Leonard Bernstein. Michael Horowitz
Ernste Musik, die jeder versteht
Wiener West Side Story-Triumph
Gauner, Mädchenhändler, Menschenfresser
Gefühle bedingungslos in Liebe umsetzen
Luxusausgabe der Heiligen Drei Könige
Meilensteine auf dem Weg zur Unendlichkeit
Eine Kerze, die an zwei Enden brennt
Topfenpalatschinken für den Maestro
Frischzellenkur, Triumph und Abschied
Den Ring küssen – nicht den Mund
Menschliche und musikalische Naturgewalt
Vorspiel
Ich bin jeden Morgen beim Aufstehen überrascht, dass ich da bin und dass noch immer eine Welt um mich ist, die weitergeht. Ich glaube, ohne dieses Element der Überraschung könnte ich mir nicht die Begeisterung für Leben und Kunst bewahren, die ich empfinde.*
Leonard Bernstein – ein Magier der Musik. Arturo Toscanini bemerkte einmal: »In Bernsteins Konzerte gingen die Leute auch, wenn er der schlechteste Dirigent der Welt wäre.« Ein Ausnahmekünstler, der sowohl die europäische Musiktradition von Bach, Beethoven, Mozart, Mahler und Richard Strauss beherrschte als auch amerikanische Formen populärer Musik. Er war ein besessener Dirigent, Komponist, Pianist und Pädagoge und eine strahlende Persönlichkeit des Kulturlebens im 20. Jahrhundert. Er war ein unkonventionelles Universalgenie, voller Verve, Charisma und Enthusiasmus. All das hat er vor allem auch jungen Musikern vermittelt wie dem Dirigenten Gustavo Dudamel. Dieser meint: »Bernstein is still around. He never died …« Die Unterscheidung zwischen ernster und leichter Musik gab es für Leonard Bernstein nicht. Manche Klassikpuristen verstörte er mit Aussagen wie: »Man kann nicht das Wort gut benützen, um eine einzige Art von Musik zu beschreiben. Es gibt guten Bach u n d guten Bob Dylan.«
Hinter dem Ruhm, hinter seiner scheinbar lockeren Art zu leben, verbargen sich Stress, Spannung, Zerrissenheit und Konflikte seiner Sexualität. Bernstein führte ein Leben voller Leidenschaft, in dem aber auch Disziplin ihren Platz fand. Er war ein Verführer, wusste das und genoss es. Er brauchte, er suchte die menschliche Nähe und blieb – inmitten äußeren Trubels – immer ein Einsamer, trotz Ovationen, Kuss- und Umarmungsorgien. Es war ein wildes, unruhiges, oft trauriges Leben. Phasen exzessiver Lebensgier wechselten mit Zeiten tiefer Depression und Angst vor dem künstlerischen Versagen. Leonard Bernstein, der Kosmopolit, der charismatische Renaissancemensch, der durch ein ungeordnetes Privatleben taumelte, exzessiv feierte, bis zu hundert Carlton täglich rauchte und reichlich Ballantine’s Whisky trank. Immer wieder versuchte er, in Entwöhnungstherapien von Alkohol und Zigaretten loszukommen.
»Das Wunderbare am Dirigieren ist«, meinte er, »dass man dabei nicht raucht und Sauerstoff in rauen Mengen einatmet.« Wie konnte ein Mensch, der sich privat dem Leben hemmungslos hingab, so versunken in die Musik sein und so konzentriert seine Tätigkeit als Dirigent, Komponist, Pianist und Pädagoge ausüben? Eines der Rätsel im Leben des phänomenalen Leonard Bernstein …
Entspannung fand der Suchtmensch beim Schreiben von Gedichten, oder wenn er Kreuzworträtsel löste. In sechs verschiedenen Sprachen: Englisch, Französisch, Deutsch, Italienisch, Hebräisch, Spanisch. Oder bei einer Canastapartie mit Freunden. Egal wo: im Flugzeug, in Hotelhallen, Warteräumen – und sogar im Taxi, die Kartenhäufchen auf dem Schoß balancierend … Versuche der Entspannung für einen ewig Rastlosen.
Leonard Bernstein war ein Ausnahmekünstler, dessen musikalische Lebenslinie sich schon als Bub abzeichnete. Er gab schon Klavierstunden, obwohl er selbst noch Unterricht bekam. Er war ein Vollblutmusiker, ein Vermarktungsgenie, das auch die Klaviatur der Publicity – Herbert von Karajan ähnlich – brillant beherrschte. Beide Herren waren dem Medienzeitalter viele