Im Sonnenwinkel Staffel 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg

Im Sonnenwinkel Staffel 3 – Familienroman - Patricia Vandenberg


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Nichts ist. Man kann nur existieren, solange man etwas darstellt. Alle anderen stehen im Schatten, vegetieren dahin, bemühen sich verzweifelt, ein Stück von der Speckseite abzuschneiden, und werden von denen, die kein Gefühl haben, verlacht. Oh, ich kenne die Menschen, Onkel Korbinian, ich habe sie kennengelernt und habe auch begriffen, warum du immer allein sein wolltest.«

      »Jetzt aber habe ich andere Menschen kennengelernt, drüben in Erlenried«, sagte er. »Man darf nicht nur die eine Seite sehen, Vicky. Man muß nur den richtigen Platz finden, um glücklich zu sein. Das Gute zieht das Gute an. Nimm deine Brille ab. Laß mich dein Gesicht in Ruhe betrachten. Ich weiß, daß manches von meiner kleinen Vicky geblieben ist oder daß es zurückkehren wird.«

      »Es ist eine Maske«, äußerte sie bitter.

      »Weil du sie tragen willst!«

      »Vielleicht hast du recht.«

      »Warum bist du zurückgekommen?« fragte er, während er sich vorbeugte und ihr Gesicht mit seinen Händen umschloß.

      Sie wich seinem Blick nicht aus.

      »Ich wollte wissen, was geblieben ist oder was ich wiederfinden kann. In mir war eine so schreckliche Leere, Onkel Korbinian. Ich wünschte mir, wieder die Vicky von früher zu sein. Ich hatte einfach Sehnsucht nach allem, was ich weggeworfen hatte«, schluchzte sie auf.

      »Weine nur, meine Kleine«, sagte er weich. »Wein dir deinen Schmerz von der Seele. Danach wird alles leichter sein.«

      *

      Später dann begleitete er sie durch den Wald zurück. Schweigend gingen sie, nachdem sie sich so viel gesagt hatten. Und dann, nicht weit vom Haus, nahm er sie nochmals in die Arme.

      »Ich bin alt, Vicky, und meine Tage sind gezählt«, flüsterte er. »Aber vor dir liegt das Leben, und ich wünsche so sehr, daß es nun voller Glück sein wird. Sprich mit Till. Es schadet nichts, wenn man das erste Wort sagt. Ich möchte dich oft sehen können, ohne Heimlichkeiten. So oft es noch möglich ist.«

      »Ich werde jeden Tag mit den Kindern zu dir kommen«, versprach sie, und dann umarmte sie ihn noch einmal ungestüm.

      Till stand an der Gartentür. Ihre Augen, die noch blind von Tränen waren, nahmen ihn nicht wahr. Seine Hand legte sich auf ihre Schulter.

      Er brauchte nicht mehr lange nach Worten zu suchen. Sie drängten sich ihm, aus der Angst um sie geboren, von selbst auf die Lippen.

      »Ich bin froh, daß du wieder da bist, Vicky!«

      Der Boden schwankte unter ihren Füßen. Ein buntes Feuerwerk flimmerte vor ihren Augen. Till fühlte, wie sie schwankte, und hob sie empor.

      Er trug sie ins Haus, setzte sie in einen Sessel und drückte seine Lippen in ihr Haar.

      »Du weißt es? Du hast es die ganze Zeit gewußt!« stammelte sie.

      »Nicht von Anfang an«, erklärte er ruhig.

      »Seit wann?« fragte sie flüsternd.

      »Du sagtest: Es macht alles leichter. Es bezog sich darauf, daß ich keine Fragen stelle. Da wußte ich es genau, daß du es bist. Vorher hatte mich die winzige fehlende Ecke am Schneidezahn irritiert. Oder auch irgend etwas anderes. Ich habe viele Ähnlichkeiten zwischen Ria und Vicky gefunden, aber ich glaubte, mir diese einzureden. Man wartet manchmal so lange auf einen Menschen, daß man ihn in einem anderen zu suchen beginnt. Onkel Korbinian hat dich wohl sofort erkannt.«

      »Er sah mich gleich ohne Brille. Ich wollte es dir morgen sagen, Till. Du bist mir zuvorgekommen.«

      »Ich wollte schon den ganzen Tag mit dir sprechen, aber du bist mir ausgewichen, Vicky.«

      Sie schüttelte heftig den Kopf.

      »Nein, ich bin dir nicht ausgewichen. Ich hatte Angst.«

      »Wovor?«

      »Muß ich denn keine Angst haben, Till? Ich habe euch doch so tief enttäuscht, Onkel Korbinian und dich. Ich komme als ein zerstörtes Wesen zurück. Sollte ich erwarten, daß ihr mich mit offenen Armen aufnehmt?«

      »Ein zerstörtes Wesen?« wiederholte er leise. »Du bist die mutigste Vicky, die mir je begegnet ist. Sei jetzt still! Sei ganz still, Vicky! Wir werden noch viel Zeit haben, miteinander zu sprechen.«

      Seine Lippen legten sich auf ihren Mund, zärtlich und voll ungestümer Sehnsucht.

      Es war so, wie sie es zu Onkel Korbinian gesagt hatte. Sie konnte nicht mehr denken, sie konnte nur noch fühlen, und sie war jung wie damals in jener warmen Sommernacht, als Till sie zum erstenmal küßte, so jung, daß sie seinen Kuß erwiderte, als lägen nicht zehn Jahre dazwischen.

      *

      Im Hotel »Zur Post« ging es an diesem Abend hoch her.

      »Diese Amerikaner«, sagte Maria Dosch grimmig. »Brauchen die denn gar keinen Schlaf?«

      »Reg dich nicht auf, Mutti«, meinte Kurt beruhigend. Sie bringen doch Geld.«

      »Und uns und unsere anderen Gäste um die Nachtruhe«, seufzte sie. »Davon abgesehen, daß sie unsere Stammgäste schon vertrieben haben.«

      »Die werden schon wiederkommen. Mit unserm Hasenrücken locken wir sie bestimmt zurück.«

      »Mir paßt es nicht, daß sie Heli wie ein Amüsiermädchen behandeln«, fuhr Maria Dosch ungehalten fort.

      »Ach was, du siehst da viel zu schwarz. Sie haben halt gern weibliche Gesellschaft. Heli kann sich ihrer Haut schon wehren, wenn einer zu stürmisch ist. Geh schlafen, Mutti.«

      »Schlafen soll ich, wenn sie grölen?«

      »Sie sind halt lustig und meinen, daß man in Deutschland singen muß, wenn man fröhlich ist.«

      »Ich will doch schauen, was sie da mit der Heli treiben«, beharrte sie.

      Kurt lächelte nachsichtig, denn da gab es wirklich nicht viel zu sehen als einige sehr vergnügte Männer, die sich wohl gar nicht bewußt waren, welchen Lärm sie machten.

      Heli bemerkte nicht, daß ihre Mutter sich näher herangeschoben hatte, nun doch sehr stolz, daß ihre Tochter sich so gut in der englischen Sprache verständigen konnte. Aber da horchte Maria Dosch plötzlich auf, denn ein Name fiel, der in dieser Runde mehr als ungewöhnlich klingen mußte.

      Der Mann, der ihn ausgesprochen hatte, war mittleren Alters und sah sehr gut aus, weit attraktiver als die beiden anderen.

      »Viktoria Lindberg?« wiederholte Heli fragend.

      »Was will er wissen?« fragte jetzt Maria Dosch rasch.

      Vier Köpfe fuhren herum, und vier Augenpaare sahen sie erstaunt an. Heli ein wenig peinlich berührt.

      »Der Herr hat nach Viktoria Lindberg gefragt.«

      »Ja, das habe ich«, erklärte er in recht gutem Deutsch und auch für Maria verständlich. »Sie stammte doch aus dieser Stadt Hohenborn.«

      »Ja«, entgegnete Maria wortkarg. »Lebt sie jetzt wirklich hier?« fragte er nun.

      »Nein. Sie hat Hohenborn vor zehn Jahren verlassen und ist nicht zurückgekehrt«, antwortete Maria wortkarg.

      »Es ist möglich, daß Sie noch nicht Kenntnis haben davon«, bemerkte der Fremde, »oder sie ist nicht erkannt worden. Sie könnten mir nicht sagen, welche Freunde sie hier hat oder Verwandte?«

      »Sie hat keine Freunde mehr und keine Verwandten«, sagte Maria scharf und warf Heli einen warnenden Blick zu. »Sie hat die Brücken abgebrochen, und niemand baut sie wieder auf. Heli, ich denke, du solltest jetzt zu Bett gehen.«

      *

      Maria hatte auf Heli gewartet. Sie kam bald. Unwillen drückte sich in ihrem Mienenspiel aus.

      »Du warst nicht gerade höflich, Mutter«, sagte sie vorwurfsvoll. »Es sind alles sehr gebildete Männer. Und da Mr. Gorden Viktoria sehr gut gekannt hat, brauchtest du


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