Welcome to Borderland. Jeanette Erazo Heufelder

Welcome to Borderland - Jeanette Erazo Heufelder


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spanischen Krone gehörten, wurde bestraft. Zum Ausgleich erhielten die Siedler am Rio Grande von der Krone Steuernachlässe. Doch wenn sie ihr Land verkauften und weiterhin im Ort leben wollten, verloren sie alle Rechte und Privilegien.6

      Als erste der berühmten sieben Siedlungen des José de Escandón war am südlichen Ufer des Rio Grande 1749 Camargo gegründet worden. Dann folgten die Gründungen von Reynosa, Refugio, Dolores, Mier, Revilla und Laredo. Wie Perlen an einer Kette reihten sich schließlich sieben Siedlungen und einige haciendas beidseitig des Rio Grande/Bravo aneinander. Dass es die Einzigen im weiten Land zwischen dem Golf von Mexiko und Santa Fe im heutigen New Mexico waren, stärkte von Anfang an die Bindung untereinander.7 Diesseits und jenseits des Rio Grande existierte bald ein mehrere hundert Kilometer umfassendes Wegenetz. Die Gemeinden bauten außerdem ihr Selbstverteidigungssystem weiter aus, da die Überfälle von Comanchen und Lipan-Apachen nicht abnahmen.8 Die Stämme waren Mitte des 18. Jahrhunderts von den nordöstlichen Plains zu ihren in Chihuahua lebenden Stammesverwandten aufgebrochen. Auf ihrem Weg in den Süden stießen sie am Rio Grande/Bravo auf die Siedlungen, die als Schutzmaßnahme unter anderem ihre Dörfer an Stellen verlegt hatten, die mehr Überblick boten. Außerdem ersetzten sie beim Bau von Häusern Holzmaterialien durch den in der Region vorkommenden Fluss-Sandstein und bauten auf diese Weise ihre rancherías zu presidios aus.

      Dass es auch um 1800 immer noch so häufig zu Überfällen kam, war ein Indiz, dass die spanische Krone nie die völlige Kontrolle über das Gebiet erlangt hatte und ihre Autorität zudem immer weniger gefürchtet wurde. Die Gemeinden am Rio Grande wandten sich in dieser Zeit kommerziell stärker den nordöstlichen Außengrenzen des Kolonialreichs zu. Von den Siedlungen führten versteckte Maultierpfade und Trampelwege durch endloses Chaparral bis zum Sabina-Fluss, wo seit der Annexion Louisianas 1803 die Vereinigten Staaten begannen. In den Jahrzehnten vor dem endgültigen Zusammenbruch des spanischen Vizekönigreichs hatten die drastischen Strafen, die Warenschmugglern drohten, ihre abschreckende Wirkung verloren. Und wer mit Rindern, Schafen, Wolle, Fellen, Kattun, Baumwolle und Tabak zu Wohlstand gekommen war, begann sich ohnehin über so etwas wie Freiheit Gedanken zu machen.

      Wie Bernardo Gutiérrez de Lara. Der Schmied und Händler aus der Gemeinde Revilla strebte die Unabhängigkeit seiner Provinz von der spanischen Krone an und sprach schon von Texas, als es noch Teil Nuevo Santanders war. Mit Gutiérrez de Lara kämpfte bereits 1812 ein spanischstämmiger Mexikaner für die Befreiung der texanischen Provinz von der spanischen Kolonialherrschaft. Viele Jahre bevor der Angloamerikaner Stephen Austin auf der Bildfläche erschien, reiste Gutiérrez de Lara nach Washington und bat den US-Kongress um Unterstützung für den texanischen Freiheitskampf. Die USA reagierten zurückhaltend. Denn sie verhandelten mit den Spaniern gerade über die Westgrenze von Louisiana und den Erwerb Floridas. Immerhin sicherten sie Gutiérrez de Lara zu, seine Aktionen zu dulden. Also verbündete sich Gutiérrez de Lara mit französischen und US-amerikanischen Abenteurern. Mit ihrer Hilfe baute er die 1400 Mann starke »Republikanische Armee des Nordens« auf, belagerte 1813 San Antonio und rief den unabhängigen Staat Texas aus.9 In Medina kam es zur Schlacht mit den Streitkräften der spanischen Krone, die für die Armee der Aufständischen tödlich endete. Wer nicht im Kampf fiel, wurde hingerichtet. Die Konfrontation ging als blutigste Schlacht auf texanischem Boden in die Geschichte ein. Die Massenhinrichtungen, die der spätere mexikanische Präsident Antonio López de Santa Anna als junger spanischer Soldat auf Seiten der Royalisten erlebte, lieferten Historikern die Erklärung für sein späteres Handeln in Alamo (1836) und anderen Schlachten, wo er als mexikanischer Präsident und oberster Kriegsherr ebenfalls keine Gefangenen machte.

       »In Texas herrscht Krieg«

      Auch nach Erlangung der mexikanischen Unabhängigkeit, 1821, gingen die Revolten gegen die Machtzentrale in der Hauptstadt des neuen Staates namens Mexiko weiter. 1824, nach Abschaffung einer kurzlebigen Monarchie, erhielt Mexiko zwar eine föderale Verfassung. Aber dem Wunsch der nördlichen Provinzen nach mehr Autonomie war der mexikanische Kongress nicht nachgekommen. Stattdessen wurde Texas mit der landeinwärts gelegenen Provinz Coahuila zu einem riesigen Flächenstaat zusammengefasst. Dasselbe geschah mit Neu-Mexiko, Sonora und Kalifornien. Durch die Zusammenlegung sollten die dünn besiedelten Regionen des Nordens mehr politisches Gewicht gegenüber den bevölkerungsreicheren Regionen Zentralmexikos erhalten. Aber Neu-Mexiko und Alta sowie Baja California erreichten trotz dieser Maßnahme nur den Status von Territorien und hatten keine eigene Vertretung im Kongress. Und die Vertretung des Staatengebildes Texas-Coahuila befand sich nun im 316 Meilen von San Antonio entfernten Saltillo. Das hieß: Die politischen Entscheidungen wurden weiterhin in großer Distanz zu Texas gefällt.

      Eine Sogwirkung auf nachströmende Siedler hatte Escandóns Besiedelungsprojekt nie gehabt. Zu Beginn der 1820er Jahren lebten im Rio-Grande-Tal nur rund 15.000 Mexikaner.10 Aber Mexiko besaß insgesamt keine sehr hohe Bevölkerungsdichte. Durch den langen Befreiungskrieg hatte das Land zehn Prozent seiner männlichen Bevölkerung eingebüßt. Auf einer Fläche, die von Oregon bis Guatemala reichte, lebten nur noch 6,2 Millionen Menschen. In den benachbarten Vereinigten Staaten hingegen hatte sich die Bevölkerung zwischen 1790 und 1820 von vier auf neun Millionen mehr als verdoppelt.11 Da sie sehr schnell weiter wuchs – und mit der Bevölkerung auch das Bedürfnis nach Land –, war die mexikanische Regierung verständlicherweise besorgt, dass eines Tages Texas beansprucht werden könnte.12 Sie folgte deshalb dem Rat einer 1821 eingesetzten Kommission, die in ihrem Kolonisierungsplan eine Öffnung der Grenzen für Einwanderer aus Europa empfahl. 1824 trat in Texas-Coahuila das Kolonisierungsgesetz in Kraft, mit dem die Jahrhunderte währende spanische Abschottungspolitik endete. Doch schon der erste Ausländer, der von Mexiko die Genehmigung zu einer Siedlungs-Neugründung erhielt, war Angloamerikaner: Moses Austin ließ sich bereits 1821 mit seiner eigenen Familie und dreihundert weiteren in Texas nieder. Aus Europa kamen dagegen viel weniger Emigranten als von der Kommission erhofft. Der überwiegende Anteil derer, die sich in Texas ansiedelten, hatte vorher in den Vereinigten Staaten gelebt.

      1826 bestätigte Haden Edward, ein Unternehmer, der sich in Osttexas angesiedelt hatte, die Sorge der mexikanischen Kommission vor einer angloamerikanischen Revolte. Er rief die unabhängige »Republik von Fredonia« aus. Die übrigen Kolonisten schlossen sich ihm zwar nicht an, dennoch war dies für die mexikanische Regierung ein alarmierendes Zeichen, dass sich die bis dahin praktizierte Kolonisierungspolitik zum Nachteil mexikanischer Interessen entwickeln könnte. In einer erneut in Auftrag gegebenen Untersuchung fand der mit ihr beauftragte General Manuel Mier y Teran wenig überraschend heraus, dass mit der zunehmenden Angloamerikanisierung die Weigerung wuchs, sich Mexiko kulturell anzupassen. Eine andere Feststellung war überraschender: Zwischen mexikanischen und ausländischen Siedlern herrschte in der Frage der politischen Selbstbestimmung Einigkeit.13 Beide Siedlergruppen sprachen sich für die Aufspaltung des Gebildes Texas-Coahuila aus. Im Fall der Angloamerikaner ließ sich der Wunsch nach mehr politischer Selbstbestimmung dadurch erklären, dass sie auf diese Weise an ihren ›unveräußerlichen Rechten‹ festhalten zu können glaubten. Zum Beispiel an ihrem Eigentumsrecht, wozu sie weiterhin Sklaven zählten, obwohl Sklaverei in Mexiko 1829 abgeschafft worden war. Und an der Institution der Geschworenengerichte, obwohl die mexikanische Rechtsprechung römisch-spanischen Ursprungs war, der Staat also über dem Einzelnen stand. Anscheinend hätten die meisten Angloamerikaner vergessen, dass sie nun Bürger Mexikos waren, so Mier y Teran, denn sie reisten weiterhin »mit ihren politischen Verfassungen im Gepäck«.14

      Die mexikanische Regierung reagierte auf die Ergebnisse dieser Untersuchung 1830 mit einem Einwanderungsstopp für US-amerikanische Siedler. Allerdings ließ sich die demographische Entwicklung in Texas damit nicht mehr beeinflussen. 1834 waren von 21.000 Einwohnern nur noch 4000 Mexikaner.15 Dass Mitte der 1830er Jahre der schwelende Konflikt mit Texas eskalierte, lag allerdings mehr an dem Umstand, dass sich die Provinzen des Nordens und das mexikanische Zentrum inzwischen fremder waren als die einzelnen in Texas siedelnden Gruppen. Der Norden fühlte sich von der Zentralregierung nicht ausreichend vor Indianerüberfällen geschützt. Wirtschaftsförderung gab es nicht. Für die Regierung wiederum war der Norden ein notorischer Unruheherd. Da waren der texanische Sonderweg, die ständigen


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