Zeit für Liebe. Diana Richardson
sexueller Energie, die sich spiralförmig durch die Energiezentren bewegt
Tantra nennt diesen Schritt „Den Fuß auf die erste Sprosse der inneren Wachstumsleiter setzen.“ So öffnet sich eine vernachlässigte Energiebahn und verschafft sich mit der Zeit einen Weg in das Zentrum unseres Körpers. Das können wir als ein fließendes Strömen von den Genitalien aufwärts erleben, als eine Art wunderbar goldenes Strahlen. Wenn wir die spirituelle Phase des Sex stärken, statt sie zu behindern, wie wir es in unserer Unwissenheit tun, wird das Liebemachen zu einer heiligen Erfahrung – voller Wunder.
SCHLÜSSEL
Sexuelle Energie ist Lebensenergie, die in jedem von uns fließt.
Indem wir unsere männlichen und weiblichen Energien in Balance bringen, können wir eine gesunde, stärkende sexuelle Beziehung genießen.
Wir können unsere sexuelle Energie in der herkömmlichen Weise in Richtung Orgasmus steuern oder wir können sie zurückführen, damit sie uns mehr Energie und mehr Liebe schenken kann.
Sex wird auf kreative Art und Weise in eine wirklich erhabene Erfahrung verwandelt.
SEXUELLE KONDITIONIERUNG
Wenn Sex eine natürliche und so wesentliche Kraft ist, wie konnten wir dann den Kontakt zu diesem tieferen orgasmischen Potenzial verlieren? Wieso haben wir das Wissen um die Kunst, Liebe zu erschaffen und lebendig zu halten, verloren? Warum sind wir so auf den Orgasmus fixiert?
Die Antwort lautet: Je zivilisierter wir wurden, desto unbewusster sind wir geworden. Über die Jahrtausende sind Männer und Frauen enorm aus der Balance geraten. Wir sind immer zeit- und zielorientierter, und unter diesen Bedingungen verkümmert dann wirkliche Liebe und erfüllender Sex.
Mit der fortschreitenden technischen Entwicklung sind wir süchtig danach geworden unsere Ziele zu erreichen. Wie auch immer sie aussehen mögen; wir stehen unter Zeitdruck, Leistungsdruck, Zukunftsdruck. Je höher entwickelt ein Land, desto wichtiger ist der Zeitfaktor. Die Menschen leben mit vollgepackten Terminkalendern, in denen eine Verpflichtung die nächste jagt. Das erzeugt so viel Druck, dass wir nicht nur unsere Liebesfähigkeit verlieren, sondern in der Tat krank werden. Stress ist zu einem extrem hohen Prozentsatz für Krankheiten in unserer modernen Welt verantwortlich. Entspannung und innere Gelassenheit sind etwas so Unbekanntes geworden, dass wir unruhig werden und uns gelangweilt fühlen, wenn wir einmal nichts „tun“. Wir suchen Action, Erregung, Spannung. Es hat den Anschein, als hätten wir die Regeln der Natur auf den Kopf gestellt. Mit der Uhr zu leben und im Wettstreit mit ihr scheint unserem Leben Bedeutung zu verleihen, während das „Sein“, Stille und Ruhe Angst bei uns auslösen.
Warum sind wir beim Sex so zielgerichtet?
Wie oft hast du zu deinem Partner oder dir selbst gesagt: „Ich würde gern Liebe machen. Ich habe aber einfach keine Zeit.“ In einer Hinsicht stimmt das, denn erfüllender Sex braucht Zeit. Machen wir schließlich doch Liebe, haben wir es aber eilig, wollen zum Ende kommen, zum Orgasmus. So sind wir uns selbst immer voraus, sind nicht wirklich „hier“. Wir sind auch nicht wirklich zusammen mit dem oder der anderen, sondern benutzen uns eher gegenseitig. Jede Bewegung oder Berührung ist auf das Erreichen unseres Ziels ausgerichtet. Der Orgasmus ist zum einzigen Mittel der Befriedigung geworden, und wir denken, dass Sex nicht wirklich Sex ist, wenn wir nicht „kommen“ und es keinen Höhepunkt gibt, in dem sich die Energie entlädt.
Wenn das allein unser Erleben ist, dann machen sich Millionen von Frauen Sorgen und haben seelischen Stress, wenn sie den ohnehin meist schwer zu erreichenden Orgasmus nicht bekommen. Und viele Männer beunruhigt es, dass sie viel früher ejakulieren, als sie möchten, bzw. so früh, dass sie ihre Partnerin nicht „befriedigen“ können. Und wenn wir nicht „zusammen kommen“, dann empfinden und fühlen wir uns so, als ob wir etwas verpasst oder versagt hätten oder dass sexuell etwas mit uns nicht stimmt.
Der Drang nach dem Orgasmus arbeitet unbewusst in uns, fast wie ein automatischer Reflex, und lässt uns nicht wirklich den Spielraum, ihn einmal nicht direkt anzusteuern. Der Wunsch danach ist so stark und scheint völlig instinktiv zu sein. Das macht es noch schwerer, uns vorzustellen, dass es auch andere Formen von Sexualität geben könnte! Wir wiederholen unser Verhalten beim Sex, und suchen dabei nach einer Erfüllung, die wir nie erreichen.
Die Tendenz dieser Zielstrebigkeit und die daraus resultierende Eile beim Sex hat es seit Jahrtausenden gegeben. Sie unterdrückt, gepaart mit religiösen Dogmen, unsere sexuelle Energie effektiv und nachhaltig. Wir tragen eine Menge von Ängsten und Spannungen in uns und leben unter hohem Druck, was den Orgasmus und Sex angeht. Unser Genuss bleibt dadurch – uns selbst nicht bewusst – innerhalb fest definierter Grenzen. Wir haben unser Wissen um Alternativen in der Sexualität verloren, und unser sexueller Ausdruck verläuft in festen Bahnen, die uns automatisch auf einer Route halten: So fangen wir an und so hören wir auf. Es ist praktisch Routine.
Ohne dass wir es überhaupt bemerken, sind diese festgelegten Grenzen die reinen Selbstläufer: Unsere Mütter, Großmütter und Urgroßmütter haben ja auch schon so Liebe gemacht, und wenn es für sie gut genug war, warum dann nicht auch für uns? So habe ich gedacht, bis ich begann, Liebe in einem anderen Rahmen zu erforschen, aus einer anderen Perspektive zu betrachten.
Vom Tun zum Sein
Was ist letztendlich dabei herausgekommen, dass wir die sexuelle Energie zwingen, ein bestimmtes Ziel zu erreichen? Wir haben die Fähigkeit verloren zu entdecken, wie unsere Genitalien ganz von selbst „Liebe machen“ wollen und was sie „tun möchten“. Wir haben eine feste Vorstellung davon, was wir wollen, und dadurch haben wir nichtsahnend unsere „genitale Intelligenz“ verloren.
Sex ist heute eine Funktion des Verstandes, statt wirklich körperlich zu sein. Diese sexuelle Konditionierung hat zu einem eher extravertierten und biologischen Zugang zum Sex geführt. Unsere sexuelle Energie ist in sich gefangen und unsere Körper sind übermäßig angespannt. Unsere lebenslange Angewohnheit, die sexuelle Energie zu komprimieren und absichtlich – wenn auch unbewusst – in zielgerichtete Bahnen zu lenken, hat diese Energie chronisch verzerrt.
Die körperlichen und emotionalen Spannungen unserer vergangenen Erfahrungen sitzen in den Genitalien und lassen sie viel weniger empfindsam sein, als sie sein könnten. Sex ist heute mehr ein mechanisches „Tun“ und hat natürlich auch die Funktion, für Nachkommen zu sorgen.
Aber wir haben keinen Zugang mehr zu den göttlichen „Seinsaspekten“ der sexuellen Vereinigung. Wir wissen nur, was wir „tun“ müssen beim Liebemachen, aber nicht, wie wir dabei „sein“ können. Stell dir eine Blüte vor, die in einer Knospe verschlossen bleibt und nie die Gelegenheit bekommt, sich zu öffnen und zu blühen. Genauso ergeht es uns. Wir stehen unter chronischer Anspannung und unser sexuelles Zentrum ist so verdreht und verzerrt, dass die Energie, die sich natürlicherweise ausbreiten will, daran gehindert wird, sich über den ganzen Körper hin auszudehnen. Sex wird auf den Bereich der Genitalien beschränkt, und wir sind nicht in der Lage, höhere ekstatische Erfahrungen zu machen.
Das Umlenken der Sexenergie nach innen und nach oben, das für Tantra erforderlich ist, geschieht, wenn sich Körper und Genitalien entspannen, weil sie nicht länger zum Orgasmus gezwungen werden. Dann kann sich diese Energie ausbreiten und wohlig über den Körper ausdehnen.
Nur wenige von uns haben diese Erfahrung gemacht, denn wir sind viel zu angespannt, weil wir versuchen, die sexuelle Energie in eine bestimmte Richtung zu lenken. Wenn dieselbe Energie sich aber frei und eigenständig bewegen kann, wird Sex zu einer herrlichen Mischung aus unbändiger Leidenschaft und berührender Stille.
Kollektive und individuelle Spannungen
Das sexuelle Zentrum ist der Sitz unserer individuellen Psychologie und unserer Persönlichkeit. Hier nimmt unsere Programmierung ihren Lauf. Unsere frühesten unbewussten Eindrücke, die den Sex und das Leben