie möglich auf seinen Sessel zu; er hielt noch immer seine Aktenmappe unter dem Arm und fuchtelte mit den Armen. Sobald er sich gesetzt hatte, vertiefte er sich in die Lektüre der Akten und benutzte jede Minute, um seine Rede vorzubereiten. Wir müssen noch erwähnen, daß Breuer erst kürzlich zum Staatsanwalt ernannt worden war und erst zum viertenmale plaidierte. Er war sehr ehrgeizig, gedachte eine schöne Karriere zu machen und hielt es, um zu reüssieren, für unerläßlich, in allen Prozessen, an denen er teilnahm, Verurteilungen durchzusetzen. Er hatte schon den allgemeinen Plan der Anklagerede, die er in dem Giftmordprozeß halten wollte, entworfen; doch er mußte von den Thatsachen des Falles Kenntnis nehmen, um seine Beweisführung zu unterstützen und auszugestalten.

      Endlich durchflog der Aktuar, der am entgegengesetzten Ende der Estrade saß und alle Stücke, die er noch zu lesen hatte, vor sich hingelegt hatte, einen verbotenen Zeitungsartikel, den er am vorigen Abend erhalten und bereits einmal gelesen hatte. Er wollte von diesem Artikel mit dem langbärtigen Richter sprechen, der, wie er wußte, in der Politik mit ihm einer Meinung war; und bevor er davon sprach, wollte er ihn genau kennen lernen.

      Nachdem der Präsident Papiere durchflogen, stellte er an den Aktuar und den Nuntius einige Fragen, und gab dann, als er von ihnen bejahende Antworten erhalten, den Befehl, die Angeklagten hereinzuführen.

      Sofort wurde eine Thür im Hintergrunde geöffnet, und zwei Gendarmen traten, die Pelzmütze auf dem Kopfe und den Säbel in der Hand, ein, hinter ihnen erschienen die drei Angeklagten; zuerst ein sommersprossiger Mann mit roten Haaren, dann zwei Frauen. Der Mann trug Gefangenenkleidung, die für ihn zu groß und zu weit war. Er hielt die Arme an den Körper gepreßt, um die Aermel festzuhalten, die seine Hände sonst verdeckt hätten. Er schien weder die Geschworenen, noch das Publikum zu sehen, und hielt die Augen starr auf die Bank gerichtet, an der er vorüberkam. Als er um sie herumgegangen war, setzte er sich, richtete die Augen auf den Präsidenten und fing an, die Lippen zu bewegen, als wenn er etwas vor sich hinmurmelte.

      Die ihm folgende Frau, die ebenfalls Gefängniskleidung trug, mochte etwa 50 Jahre zählen. Sie hatte ein Sträflingstuch um den Kopf gebunden, und ihr blaßgraues Gesicht hätte nichts besonders Merkwürdiges aufzuweisen gehabt, wäre nicht das vollständige Fehlen der Wimpern und Augenbrauen aufgefallen. Sie schien übrigens vollständig ruhig. Als sie auf ihrem Platze angelangt war, strich sie ihr Kleid, das an einem Nagel hängen geblieben war,


Скачать книгу