100 Jahre Österreich. Johannes Kunz
aus einer deutschen Kleinstadt ein Telegramm mit diesem Wortlaut: »sendet sofort juden stop sonst boykott unmöglich!«
Zu Beginn der Hitler-Ära fährt Itzhak Blumenthal von Wien nach Berlin, wo er bei einer Veranstaltung den hinkenden Propagandaminister erlebt. Wieder daheim, erzählt er seinen Freunden aufgeregt: »Stellt Euch vor, ich habe Goebbels gesehen. Er sieht aus wie Apoll …« »Bist Du wahnsinnig? Dieser mickrige Krüppel!« unterbricht ihn Rosenblatt.
»Lass mich doch ausreden! Er sieht aus wie a pol-nischer Jüd!«
Zu dieser Zeit erscheint in einem deutschen Amt ein Jude mit der Bitte, seinen Namen ändern zu lassen. Der Beamte sagt: »Auf Namensänderungen lassen wir uns im allgemeinen nicht ein, aber Sie werden wohl starke Gründe haben. Wie heißen Sie denn?«
»Adolf Pimpelhuber.«
»Also, da muss man schon Verständnis haben. Und wie möchten Sie heißen?«
»Moritz Pimpelhuber.«
Mitglieder der großbürgerlich-jüdischen Familien in Berlin bemühen sich nach der Machtergreifung der Nazis, ihren Besitz in wertvollen Antiquitäten anzulegen. Ein Kunsthändler macht einem reichen Bankier ein Angebot: »Herr Pfeffer, ich habe etwas ganz Besonderes für Sie: eine Totenmaske von Franz Liszt.«
Bankier Pfeffer betrachtet die Totenmaske ein, zwei Minuten lang und fragt schließlich: »Haben Sie so etwas nicht von Hitler?«
In der Nähe der Villa Mandelbaum bei München wird der Hund des Hausbesitzers von einem Auto überfahren. Es findet sich niemand, der sich getraut, dem Kommerzialrat Mandelbaum die schlimme Nachricht zu überbringen. Nur ein zufällig anwesender jüdischer Bettler erklärt sich bereit, gegen ein kleines Trinkgeld die Rolle des Informanten zu übernehmen. Nach zehn Minuten verlässt er die Villa Mandelbaum – mit einem großen Geldbetrag als Belohnung! Die herumstehenden Passanten fragen ihn verblüfft: »Wie haben Sie das bloß gemacht?«
Der Bettler gibt bereitwillig Auskunft: »Das war ganz einfach. Ich hab’ gesagt: Heil Hitler, der Hund ist tot!«
In Österreich, wo nach dem Nazi-Putschversuch und der Ermordung von Bundeskanzler Dollfuß der Antisemitismus auch offener zutage tritt, überlegen sich viele Juden, das Land Richtung Skandinavien oder England zu verlassen. Itzig steht am Kartenschalter des Wiener Nordbahnhofes, klärt und murmelt: »Soll ich fahren auf Krakau bloß, oder bis auf Przemysel?« Der Schalterbeamte wird ungeduldig: »Also, wird’s bald?!«
Daraufhin Itzig verärgert: »Sie, wer’n Se nicht unhöflich! Es gibt auch noch andere Bahnhöf’ in Wien!«
Theodor Körner, 1934 wie viele andere sozialdemokratische Politiker vom Ständestaat-Regime verhaftet, wird zwar freigelassen, aber unter polizeiliche Beobachtung gestellt. Dennoch gelingt es Körner, Kontakt zu Parteifreunden wie Adolf Schärf, Josef Afritsch oder dem jungen Bruno Kreisky zu halten. Er befolgt nämlich diesen Rat eines ihm wohlgesonnenen Kriminalbeamten: »Wenn Sie Ihre Freunde am Abend besuchen, dann ist das sehr verdächtig, weil wir wissen, dass Konspiration immer nach Einbruch der Dunkelheit betrieben wird. Am Nachmittag ist das ganze schon weniger gefährlich. In der Früh aber passt kein Mensch auf Sie auf.« Also arrangiert Körner seine Treffen stets am frühen Morgen …
Ein jüdischer Händler wird auf ein Wiener Finanzamt zitiert. Er will seine Steuern nicht zahlen und streitet mit dem zuständigen Referenten. Endlich schreit er erbost: »Warten Sie nur ab, bis die Nazis nach Österreich kommen!«
»Was?«, fragt der Finanzbeamte: »Und das sagen ausgerechnet Sie?«
»Na, warum nicht?«, triumphiert der Jude. »Soll ich Ihnen sagen, was wird stehen über dem Finanzamt? Wird stehen: ›Für Juden verboten!‹«
Der Tanz auf dem Vulkan
Die nur vier Jahre dauernde Regierung des Bundeskanzlers Dr. Kurt von Schuschnigg war ein mühsamer und letztlich erfolgloser Kampf, die Unabhängigkeit Österreichs zu erhalten. Adolf Hitler demütigte den österreichischen Kanzler, der nationalsozialistische Minister in sein Kabinett aufnehmen musste. Es kam zu einem Besuch Schuschniggs bei Hitler auf dessen Berghof. Doch es wurde immer klarer, dass der Naziführer einen zweiten deutschen Staat, wie sich Österreich selbst definierte, neben seinem Deutschen Reich nicht zu akzeptieren bereit war.
Bislang verbotene nationalsozialistische Zeitungen wurden in Österreich wieder erlaubt, was neben anderen Ereignissen zum Untergang des austrofaschistischen Regimes beitrug. Am 24. Februar 1938 beendete Schuschnigg einen flammenden Appell, die Unabhängigkeit Österreichs zu bewahren, mit dem Ruf »Bis in den Tod! Rot-Weiß-Rot! Österreich!« Der Tenor dieser Rede brachte Hitler zusätzlich auf.
Kurt von Schuschnigg startete noch einen letzten Versuch, die Souveränität des Landes zu behaupten, indem er für den 13. März 1938 eine Volksabstimmung plante. Dabei sollte über die Unabhängigkeit Österreichs abgestimmt werden. Für diese Unabhängigkeit wären neben den Christlich-Sozialen auch die Sozialdemokraten und die Kommunisten eingetreten. Die nationalsozialistischen Mitglieder der österreichischen Regierung erklärten das geplante Plebiszit für verfassungswidrig. Schuschnigg hatte das Kabinett nämlich nicht konsultiert und überdies war die Volksabstimmung administrativ aufgrund der Zeitknappheit nicht vorbereitet.
Jedenfalls war die Naziführung in Berlin nun alarmiert und änderte ihre Taktik gegenüber Österreich. Schließlich, so befürchtete Hitler, könnte ein Votum eine Mehrheit gegen den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich bringen. Am 10. März 1938 musste Schuschnigg die Volksabstimmung absagen. Der österreichische Kanzler wurde zum Rückzug gezwungen. Bundespräsident Wilhelm Miklas gelang es nicht, einen nicht-nationalsozialistischen Kanzler zu finden. Also übernahm der Nazi Arthur Seyß-Inquart für drei Tage die Regierungsgeschäfte, nachdem Hermann Göring massiven Druck ausgeübt hatte. Am 13. März 1938, dem Tag des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich, war alles vorbei.
Es war ein Tanz auf dem Vulkan, den die Bevölkerung des kleinen Österreich damals erlebte. Und dennoch behielten die Menschen auch in dieser Zeit ihren Humor.
Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg schätzt es gar nicht, dass böse Witze über ihn verbreitet werden. Er lässt die Polizei nach den Urhebern dieser Witze suchen. Als ein Witzeproduzent festgenommen und zu Schuschnigg gebracht wird, herrscht ihn dieser an: »Was fällt Ihnen ein, blöde Witze auszustreuen. Sie wissen doch genau, dass neun Zehntel der Österreicher hinter mir stehen?!«
Da entkommt dem guten Mann ein lauter Lacher: »Herr Bundeskanzler, der Witz ist gut, aber dafür können Sie mich nicht bestrafen, der ist nicht von mir!«
Als eines Morgens vor dem Bundeskanzleramt in Wien ein Korb mit einem Säugling entdeckt wird, befragen die führenden Beamten sogleich alle Mitarbeiter, ob das Kind wohl aus dem Haus stammt. Ein Hofrat sagt, dies sei völlig unmöglich. Hier sei nämlich noch nie ein Akt innerhalb von neun Monaten erledigt worden. Überdies sei in diesem Amt auch noch nie mit Lust und Liebe gearbeitet worden. Und schließlich sei vom Ballhausplatz noch nie etwas in die Welt hinausgegangen, das Hand und Fuß hat …
Wissen Sie, wer der schlechteste Maler ist? – Schuschnigg. Der streicht ununterbrochen sein Kabinett neu an und immer wieder schlägt das Braune durch …
In Berlin, wo die Braunen längst fest im Sattel sitzen, steigt ein Mann in die Straßenbahn ein und will sich auf den einzig freien Platz neben einem Juden setzen. Aber auf diesem Platz liegt ein Paket. Also fährt er den Juden an: »Nehmen Sie das Paket von diesem Platz weg!«
»Warum denn?«, wehrt sich der Jude.
»Nehmen Sie unverzüglich das Paket weg oder ich rufe den Schaffner!«
Es entwickelt sich ein verbaler Schlagabtausch, da schaltet sich der Schaffner, offensichtlich ein Nazi, brüllend ein: »Nehmen Sie jetzt das Paket von dem Sitz oder ich werfe es aus dem Fenster!«
Der