Hat sich die Wende überhaupt gelohnt?. Bernd Zeller

Hat sich die Wende überhaupt gelohnt? - Bernd Zeller


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die Idee kommen, das Parlament mit einer Bedeutung aufzuladen, die ihm nicht zukam. Eine Sorge, die unbegründet ist, wie die heutigen Parlamente zeigen.

      EU-Parlamentarier zu sein, bedeutet das Gegenteil einer Ehre. Man hat für gewöhnlich einen schmählichen Abgang hinter sich und soll auch noch denen dankbar sein, die einen nach Europa abgeschoben haben.

      Da Ehre heutzutage kein positiv besetzter Begriff ist, kann der Punkt noch nicht an die DDR gehen.

      Die Sitzverteilung war quotiert, alle Parteien und Massenorganisationen hatten eine festgelegte Zahl von Abgeordneten, damit alle Kräfte sich auf Augenhöhe vertreten fühlen. Dazu wird das EU-Parlament erst noch kommen.

      Der entscheidende Aspekt liegt in der Wahl. In der DDR konnte man dadurch, nicht zur Wahl zu gehen, Protest und Widerstand ausdrücken. Ähnliches ist heute nicht möglich, Nichtwähler interessieren noch weniger als Wähler, das Parlament wird immer voll. Da müssten schon die Kandidaten selbst nicht wählen.

      Deshalb geht der Punkt an die DDR für das demokratischere Parlament.

       KONSUM

      Man kann Äpfel nicht mit Birnen vergleichen, jedenfalls nicht zu DDR-Zeiten, weil man niemals beide zur selben Zeit im Handel vorfinden konnte.

      Aufgrund der Mangelversorgung spielte der Konsum in der DDR eine wichtigere Rolle als heute, wo er gar nicht mehr auffällt, wenn nicht gerade Kabarettisten über den Konsumterror herziehen. Wenn der Erwerb von Waren und Dienstleistungen mit Problemen verbunden ist, nimmt er einen größeren mentalen Platz im Leben ein, und das wollen wir ja nicht. Weil es so wenig gab und deshalb weniger konsumiert werden konnte, müsste der Punkt wieder an die DDR gehen. Leider müssen noch weitere Gesichtspunkte einbezogen werden, etwa die Qualität der Produkte. Diese entsprachen kaum den EU-Normen. Manche trugen sogar irreführende Bezeichnungen, die nach EU-Richtlinien als Verbrechen einzustufen gewesen wären. Das kann man auch im Nachhinein nicht dulden, deshalb geht der Punkt für Konsum eindeutig an die EU.

       AUTOS

      Sieht man einmal davon ab, dass es damals mit einem DDR-Auto möglich war, das staatliche Territorium an einem Tag zu durchqueren, hingegen es mit einem heutigen nicht zu schaffen ist, in derselben Zeit durch Europa zu reisen, ist gar nichts anderes möglich, als den Auto-Punkt der EU zu geben. Der Trabant und sein Gehilfe Wartburg waren Meisterwerke der Technik der Zwanzigerjahre, der Benzinverbrauch entsprach auf die Leistung bezogen dem eines Rolls Royce; sie verursachten Lärm einer solchen Lautstärke, als hätten alle Bürger schon ihre Wartezeit herum und den Motor angeworfen, ganz zu schweigen von der Umweltbelastung – es ist erstaunlich, dass dort, wohin die Autos fuhren, überhaupt noch Umwelt gewesen sein soll.

      Dafür war es leichter, einen Parkplatz zu finden.

       TOILETTENPAPIER

      Eine Zeitlang gab es keins, damit die Bevölkerung mehr Zeitungen kauft. Aber das ist nicht der Punkt, auf den es ankommt.

      Gab es welches, dann das Grobkrepp mit Sandpapierfühlung. Der Witz, damit wäre bezweckt, noch mehr gerötete Hinterteile zu erzeugen, erlangte traurige Berühmtheit.

      Was fehlte, war der heute als selbstverständlich angesehene Kern der Papprolle, um den das Klopapier herum aufgewickelt ist. Der ist auch völlig überflüssig. Die Beschränkung aufs Wesentliche zeigte sich ebenso im Fehlen der Perforation, an der man einzelne Blätter abreißt. Als ob man es nötig hätte, vorgeschrieben zu kriegen, und sei es auch nur in Form einer Hilfe, wo man das Klopapier abreißt. Die Bevormundung des DDR-Bürgers erstreckte sich also keineswegs auf alle Lebensbereiche.

      Heute droht eine Spaltung der Gesellschaft in mindestens zwei Klassen hinsichtlich der Benutzung ihres Toilettenpapiers. Die Reichen können sich ökologisch recyceltes und dennoch extraweiches saugverstärktes allergiepräventives mit Erdbeerduft leisten, während die Armen mit billigem extraweichem saugverstärktem genmanipuliertem Vorlieb nehmen müssen, für das ganze Eukalyptuswälder abgeholzt wurden.

      Der Toilettenpapier-Punkt geht eindeutig an die DDR.

       HAUPTSTADT

      Der Vergleich der Hauptstädte ist nahe am Unentschieden. Ostberlin und Brüssel haben als Gemeinsamkeit eine verbotene Zone, die man nur unter Lebensgefahr begehen kann. Der Unterschied besteht darin, dass man, wenn man die Grenze erfolgreich überwunden hat, in Westberlin angekommen ist und sich einigermaßen sicher fühlen kann, in Brüssel jedoch eine Art Slum oder Failed State betritt. Aber das muss ja niemand.

      Beiden Staatswesen ist das Bestreben eigen, diesen Zustand auf andere Ortschaften zu übertragen. Jede größere Stadt hat heutzutage mindestens einen Stadtteil, der als Problembezirk bezeichnet wird, damit es sich so anhört, als wären die Probleme eingegrenzt. Die DDR schuf städtische Westteile durch Einrichtung der Intershops.

      Um dem Unentschieden zu entgehen, richten wir unser Augenmerk auf die Befindlichkeit der Westberliner. Sie denken mit Wehmut an die Mauer zurück, die ihnen ein Leben in Saus und Braus garantierte. In Brüssel hat niemand die Absicht, eine solche zu errichten, was ja ganz furchtbar ausgrenzend wäre. Wegen der Freude, die man in Westberlin an der Insellage hatte, gewinnt hier die DDR.

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       ZEITUNGEN

      Eine Zeitlang kaufte man sie als Ersatz für nicht erhältliches Toilettenpapier, aber das ist nicht der Punkt, auf den es ankommt. Das Massenmedium Zeitung diente nicht der Information, sondern der Propaganda. Erfolge bei der Planerfüllung und der Besuch Erich Honeckers im Ministerium für Volksbildung bei der Ministerin für Volksbildung Margot Honecker und die Begrüßung der sowjetischen Delegation waren nicht etwa eine ausgiebige Meldung wert, sie geschahen eigens als Stoff für ausgiebige Meldungen der täglichen Zeitungen, wobei man annehmen kann, dass Besuch und Empfang wirklich stattfanden, wogegen die Erfolge in der Produktion keine Vorlage in der Realität hatten. Die DDR-Zeitungen waren demzufolge die Vorwegnahme des heute gängigen Formats der Scripted Reality.

      Das Sympathische war, dass sie sich keine Mühe geben mussten, die Verlogenheit auch noch überzeugend zu gestalten. Geglaubt hat den Kram sowieso keiner, man war aber überzeugt und froh, sich die Überzeugung nicht auch noch selbst vorschwindeln zu müssen.

      Das ist nun bei den heutigen Zeitungen ganz anders. Hier wird Propaganda betrieben auf perfide, emotional abgesicherte Art. Der Leser soll glauben, was da beschönigt und verharmlost wird. Ein hochbezahlter Experte sagt: Kein Problem. So was hätte es in der DDR nicht gegeben, da gab es keine Probleme, die ein Experte hätte leugnen müssen.

      Die Trennung von Meinung und Fakt wird den Journalistenschülern noch als Wert bekanntgegeben, doch schon von den sie unterrichtenden Großjournalisten missachtet, mit bestem Gewissen, weil sich die Fakten der Meinungslage in der Redaktion zu fügen haben.

      DDR-Journalismus hatte Klassenstandpunkt zu vertreten, den das Politbüro langwierig ermittelt hat. Die mussten das so machen, das war der Deal. Kein Leser hätte etwas anderes erwartet.

      Die heutigen Journalisten müssten ihren Unsinn nicht selbst glauben, wollen aber, und die Leser erst recht.

      Den Punkt für Zeitungen hat sich die DDR redlich verdient.

       FERNSEHEN

      Etwas anders sieht es beim Fernsehen aus, soweit es sich nicht für journalistisch hält. Für das DDR-Fernsehen spricht


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