100 Jahre Österreich. Johannes Kunz
Jude kurz angebunden: »Das war nicht mein Paket …«
Folgender Witz macht in Berlin die Runde: Propagandaminister Joseph Goebbels packt den ersten Juden, den er auf der Straße antrifft, beim Kragen und hängt ihm ein großes Plakat um den Hals, auf dem zu lesen steht: »Juden raus, Arier rein!« Der Jude, so befiehlt Goebbels, müsse dieses Plakat einen Tag lang auf einem öffentlichen Platz tragen. Am Nachmittag will er überprüfen, ob der Jude seine Anordnung ausführt. Nirgendwo ist der Mann zu finden, bis ihn Goebbels endlich auf dem Friedhof entdeckt – mit dem großen Plakat um den Hals: »Juden raus, Arier rein!«
Ebenfalls in Berlin bricht ein Tiger aus dem Zoo aus und rennt durch die Stadt. Die Menschen geraten in verständliche Panik, da gelingt es einem mutigen jungen Juden, die Raubkatze mit einem Lasso einzufangen und festzuhalten, bis die Wärter des Tiergartens den Tiger in seinen Käfig zurückbringen. Ein Zeitungsreporter informiert von diesem Vorfall seinen Chefredakteur, den Judenhasser Julius Streicher, der einen Bericht in sein Blatt »Der Stürmer« unter diesem Titel einrückt: »Grausamer Jude überfällt hilflose Katze!«
Ein Jude sitzt auf einer Parkbank und liest besagte Nazizeitung »Der Stürmer«. Da kommt ein anderer Jude vorbei, der sich empört: »Wie kann ein Jude ein antisemitisches Schmierblatt lesen?«
Darauf antwortet der Erste: »Wissen Sie, wenn ich die jüdische Presse lese, wird mir ganz übel, denn da stehen furchtbare Sachen über Misshandlungen, Verhaftungen und Vertreibungen von Juden. Da lese ich lieber den ›Stürmer‹, denn worüber berichtet der? Dass die Juden die ganze Welt beherrschen, den Welthandel domieren und alle Regierungen beeinflussen. Da wird mir ganz wohl ums Herz!«
Irgendwo in der deutschen Provinz befragt ein Lehrer seine Schüler:
»Wie lautet Dein Vorname, Mayer?«
»Horst.«
»Und Deiner, Müller?«
»Hermann.«
»Und Dein Vorname, Rosenblatt?«
»Sie werden lachen, Herr Lehrer: Adolf.«
Etwa zur gleichen Zeit sitzen im Wiener Stadtpark zwei Juden und räsonieren über den immer massiveren Antisemitismus in Österreich. Da kommt ein Vogel geflogen und lässt eine Absonderung auf Kohns Hut herunterfallen. »Da siehst Du«, sagt Itzig bitter, »was ich Dir gesagt hab’: für die Goi (Anm.: Nichtjuden) singen sie!«
Levy und Blau sitzen in einem Kaffeehaus in der Wiener Innenstadt, studieren die Zeitungen und besprechen alles Mögliche.
Blau: »Stell Dir vor, der Ätna ist ausgebrochen!«
Levy: »Wer ist der Ätna?«
Blau: »Das ist ein italienischer Vulkan, der Feuer speit!«
Levy denkt nach und fragt dann: »Ist das gut oder schlecht für uns Juden?«
Dialog in der Wiener Straßenbahn.
Ein Antisemit: »Alles Unglück kommt von den Juden!«
Ein Jude: »Nein, es kommt von den Radfahrern.«
Der Antisemit: »Wieso von den Radfahrern?«
Der Jude: »Wieso von den Juden?«
Eine gut besuchte Varietévorstellung in Wien.
Ein Vortragskünstler kommt auf die Bühne, da dreht sich ein Jude zu seinem Nachbarn hin und raunt ihm zu: »Einer von unsere Leut’!«
Als nächste betritt eine Sängerin die Bühne. »Auch eine von unsere Leut’«, sagt der Jude.
Schließlich ist ein Tänzer an der Reihe. »Wieder einer von unsere Leut’«, bemerkt der Jude.
»Oh Jesus«, stöhnt der genervte Nachbar.
»Der ist auch einer von unsere Leut’«, bestätigt der Jude.
Isidor Rosenzweig lässt sich in Wien zum lutherischen Glauben bekehren, obwohl die meisten Christen hier Katholiken sind. Befragt, warum er das mache, antwortet Rosenzweig: »Wenn ich gleich Katholik werde, will man von mir wissen, welche Konfession ich vorher hatte. Und dann muss ich sagen: Jude. Wenn ich mich aber jetzt katholisch taufen lasse und es fragt mich einer nach meinem bisherigen Glauben, kann ich ihm sagen: Lutheraner.«
Die Bedrohung Österreichs durch Hitler-Deutschland wird immer stärker. Dennoch ist Mandelbaum hinsichtlich der Anschlussgefahr zuversichtlich: »Niemals wird der Hitler in Österreich einmarschieren, denn sonst gibt’s Krieg. Schau’ Dir doch die Erdkugel an, lieber Blau: Da liegt das kleine Deutschland in der Mitte – und das alles rundherum gehört zu Frankreich, zu England, und dort das riesige Russland, von Amerika gar nicht zu reden!«
»Gut und schön«, wirft der skeptische Blau ein. »Aber weiß das auch der Hitler?«
Der spätere König Edward VIII. hält sich als Prinz von Wales gerne zur Jagd in Österreich auf. Bundespräsident Wilhelm Miklas lädt ihn zu einem festlichen Empfang in die Hofburg ein. Der Prinz fragt beim Betreten des Saales seinen Sekretär: »Was kann ich mit dem Präsidenten besprechen?«
»Königliche Hoheit«, erwidert der Sekretär, »Miklas war Mittelschul-professor in Horn, ist politisch uninteressant und hat zwölf Kinder.«
Wenige Minuten später lehnen der Prinz und der Präsident an einem Fenster in der Hofburg. Nach ein paar höflichen Phrasen herrscht mangels Gesprächsthemen Stille. Da erinnert sich der Prinz: »Sagen Sie, Exzellenz, ist das wahr, Sie sind Vater von zwölf Kindern? Wie kommt das?« Darauf Miklas: »Mein Gott, königliche Hoheit! In Horn, in Horn, und wenn’s regnet …«
Nach seiner kurzen Regentschaft 1936 trifft der nunmehrige Herzog von Windsor mit Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg zusammen, der ihn fragt: »Wie machen Sie es bloß, dass Sie bei der Bevölkerung so beliebt sind?«
Der Herzog schlagfertig: »Tun Sie es mir einfach gleich und treten Sie zurück!«
Als Karl Kraus, der Autor des Buches »Die letzten Tage der Menschheit« und scharfzüngige Kommentator des Zeitgeschehens, 1936 in Wien stirbt, reagiert sein Intimfeind Anton Kuh mit den Worten: »Wenn einem so ein Feind wegstirbt, da geht ein Freund dahin.« Und Oskar Kokoschka sagt: »Karl Kraus – abgestiegen zur Hölle, zu richten die Lebendigen und die Toten!« Egon Friedell wiederum äußert sich so: »Ein Mensch, der davon gelebt hat, andere umzubringen, kann doch nicht tot sein!«
Die 1873 anlässlich der Weltausstellung errichtete Rotunde, ein großer Kuppelbau im Wiener Prater, fällt 1937 einem Großbrand zum Opfer. Die Schläuche der Feuerwehr sind gerade ausgelegt, da erscheint Bundespräsident Wilhelm Miklas, um sich über den Stand der Löscharbeiten zu informieren. Miklas dankt dem Polizeipräsidenten, nimmt eine Schere, zerschneidet einen Schlauch und sagt: »Hiermit erkläre ich den Brand der Rotunde feierlich für eröffnet!«
So sah der Zeichner im »Daily Express«, London, vom 17. Februar 1938 die höchst prekäre Situation der österreichischen Regierung.
Im Hofe eines Wiener Gefängnisses drehen die Häftlinge ihre Runden. Da fragt einer: »Ist Euch bewusst, dass in Österreich heutzutage die Maulund Klauenseuche ärger wütet als früher einmal die Pest?«
»Wieso?«, wirft ein Zweiter ein.
Darauf der Erste: »Ich sage es Euch: Unten maulen’s und oben klauen’s!«
Anton Kuh wird kurz vor dem Anschluss Österreichs von Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg aufgefordert, ihn in dessen Büro aufzusuchen und seine Einschätzung der politischen Lage zu erläutern. Später sagt Kuh dazu: »Am selben Tag packte ich die Koffer und fuhr nach Paris. Weil ein Land, das meinen Rat braucht, rettungslos verloren ist!«
Jene österreichischen Juden, die es sich finanziell leisten können, wollen nun aus Angst vor dem Einmarsch der Nazitruppen schleunigst das Land verlassen. Ein Jude geht mit seinem Koffer auf einen Wiener Bahnhof, da fährt ihm der Zug doch