Kaiserliche Kindheit. Gabriele Praschl-Bichler
Gabriele Praschl-Bichler
Kaiserliche Kindheit
Gabriele Praschl-Bichler
Kaiserliche Kindheit
Aus dem aufgefundenen Tagebuch
Erzherzog Carl Ludwigs, eines Bruders
von Kaiser Franz Joseph
Mit 23 Abbildungen
Alles im Buch veröffentlichte Bildmaterial
entstammt einem Privatarchiv
© 1997 by Amalthea
in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH,
Wien • München
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Daniela Schäfer
Herstellung und Satz: VerlagsService Dr. Helmut Neuberger
& Karl Schaumann GmbH, Heimstetten
Gesetzt aus der 12 Punkt Stempel Garamond
Druck und Binden: Wiener Verlag, Himberg
Printed in Austria
ISBN 3-85002-410-5
eISBN 978-3-902998-34-7
INHALT
»Tagebuch angefangen den 13. April 1844«
Familienverbindungen der im Text besprochenen Habsburger anhand einiger Stammtafeln
Suchhilfe zum Personenregister
VORWORT
Es zählt zu den Sternstunden eines Historikers, wenn er – unerhofft und unerwartet – auf handschriftliches Material stößt, das geschichtlich interessant ist und noch niemals veröffentlicht wurde. So fand sich in einer Masse von verschiedenen Dokumenten aus dem österreichischen Kaiserhaus das Tagebuch eines Erzherzogs, das er im Alter von knapp elf Jahren begonnen und zwei Jahre lang mit ziemlicher Regelmäßigkeit geführt hatte. Bei dem jugendlichen Urheber der Schrift handelt es sich nicht nur um einen der ranghöchsten Erzherzoge, sondern auch um den zweitältesten Bruder des nachmaligen Kaisers Franz Joseph, der während der Entstehungszeit des Tagebuchs schon als Österreichs nächster Regent feststand. Seine und seiner Brüder späte Kindertage bilden den Inhalt des Buches, aus dem herauszulesen ist, daß ihm und ihnen das Privatleben das Wichtigste war. Die überraschendste Entdeckung dabei: Der kaiserliche Alltag hätte nicht bürgerlicher und biederer sein können.
Zurück zum Autor, dem zu Beginn des Tagebuchs noch nicht ganz elfjährigen Erzherzog Carl Ludwig. Er war der dritte Sohn Erzherzog Franz Carls und Erzherzogin Sophies, einer geborenen Prinzessin von Bayern, und hatte damals drei Brüder: Franz Joseph, Ferdinand Maximilian und Ludwig Victor, das zweijährige Nesthäkchen der Familie. Als weitere Hauptpersonen seines nächsten Kreises spielten – neben den Eltern – der regierende Kaiser, Ferdinand I., ein direkter Onkel; die Kaiserinwitwe Caroline Auguste (im laufenden Text immer als ›Kaiserin‹ bezeichnet), Stiefgroßmutter und Tante in einem; sowie Erzherzog Ludwig, ein Großonkel, Bruder und geistiger Erbe Kaiser Franz II./I., bedeutende Rollen. Aufgefüllt wird die Szenerie durch Erzieher und Lehrer der jungen Erzherzoge, Damen und Herren im Gefolge der Eltern und ständig an- und abreisende Verwandte, die entweder dem österreichischen Kaiserhaus oder anderen europäischen Regentenfamilien angehörten.
Zum Aussehen des Tagebuchs: Die einzelnen Seiten messen 12,7 cm mal 19,1 cm; das Buch ist 3,5 cm dick (den Buchdeckel miteingeschlossen 4,2 cm), es scheint zweimal gebunden worden zu sein. An einen ersten bestehenden Band wurden später dreißig Seiten angefügt. Danach muß das ganze noch einmal gebunden und – vermutlich zu diesem Zeitpunkt – mit einem dunkelblauen Umschlag aus gepreßtem Leder versehen worden sein. Am Buchrücken befindet sich eine Prägung in Goldlettern: »TAGEBUCH vom 13. April 1844 bis 16. August 1846. Mit Unterbrechungen.« Die Schnittkanten erhielten an allen drei Seiten eine bunte, wellenförmige Musterung, die dem am Vorsatzpapier des Buches entspricht.
Daß dieses Tagebuch begonnen und geführt wurde, hatte vorrangig einen erzieherischen Grund: Kinder aus gesellschaftlich höher stehenden und gebildeten Familien wurden von ihren Eltern zum Aufzeichnen der Tagesereignisse veranlaßt, um Sprech- und Schreibgewandtheit zu erlangen, und wohl auch, um Situationen beurteilen und Menschen einschätzen zu lernen. Die Übung bildete einen Grundstock für das spätere gesellschaftliche Leben: der Schreiber mußte lernen, als Erwachsener eine Konversation führen und in Gang halten zu können. Natürlich ging jedes Kind anders an die Schreibarbeit heran, und es ist rührend zu verfolgen, wie Erzherzog Carl Ludwig das Pensum erledigte. Den unumstrittenen Mittelpunkt seines Denkens bildete die geliebte ›gute Mama‹. Ihrer An- oder Abwesenheit, ihrem Verhalten den Kindern gegenüber galten die meisten Vermerke. Den nächsten Schwerpunkt bildet die eigene Tagesgestaltung und die der Brüder. Die geringste Bedeutung wird dem Lernprogramm beigemessen, obwohl es den größten Teil der Tageszeit einnahm. Aus erhaltenen Stundenplänen aus dem Jahr 1844 ist zu ersehen, daß im Sommer dieses Jahres dreizehn Fächer gelehrt wurden (Geschichte, Geographie, Mathematik, Naturgeschichte, Latein, Ungarisch, Italienisch, Französisch, Böhmisch, Deutsch, Zeichnen, Schreiben und Musik). Während einer Woche wurden die meisten dieser Gegenstände mehrmals unterrichtet. Pro Tag gab es vormittags sechs bis acht Stunden Studium mit den Lehrern – nachmittags wurde das Programm um Turnen, Reiten, Kutschieren, Fechten, Schwimmen, Tanz und Exerzieren erweitert. Abwechslung bildeten im Sommer nachmittägliche Spaziergänge mit den Eltern, im Winter das (auf ein Minimum beschränkte) abendliche Zusammensein mit der Familie.
Erzherzog Carl Ludwig scheint – wie die meisten Kinder im Alter zwischen elf und dreizehn Jahren – den Unterricht nicht besonders geschätzt zu haben. Das hauptsächliche Interesse galt der Familie und der gemeinsamen Freizeitgestaltung, weshalb das Tagebuch vor allem zu einem beredten Zeugen habsburgischen Privatlebens wird. Sehr überraschend dabei: der überaus bürgerlich angelegte Alltag und der anspruchslose Lebensstil. Die meisten Familienmitglieder lebten in anerzogener und überzeugter Sparsamkeit, und es bereitete keinem Aristokraten oder Bürger mittlerer finanzieller Verhältnisse eine Schwierigkeit, den Aufwand des kaiserlichen Haushaltes zu überbieten.
Das Tagebuch endet zwei Jahre, nachdem es begonnen worden war, im Sommer 1846 und scheint keine Fortsetzung erhalten zu haben. Denn während dieses Zeitraums war das angestrebte Ziel erreicht worden: Schrift und Orthographie des jungen Mannes hatten sich wesentlich verändert, und auch die Wortgewandtheit war dem zeitgenössischen Konversationston schon