Welcome to Borderland. Jeanette Erazo Heufelder
Vertretern des Expansions-Gedankens, aber nicht um den Preis eines unrechtmäßigen Krieges.25 Selbst Stephen Austin widersprach dem Präsidenten. Doch das Blutvergießen am Rio Grande hatte längst angefangen. Selbst diejenigen Kongressabgeordneten, die eine militärische Expansion ablehnten, wollten den Truppen nicht die Unterstützung verweigern und stimmten der Mobilisierung von 50.000 Freiwilligen sowie Kriegsgeldern in Höhe von 10 Millionen Dollar zu.26 Von all den Autoren, die in O’Sullivans Democratic Review publizierten, lehnte nur Henry David Thoreau den Krieg mit Mexiko kategorisch ab. Eine Regierung, so schrieb er, sei die Form, die das Volk gewählt hätte, um seinen Willen auszuführen. Aber genau wie die Armee sei sie anfällig dafür, missbraucht und zweckentfremdet zu werden. Ein Zeugnis dafür sei der gegenwärtige Krieg gegen Mexiko, in dem, so Thoreau, einige wenige die Regierung als ihr Werkzeug benutzen, denn zu Beginn des Krieges hätte das Volk diesem Krieg nicht zugestimmt.27 Walt Whitman fand zwar auch, die göttliche Vorsehung solle sich idealerweise auf demokratischem Weg erfüllen, er war jedoch, anders als Thoreau, bereit, der eigenen Regierung zu vertrauen.
Unter den Daguerreotypien, die vom mexikanisch-amerikanischen Krieg erhalten geblieben sind, befindet sich eine Aufnahme von Abner Doubleday, dem General, der später dafür berühmt werden sollte, im amerikanischen Bürgerkrieg den ersten Schuss der Union abgefeuert zu haben. Auf dem Foto sieht man ihn umgeben von einer Gruppe mexikanischer Zivilisten. Seine Kompanie war während des Kriegs fünfzehn Monate im nordmexikanischen Saltillo, Provinz Coahuila, stationiert. In seinem Tagebuch notierte Doubleday: »Das ist das Leben, das ich immer führen wollte: mich unter mexikanische rancheros mischen und mehr über die Art wie sie leben lernen.«28 Die Mexikaner, die auf dem Bild zu sehen waren, mussten, so das in der Öffentlichkeit verbreitete Bild, glücklich und dankbar sein, dass ihnen solch anständige Männer den Segen der Befreiung brachten.
Zu Beginn wurde noch zwischen der mexikanischen Regierung und der mexikanischen Bevölkerung unterschieden. Das änderte sich aber, je länger der Krieg dauerte. Whitman zum Beispiel, der zwischen 1846 und 1848 in den Leitartikeln des Brooklyn Daily Eagle den Krieg kommentierte, stellte am 7. Juli 1846 die Frage: »Was hat dieses elende, untüchtige Mexiko mit seinem Aberglauben und seiner Parodie von Freiheit, die in Wirklichkeit Tyrannei ist …, was hat es mit der großen Mission zu tun, die Neue Welt mit einer edlen Rasse zu bevölkern?«29 Auch in den Texten anderer Kommentatoren zeigt sich deutlich die in der manifest destiny angelegte rassistische Komponente. »Der Prozess, der im Norden zur Zurückdrängung der Indianer oder zu ihrer Vernichtung als Rasse geführt hat, muss nun auch im Süden durchgeführt werden«, war in der Democratic Review zu lesen. Vor dem Krieg hatte O’Sullivan noch davon geträumt, mexikanische Schwesterrepubliken zu errichten, wenn die Mexikaner erst einmal an die Pflichten der Selbst-Regierung herangeführt worden wären.30 Gegen Ende des Krieges wurde das Ideal der Erneuerung, der Kerngedanke der manifest destiny, nicht mehr auf die Mexikaner bezogen, sondern nur noch auf ihr Land. »Heiliges Land, von unheiligen Händen erlöst und dem Nutzen eines Volkes übergeben, das Gottes Geheiß zu gehorchen weiß« – schrieb die Times.31 Die New York Evening Post fragte: »Gibt es irgendjemanden, den der Gedanke kalt lässt, dass wir unsere Truppen aus Mexiko, dem Territorium, das wir gerade besetzt halten, wieder abziehen und das wunderschöne Land auf diese Weise – nur durch den Federstrich irgendeines Sekretärs – der Obhut der ignoranten Feiglinge und verschwendungssüchtigen Grobiane überlassen, die es in den vergangenen 25 Jahren regiert haben?«32
Nur die Regierung in Washington übte sich in Zurückhaltung, nachdem Mexiko 1847 besiegt und die Annexion seines gesamten Staatsgebiets möglich schien. Denn wer All Mexico forderte, musste zugleich erklären, wer von den Millionen Mexikanern in den Genuss der Bürgerrechte kommen sollte.33 Das amerikanische Freiheits- und Gleichheitsversprechen war nur weißen Angelsachsen vorbehalten. Doch Mexiko bestand aus Mestizen, Indianern, Schwarzen, Samboes und Mulatten; nur eine kleine Minderheit war weiß. Ständige Aufstände und Unruhen waren zu befürchten, sollte der Kongress wie zu erwarten den Antrag der mexikanischen Territorien auf eigene Verfassung und auf föderale Selbstverwaltung ablehnen.34 Deshalb beschränkte sich die US-Regierung darauf, nur die dünn besiedelten Regionen im Norden zu fordern. So verlor Mexiko mit der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Guadalupe Hidalgo am 2. Februar 1848 die Hälfte seines gesamten Staatsgebiets. Neben Texas wurden die heutigen Bundesstaaten New Mexico, Arizona, Kalifornien, Utah, Nevada sowie Teile Colorados an die Vereinigten Staaten abgetreten. Offiziell wurde ihnen das Gebiet von den Vereinigten Staaten abgekauft. Eine Summe von 15 Millionen Dollar fand im Friedensvertrag Erwähnung. Die radikale Fraktion der Annexionisten hielt ihn deshalb für einen schlechten Deal und den Abzug der amerikanischen Truppen für das Eingeständnis des Scheiterns der amerikanischen Expansionspolitik.
Daneben gab es im Kongress aber auch Stimmen, die dem mexikanischen Krieg von Anfang an jede Legitimität abgesprochen hatten. Die Vertreter der US-amerikanischen Whig-Partei, die sich wie ihre britische Entsprechung als Gegenströmung zu zentralistischen Tendenzen verstand, hatten in den zurückliegenden Kriegsjahren immer wieder darauf hingewiesen, dass dieser Krieg ein Eroberungskrieg sei, der sich nicht mit dem friedlichen Charakter des in der Verfassung enthaltenen Freiheitsauftrags vereinbaren ließ. Ferner hielten sie die Behauptung des Präsidenten vom Mai 1846, dass am Rio Grande die mexikanische Armee auf amerikanisches Territorium vorgedrungen sei, für eine Irreführung der Öffentlichkeit durch bewusste Tatsachenverdrehung. Abraham Lincoln, der erst seit kurzem für die Whigs im Repräsentantenhaus saß, reichte immer wieder Resolutionen ein, in denen er vom Präsidenten Auskunft darüber verlangte, was diesen im Mai 1846 zu der Annahme bewogen hätte, die Stelle, an der amerikanisches Blut geflossen war, befände sich auf amerikanischem Territorium. Lincoln zufolge konnte Polk diese Frage unmöglich beantworten, denn der Boden, auf dem das Blut amerikanischer Bürger geflossen sei, gehöre nicht den Vereinigten Staaten und der Kongress habe zu diesem Zeitpunkt auch keiner Annektierung zugestimmt.35 Dass sich die Vereinigten Staaten im Friedensvertrag zur Zahlung von 15 Millionen Dollar für die übertragenen Gebiete verpflichtet hatten, mache die Tatsache nicht rückgängig – die Vereinigten Staaten seien der Aggressor in einem unnötigen Krieg. Lincolns Argumente überzeugten die Öffentlichkeit nicht. Denn mit der Aussage, die Mexikaner hätten den Krieg eröffnet, hatte ihr Präsident schließlich nicht gelogen. Der erste Schuss war vom südlichen Ufer des Rio Grande gekommen.
Mexikaner oder Sklaven?
Der mexikanische Krieg war das letzte große Projekt, mit dem sich die amerikanische Union zwölf Jahre vor dem Bürgerkrieg noch einmal sinnhaft ihrer Einheit als republikanische Nation versicherte. Mit der Doktrin der manifest destiny hatten sich die Fronten noch übertünchen lassen, die ein paar Jahre später zum offenen Konflikt zwischen Sklaverei-Befürwortern und -Gegnern führen sollten. Die Grundüberzeugung, dass Fortschritt mit Expansion zusammenhinge, teilten alle Parteien. Dass die amerikanischen Institutionen zu diesem Zeitpunkt, während sich die Welt im Umbruch einer industriellen Revolution befand, weltweit die fortschrittlichsten waren, ebenso. Daraus schöpfte die Expansion ihre Rechtfertigung: Der Boden sollte effizienter genutzt werden, als es seine jetzigen Besitzer taten. Sowohl Sklaverei-Befürworter als auch -Gegner schwärmten von mexikanischen Schwesterrepubliken nach angloamerikanischem Vorbild. Nur wollten die Südstaaten dort eben auch ihre ›südlichen Institutionen‹ errichten, während die Nordstaaten Sklaverei für keine zeitgemäße Wirtschaftsform mehr hielten. In der Berichterstattung über die europäischen Revolutionen, die neben dem Friedensvertrag mit Mexiko landesweit die Schlagzeilen bestimmten, wurde noch einmal das Narrativ des eigenen Freiheitsauftrags beschworen. »Wir sind die Losung, der Polarstern und die Flammensäule der Freiheit. Wenn die Freiheit in Gefahr sein sollte, wenn sie uns um Beistand riefe, würde kein amerikanisches Herz und keine Hand sich weigern, zu ihrer Rettung zu eilen«, hieß es in der New Yorker Sun pathetisch. Die Pariser Revolte im Februar des Jahres 1848, die in Europa eine Welle bürgerlich-demokratischer Revolutionen auslöste, wurde stürmisch begrüßt. »Endlich wagen es Millionen in der Alten Welt, ihren Tyrannen entgegenzuschreien: ›Auch wir werden freie Menschen sein!‹«36 Im Sieg der französischen Republik wurde die Strahlkraft der eigenen Union gefeiert.